Der Weltklasse-Kameramann Michael Ballhaus hat im Atelier am Bollwerk seine Memoiren vorgestellt. Ballhaus leidet am Grünen Star und erblindet langsam. Der 78-Jährige beschließt mit dieser Buchpräsentationsreise sein Lebenswerk.
Dass da ein Weltstar des Kinos auf einem Stuttgarter Gehweg steht, fällt kaum einem Passanten auf. Ein freundlicher älterer Herr, etwas nach vorn gebeugt über entgegen gereckte Hände und Bücher, und doch Abstand haltend, als wolle er das Hingehaltene keinesfalls vereinnahmen – nein, so einer macht nicht durch eine elektrisch aufgeladene Aura der wutanfallgeneigten Egomanie auf sich aufmerksam. Gewitztere unter den Vorübereilenden im Vorfeiertagsgewusel schätzen die Situation wohl richtig ein: da signiert einer Bücher. Ein kleines Häuflein steht ja auch um ihn herum, wird also wohl ein Großkopfeter des Kulturbetriebs sein. Rascher Blick also, schon zurück über die Schulter, hinein ins Zentrum der Gruppe: nein, das Gesicht sagt einem nichts.
Daraus kann keinem ein Vorwurf gemacht werden, auch wenn dieser Michael Ballhaus, der da vorm Kino Atelier am Bollwerk signiert, nach Namen und Gesicht einer der bekanntesten seiner Zunft ist. Aber diese Zunft ist eine, die schaut statt sich anschauen zu lassen, die am anderen Ende jener Apparatur steht, die große Bilder liefert und Stars erstrahlen lässt. Michael Ballhaus ist Kameramann.
Schauspieler, Regisseure, Kameraleute sowieso haben ihn jahrzehntelang als einen der besten Fotografen von Leinwandbildern gepriesen. Aber jetzt hat der 78-Jährige nicht nur zusammen mit dem Journalisten Claudius Seidl seine Autobiografie verfasst, „Bilder im Kopf“. Er hat der Welt auch offenbart, dass er am Grünen Star leidet und die Krankheit ihn berufsunfähig macht. Michael Ballhaus erblindet langsam, und so ist die Buchpräsentationsreise, die ihn nach Stuttgart geführt hat, auch eine Art Abschiedstournee.
Bescheiden im Mittelpunkt
Nicht dass Ballhaus hinfällig wirkte. Aber bislang haben ihn Kinointeressierte als den Mann gesehen, der mit Rainer Werner Fassbinder und Martin Scorsese, mit Mike Nichols und Francis Ford Coppola gearbeitet und sicher noch Großes vor sich hat. Nun aber sieht man das Werk als abgeschlossen, und kaum einen, der das Kino liebt, wird das nicht ein wenig schmerzen. Der SWR-Filmkritiker Herbert Spaich aber, der den Abend im Atelier am Bollwerk moderiert, spricht dieses Thema nicht an.
Das mag Takt sein, aber es passt auch gut zu Michael Ballhaus, zu dessen seltsamster Eigenschaft: der Fähigkeit, den Mittelpunkt einzunehmen und dabei bescheiden zu bleiben. Keinen Moment kokettiert Ballhaus mit der Abwehr von Komplimenten, nie verkleinert er die eigene Leistung, aber er geht über sie wie über etwas Selbstverständliches hinweg. Ballhaus will durchaus von sich erzählen, aber nicht kraftmeierisch self-made-stolz: „Ich hatte ein erstaunliches Leben, das macht mich zu einem glücklichen Menschen“ sagt er, wie einer, der sich für ein Geschenk bedankt.
Und weil er mit der Glückserfahrung nicht zu übertreiben scheint, kann er seine Aufmerksamkeit anderen widmen, von ihnen erzählen, als ginge es eigentlich um sie, all jene, die er vor und hinter der Kamera um sich hatte. Der Mann bleibt, auch wenn er sein Leben erzählt, ein Kameramann, einer, der Porträts der anderen anfertigt.
17 Filme mit Fassbinder
1935 in Berlin geboren, ist Ballhaus zum Film gekommen, als das in Deutschland kein Medium für große Ambitionen schien. Immerhin, beim Kriegsfilm „Hunde , wollt ihr ewig leben“ hätte er es beinahe zum Kameraassistenten geschafft, aber weil er zum Dreh hätte anreisen müssen und das der Produktion zu teuer war, bekam ein Kollege vor Ort den Zuschlag. „Sehr schade, das war ein toller Film“, sagt Ballhaus, und man merkt in diesem Moment, dass ihm Neid fremd ist: Er kennt nur die Freude des Gedankens, dass es auch andere schöne Gelegenheiten gebeben hätte.
So aber traf Ballhaus beim SWF in Baden-Baden auf Peter Lilienthal, einen jungen Regisseur mit Plänen, und so „habe ich angefangen, mit ihm über Film nachzudenken.“ Das Endprodukt dieses Denkens war der Abschied vom Fernsehen, den ihm Kollegen mit dem Hinweis auf die sichere Rente ausreden wollten. Er wiederholt ohne Schärfe, was er wohl schon damals ohne Verachtung für die Entscheidungen der anderen formuliert hat: „Das ist nicht mein Weg.“
Als er Ende der Sechziger auf den unbürgerlichen Brausekopf Fassbinder und dessen seltsame Produktionstruppe traf, war er der große Außenseiter: Ehemann, Familienvater, an Normen orientierter Profi. „Fernsehheini hat Fassbinder mich genannt, mich als einzigen gesiezt, er war sehr misstrauisch gegen mich“, erzählt Ballhaus vom Beginn einer Kooperation, die neun Jahre und 17 Filme lang anhalten sollte. Die beiden Ausnahmetalente haben einander herausgefordert, aus der Reserve gelockt und ergänzt: Weil Fassbinder einfach mal fragte, warum die Kamera nicht ganz um ein Paar herumfahren könne, entwickelte der Kameramann flugs jenen Technik, die als Ballhaus-Kreisel sein Markenzeichen wurde.
Begegnung interessanter Charaktere
Mit großer Wirkung hat er diese Technik auch immer wieder in den Filmen von Martin Scorsese eingesetzt, mit dem er in den USA unter anderem „Goodfellas“ und „Departed“ gedreht hat. Letzterer soll nach Ende des Gesprächs im Kino gezeigt werden, und zur Einleitung erzählt Ballhaus von untypischen Dreharbeiten, bei denen Scorsese nicht wie sonst minutiös vorbereitet war und von Altstar Jack Nicholson mehr oder weniger das Heft aus der Hand genommen bekam. „Irgendwann war Marty nicht mehr der Regisseur, kam morgens an den Set und fragte Nicholson: Jack, was willst Du heute machen?“
Typisch für Ballhaus ist, dass er diese Anekdote ohne Verkleinerung von Scorsese und ohne Dämonisierung von Nicholson vorträgt, als Begegnung interessanter Charaktere. Was er als Kameramann getan hat, kommt tief aus ihm heraus, dieses Bedürfnis, die Menschen gut aussehen und uns ihre besseren Seiten erkennen zu lassen.
Der Kameramann als Erzähler
Ghostwriter:
„Wir hatten auch Schwierigkeiten“, erzählt Michael Ballhaus über die Zusammenarbeit mit dem Journalisten Claudius Seidl, dem er seine Lebensgeschichte erzählt und der sie aufgeschrieben hat. Prompt fügt er ironiefrei hinzu: „Aber er hat das ganz prima gemacht.“
Lehrreiches:
Die Memoiren „Bilder im Kopf“ (DVA, 320 Seiten, 22,99) führen hinter die Kulissen des Filmgeschäfts, entblößen aber niemanden. Ballhaus macht Probleme verständlich, ohne Schuldigensuche zu betreiben.