Oksana Puzik hat viel durchgemacht und ist mit sieben ihrer Kinder vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Die Schulgemeinschaft der Vaihinger Waldorfschule unterstützt sie – doch eine Wohnung findet sich nicht.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Wenn Oksana Puzik nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, dann geht sie in den Wald und schreit ihre Sorgen hinaus – und Kummer hat die 41-Jährige oft. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine musste sie ihre Heimat verlassen. Zusammen mit sieben ihrer Kinder ist sie in einen Bus gestiegen, der von der Schulgemeinschaft der Michael-Bauer-Schule organisiert worden war, und nach Stuttgart gekommen. Der älteste Sohn ist 19 und noch immer in der Ukraine.

 

Es gibt wohl keinen Weg, ihn nach Deutschland zu bringen. Die Klasse 9b der Vaihinger Waldorfschule hat eine Art Patenschaft für Oksana Puzik und ihre Familie übernommen. Eltern und Kinder helfen mit Sachspenden bis hin zum Weihnachtsbaum und wann immer es etwas zu organisieren gibt – allen voran Julia Hansen und Andreas Weller. Derzeit sucht die ukrainische Familie verzweifelt nach einer Wohnung. Seit einigen Monaten wohnt Oksana Puzik in Büros der Firma Lutz Wärmeinstallationen am Rande des Synergieparks Vaihingen-Möhringen. Doch von Anfang an war klar, dass das nur eine Übergangslösung sein kann, denn die Firma braucht die Räume eigentlich selbst. „Wir haben schon alles versucht, alle Netzwerke ausgespielt, etwas für die Familie zu finden“, sagt Andreas Weller. Oksana Puzik will in der Nähe bleiben. Die schulpflichtigen Kinder besuchen die Michael-Bauer-Schule. Für sie ist diese zu einer Heimat geworden – die einzige, die sie noch haben. Die Mutter engagiert sich in der ukrainischen Kirchengemeinde in Stuttgart-West. Das gibt ihr Halt. „Wir wollen eine erneute Entwurzelung auf jeden Fall vermeiden“, betont Julia Hansen.

Die ganze Schulgemeinschaft packt mit an

Doch eine Wohnung für eine so große Familie zu finden, ist freilich schwer. „Es müssten schon drei bis vier Zimmer sein, damit die Kleinen auch mal zur Ruhe kommen, während die Großen noch wach sind“, sagt Julia Hansen. Und ein bisschen Grün drumrum wäre auch schön, damit die Kinder mehr Möglichkeiten haben, sich draußen zu bewegen. Die Miete würde vom Amt übernommen werden, so dass der Eigentümer diesbezüglich kein Risiko habe, ergänzt Julia Hansen und fügt noch an: „Wir fühlen uns für die Familie verantwortlich.“

Doch es ist nicht nur die Klasse 9b, die sich für aus der Ukraine geflüchtete Menschen einsetzt. Die ganze Schulgemeinschaft packt mit an. Der im Februar spontan organisierte Bus, um Menschen aus dem Kriegsgebiet herauszuholen, war da nur der Anfang. Viele Familien kamen vorerst privat innerhalb der Schulgemeinschaft unter. „Das war nicht immer einfach. Wenn man auf so engem Raum mit anderen zusammenwohnt und die Sprache nicht versteht, führt das auch zu Konflikten“, erzählt Julia Hansen. Die Kinder seien zum Teil auf dem Pausenhof angefeindet worden. „Wir haben dann aber schnell klar gestellt, dass wir solche Animositäten an unserer Schule nicht brauchen“, sagt Andreas Weller. Bis heute werden etwa 20 ukrainische Mädchen und Jungen an der Schule unterrichtet. „Manche tun sich noch immer schwer“, sagt Eugenia Muklis. Sie ist eine von fünf Lehrerinnen und Lehrern an der MBS, die Russisch sprechen und immer zur Stelle, wenn es Probleme gibt, zum Beispiel mit der Verständigung. Eugenia Muklis sagt, vor allem die Jüngeren hätten große Schwierigkeiten mit der Sprache. „Und sie sind müde von der ganzen Situation.“

Wie geht es weiter, wenn der Krieg endet?

An der MBS gebe es eine Art Patensystem für die ukrainischen Familien. Und für alle sei mittlerweile eine Bleibe gefunden worden, sagt Andreas Weller, mit Ausnahme von Oksana Puzik. Die Vergangenheit sei gut gewesen, sagt Oksana Puzik. Als junge Frau habe sie an der technischen Universität studiert und in der IT einer großen Firma gearbeitet. Als Mutter habe sie dann in ihrer alten Heimat viele Jobs gehabt, um etwas Geld hinzuzuverdienen. Doch mittlerweile sei sie alleinerziehend, nachdem ihr Mann übergriffig geworden sei. Oksana Puzik besucht einen Deutschkurs, und gerne möchte sie wieder arbeiten. „Sie lernt ganz fleißig“, betont Julia Hansen. Oksana Puzik geht davon aus, dass sie noch eine ganze Weile in Deutschland bleiben wird. Selbst wenn der Krieg ende, könne sie nicht sofort zurück, weil so viel zerstört sei, weil die Probleme zu groß seien. „Ich muss loslassen. Das wird mir von Tag zu Tag klarer. Ich weine oft und kann nachts nicht schlafen“, sagt sie, und dabei kommen ihr die Tränen. Sie ist dankbar, dass so viele Menschen sie unterstützen. Doch gleichzeitig ist es ihr unangenehm, Hilfe anzunehmen. Sie wolle nicht betteln, sagt Oksana Puzik und fügt hinzu: „So viel Liebe wie hier an der Schule habe ich noch nie gespürt.“

Wer helfen möchte, schreibt eine E-Mail an ukrainehilfe@michael-bauer-schule.de.

Menschen suchen Zuflucht

Zahlen
Der Angriff auf die Ukraine hat in Europa zur größten Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Im vergangenen Jahr haben in Baden-Württemberg 178 000 Menschen Zuflucht gesucht, davon 146 000 aus der Ukraine. Zum Vergleich: Im „Flüchtlingsjahr“ 2015 waren es 102 000 Menschen gewesen.

Kontakt
Wer helfen oder spenden möchte, schreibt eine E-Mail an ukrainehilfe@michael-bauer-schule.de.