Ein Unwetter jagt das nächste - die Meteorologen auf dem Stuttgarter Schnarrenberg haben mit den derzeitigen Phänomenen deutlich mehr zu tun als sonst. Ein Besuch beim Deutschen Wetterdienst in Stuttgart.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die äußeren Bedingungen sind alles andere als gut, um über schlechtes Wetter zu sprechen. Über dem Schnarrenberg, dem Höhenzug zwischen den Stuttgarter Stadtbezirken Münster und Zuffenhausen, wölbt sich ein tiefblauer Himmel, von dem die Sonne strahlt. Michael Gutwein, Wetterdiensttechniker in der Stuttgarter Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes (DWD), läuft zwischen den Gerätschaften umher und erläutert deren Funktionsweise. Die Bandbreite reicht von einem schlichten Behälter, mit dessen Hilfe die Meteorologen die Menge des gefallenen Niederschlags messen, bis hin zu einer kühlschrankgroßen Apparatur, die Laserstrahlen bis in eine Höhe von 42 000 Fuß ausstrahlt, um die Bewölkung zu erfassen. Der gut 200 000 Euro teure Gerätepark tut all dies selbstständig und übermittelt die Werte per Datenkabel. „Wir müssen noch schauen, dass das Gras zwischen den Geräten nicht zu hoch wächst“, sagt Gutwein und lacht.

 

Der altgediente Fachmann kann sich an Zeiten erinnern, als die Wetterbeobachtung mehr Handarbeit und das rechte Augenmaß erforderte. Die exponierte Lage der Wetterstation auf dem Stuttgarter Höhenrücken erlaubte mit einer verblüffend simplen Methode die Sichtweitenbestimmung. War der Schlot der Müllverbrennungsanlage in Münster vom Schnarrenberg aus nicht mehr zu erkennen, lag die Sichtweite bei unter 1000 Meter, zum Fernmeldeturm auf der Waldebene Ost sind es sechs Kilometer und ist die Burg Teck zu sehen, reicht die Sichtweite 45 Kilometer. Der Rundblick ist immer noch pittoresk, bei der Wetterbeobachtung hat er ausgedient.

Die Experten brauchen vor allem eines: Daten in rauen Mengen

Selbst die zweimal am Tag von der Wetterwarte aus in den Himmel steigenden Wetterballone werden automatisch auf ihre Reise geschickt. Sie tragen eine Sonde in Höhen von bis zu 35 Kilometer, wo sich die Latexhülle wegen des abnehmenden Luftdrucks auf einen Durchmesser von bis zu 12 Meter aufbläht und platzt. Die Sonden schweben an einem Fallschirm zurück zu Boden. Wer sie findet, den fordert ein Aufkleber auf, das Gerät zu entsorgen. Früher gab es noch Finderlohn, aber diese Zeiten sind vorbei. Der Wetterdienst muss nicht nur auf die Messinstrumente, sondern auch aufs Geld schauen.

Das Wetter ändert sich, fast noch mehr ändert sich aber die Herausforderung für die Wetterkundler. „Starkregenereignis“ und „Unwetterwarnung“ haben erst vor vergleichsweise kurzer Zeit Einzug in die Alltagssprache gehalten – und eine steile Karriere hingelegt. Um einigermaßen präzise vor meteorologischem Ungemach warnen zu können, brauchen die Experten vor allem eines: Daten in rauen Mengen. „Die Messung ist die Mutter der Prognose“, kleidet Uwe Schickedanz die profane Weisheit in eine hübsche Formulierung. Der Diplom-Meteorologe leitet die DWD-Dependance in Stuttgart. Ob denn die bedenklichen Wetterphänomene, vor der Bevölkerung, Unternehmen und Behörden gewarnt werden müssen, zugenommen haben? Der 53-Jährige zögert kurz. „Gefühlt ist das so, statistisch lässt es sich aber noch nicht belegen.“ Schickedanz zieht als Beispiel den diesjährigen Juni und den Juni 2015 heran. „Letztes Jahr hatten wir Hitze und Dürre, dieses Jahr säuft alles ab. Das ist nicht nur der Klimawandel, das spielt auch der Zufall eine große Rolle.“

„In der Bevölkerung gibt es eine erhöhte Aufmerksamkeit für bestimmte Phänomene“

Wetterwahrnehmung habe viel mit Psychologie zu tun. „In der Bevölkerung gibt es eine erhöhte Aufmerksamkeit für bestimmte Phänomene.“ Schickedanz hält sich lieber an Messbares. Diese Werte laufen in der „Regionalen Wetterberatung“ auf dem Schnarrenberg ein. Natürlich nicht nur jene, die auf der Wiese vor dem schmucklosen Zweckbau ermittelt werden. Die Wetterkundler greifen auf Werte aus der ganzen Welt zurück. Der Datenstrom hat an diesem Vormittag dazu geführt, dass sich die Südwestecke des Landes befremdlich orangefarben darstellt – aber nur auf dem Bildschirm, der in einer ganzen Reihe von Bildschirmen vor Peggy Hofheinz steht. Sie ist an diesem Vormittag die diensthabende Meteorologin. Die farbige Fläche markiert den Bereich, in dem schon starke Gewitter auftreten. „Das ist aber vergleichsweise harmlos, über den Vogesen knallt es richtig “, konstatiert Schickedanz.

Es herrschen an diesem Dienstag noch dieselben Bedingungen, die vor gut anderthalb Wochen zu schweren Unwettern im Nordosten des Landes geführt haben. „Die Feuchtigkeit ist noch da.“ Zwar hätten die zurückliegenden warmen Tage etwas zur Lufttrocknung beigetragen. Aber da viel Feuchtigkeit im Boden stecke, ändere sich nicht viel an den Gegebenheiten. Nur zwei Wege führen aus dieser Lage. Entweder lang anhaltende trockene Hitze, die aber im Moment nicht absehbar ist, oder ein Tiefdruckgebiet, das für Luftaustausch sorgt.

Der Wetterdienst hat die Unwetter vorausgesagt und die betroffenen Landkreise gewarnt

In den Tagen bevor das Unwetter über die Hohenlohe und Ostwürttemberg hinweggezogen ist, habe sich schwülwarme Luft breitgemacht. Als dann noch Radarauswertungen große Mengen von Feuchtigkeit zeigten, lief die Routine auf dem Schnarrenberg an. Die sieht vor, dass die Meteorologen das potenziell betroffene Gebiet auf einer Karte markieren. Alle Landkreise, die zu fünf oder mehr Prozent ihrer Fläche davon betroffen sind, erhalten die Warnung. Offiziell ausgesprochen wird diese vom Lagezentrum des Landesinnenministeriums. Informationen und Text kommen aber vom DWD. „Wir haben das gut vorhergesagt und auch gut gewarnt“, sagt Schickedanz mit Nachdruck. Präziser als auf Landkreisebene lasse sich das Geschehen mit dem erforderlichen Vorlauf nicht prognostizieren. „Gewitterpotenzial tritt immer flächig auf, die Gewitter selbst gehen aber dann lokal nieder.“

Vier Eskalationsstufen gibt es auf der Warnskala. Es beginnt mit der „Wetterwarnung“, die bei drohendem Reif, Glätte oder Frost ausgegeben wird. Zudem müssten Windstärken bis 7 zu erwarten sein. Darauf folgt die „Warnung vor markantem Wetter“, für die es stürmische Böen mit Stärken von 8 bis 11 geben muss. Es drohen dann starke Gewitter, Hagel mit Korngrößen von bis zu 1,5 Zentimeter und Starkregen mit bis zu 25 Liter pro Stunde auf den Quadratmeter. Vor „Unwetter“ warnen die Meteorologen bei erwartetem Niederschlag zwischen 25 und 40 Litern, orkanartigem Wind sowie Hagelkörner, die größer als 1,5 Zentimeter sind. Zuletzt bleibt noch die „amtliche Warnung vor extremen Wetter“, bei dem der Wind schneller als 140 Kilometer in der Stunde wird oder mehr als 40 Liter Regen pro Stunde fallen.

Mitte Juni kristallisiert sich die Großwetterlage heraus

In letzterer Kategorie rangierte das Wetter in der Nacht auf Montag, 30. Mai, in der das Örtchen Braunsbach im Kreis Schwäbisch Hall von Überschwemmungen heimgesucht wurde und insgesamt vier Menschen in Schwäbisch Gmünd, Schorndorf und bei Heilbronn umkamen. Als es zu schütten begann, waren Hilfskräfte, Behörden aber auch wetterempfindliche Unternehmen im betroffenen Gebiet längst gewarnt. Dafür hatte die Regionale Wetterberatung auf dem Schnarrenberg gesorgt, die in der Zeit zwischen 5.30 und 22 Uhr mit zwei bis drei Mitarbeitern besetzt ist, im Unwetterfall verlängert sich die Dienstzeit bis 24 Uhr. Danach übernehmen die Kollegen in der DWD-Zentrale in Offenbach. Die 30 Mitarbeiter in Stuttgart halten auch den Kontakt zu einer Heerschar von ehrenamtlichen Wetterbeobachtern, deren Standorte sich wie ein dichtes Netz über ganz Baden-Württemberg legen. Für den Einsatz gibt es nach 25 Jahren eine Urkunde und eine Plakette – und mitunter das gute Gefühl, durch die eigenen Beobachtungen womöglich dazu beigetragen zu haben, vor Wetterunbill warnen zu können.

Michael Gutwein steht noch auf dem Messfeld auf dem Schnarrenberg und hat trotz strahlenden Sonnenscheins eher trübe Prognosen. „Mitte Juni kristallisiert sich die Großwetterlage heraus. Für schönes Wetter müsste sich jetzt aber langsam das Azorenhoch Richtung Mitteleuropa bewegen.“ Weil das Hochdruckgebiet dazu aber aktuell wenig Neigung erkennen lässt, wird das Wetter wohl nicht so berauschend. Es muss ja nicht gleich wieder eine Unwetterwarnung dabei herausspringen.