Es ist schon beinahe ein Ritual, Generationen kennen es: die Gratis-Scheibe Lyoner beim Metzger. Schon der Opa freute sich über das Rädle Wurst. Doch warum ist eigentlich die Lyoner bei Kindern so beliebt?

Stuttgart - Wer beim Metzger mit seinen Kindern einkauft, der kennt eine Frage ganz bestimmt: „Willst du eine Scheibe Lyoner haben?“, fragen die Frau oder der Mann hinter der Theke stets und blicken dabei den Nachwuchs an. Der nickt meist eifrig und sagt schnell: „Ja.“ Manches Mal heißt es auch schlicht: „Willst Du ein Rädle Wurst haben?“ In dem Fall ist aber Wurst fast immer gleich Lyoner.

 

Anfrage löst „positive Heiterkeit aus“

Gut, beim Bäcker gibt es für die Kinder mal ein Stück Brezel oder etwas anderes, in der Apotheke wird Traubenzucker an die Kinder verteilt. Doch während es nicht nicht in jedem Bäcker etwas gibt und zumindest in der Kinderzeit des Autors die Apothekerin auch mal viereckige Kaubonbons verteilte, ist die Lyoner beim Metzger eine Konstante – und das seit Generationen. Doch warum ist das eigentlich so? Warum bekommen Kinder beim Metzger immer eine Scheibe Lyoner? Einer, der es wissen muss, ist Ulrich Klostermann. Er ist Landesgeschäftsführer des Innungsverbands für das Fleischerhandwerk. Also schnell eine Anfrage gestellt, der Rückruf kommt prompt: „Ihre Anfrage hat bei uns positive Heiterkeit ausgelöst“, sagt Klostermann, bevor er auf das Phänomen Lyoner zu sprechen kommt. „Die Lyoner ist unser meistverkauftester Artikel. Sie ist immer griffbereit und einfach zu händeln.“ Und dann ist da noch die Sache mit den Stücken in der Wurst, Stichwort Schinkenwurst, die bei den meisten Kindern weniger hoch im Kurs stehen: „Die Lyoner ist da neutral.“ Schon Generationen haben von der Freigiebigkeit der Metzger profitiert: „Unser Landesinnungsmeister Joachim Lederer sagt immer: ,Die ersten drei Worte eines Kindes sind Mama, Papa und Lyoner.’“ Die kostenfreie Scheibe Wurst verbindet auch die Generationen: „Wenn Großeltern mit ihren Enkeln kommen, freuen sie sich besondern, wenn man denen etwas Gutes tut“, sagt Klostermann. Die Lyoner heißt übrigens so, weil ihr Rezept aus der gleichnamigen französischen Stadt stammt.

Manches Mal macht auch eine Jägersalami glücklich

Auch Karin Bless, Seniorchefin der gleichnamigen Metzgerei in Möhringen, kennt das strahlende Lächeln der Kinder nur zu gut, wenn sie eine Scheibe Lyoner angeboten bekommen: „Die schneiden wir immer frisch runter.“ Dabei sei die Scheibe auch drei- bis viermal so dick wie normal.“ Damit die Kinder auch etwas in der Hand haben. Karin Bless weiß noch gut, zu welchem Metzger sind mit ihrer Oma immer gern gehen wollte: „Das gab es zwei im Ort. Bei einem gab es einen richtigen Kanten Wurst, beim anderen nur ein dünnes Rädle.“ Da sei ihr die Entscheidung natürlich nicht schwer gefallen. Manches Kind findet freilich nicht so großen Gefallen an einer Scheibe Lyoner, doch auch dafür gibt es eine Lösung, wie die Geschichte zweier Schwestern zeigt, die in der Metzgerei Bless häufiger mit ihren Eltern vorbeischauen: „Während die ältere immer gestrahlt hat, wenn ich ihr eine Lyoner gegeben habe, hat die jüngere immer grimmig dreingeschaut.“ Doch Karin Bless fragte nach, welche Wurst sie denn lieber mag. Die Antwort lautete: „Jägersalami.“ „Seitdem sie nun immer eine Salami bekommt, ist sie sehr freundlich.“

Die Lyoner für die Kinder ist in jeder Metzgerei ein Muss: „Das geben wir natürlich auch unseren Auszubildenden mit auf den Weg“, sagt Karin Bless. An manchen Tagen wird insgesamt eine halbe Stange Lyoner an Kinderhände weitergereicht. Und wenn doch mal ein Kind vergessen wird? „Das kann in der Hektik schon mal passieren.“ Aber spätestens an der Kasse werde dann die obligatorische Frage: „Willst du ein Rädle Wurst?“ gestellt.

Doch gibt es auch einen historischen Hintergrund für diese Freigiebigkeit der Metzgerei? Weder Karin Bless noch Ulrich Klostermann haben da eine Antwort parat. Auch beim Deutschen Fleischermuseum in Böblingen kann man dazu nichts Erhellendes sagen. Aber viel wichtiger ist ohnehin eine ganz andere Frage, die jeden Tag in ganz vielen Metzgereien zu hören ist: „Willst Du noch ein Rädle Lyoner?“