Von Shakespeares schöner Sprache lässt sich mancher über die brutale Härte der Dramen hinwegtäuschen. Der Regisseur Justin Kurzel aber will uns den ganzen Schrecken von „Macbeth“ wieder spüren lassen. Leider macht er dabei sogar aus dem großen Michael Fassbender ein ganz kleines Licht.

Stuttgart - Alle Erscheinungen des Lebens spalten die Menschheit in feindliche Lager, nicht nur essenzielle Fragen wie jene nach dem Schütteln oder Rühren von Martinis. Auch zwei große Schulen des Shakespeare-Genusses verachten einander: die Theater-Schule, die glaubt, man könne Shakespeares Werke nur wirklich erleben, wenn die Fantasie des Barden live von Schauspielern auf die Bühne gebracht wird; und die Lese-Schule, die glaubt, man könne Shakespeare nur in stiller Versenkung im Kämmerlein würdigen.

 

Das Kino strebte früh zu Shakespeare, konnte aber keine dieser Schulen glücklich machen. Kaum hatten die Stummfilm-Pioniere ihre Handgelenke an die Kurbelansprüche früher Kameras gewähnt, kamen ihnen Hamlet, King Lear und Macbeth in den Sinn. An donnernde Schauspielerdeklamation war nicht zu denken, der Film war noch stumm, aber mit der stillen Versenkung war es auch nicht weit her. Die Texttafeln gaben nur Fetzchen der Shakespeare-Verse wieder, und der Kinoorganist sorgte für Stimmung im Saal bei jenen, denen das noch zu viel Text war. Mit anderen Worten: das Kino lag früh quer zum feingeistigen Shakespeare-Genuss – und Justin Kurzels neue Version von „Macbeth“ greift gar auf eine weit ältere Tradition zurück als auf jene der filmischen Kostüm- und Dialogpralinés, die Kenneth Branagh früher so gerne servierte.

Blut, Schlamm und Eingeweide

Der Australier Kurzel, der 2011 mit dem beißfreudigen, düsteren Krimi „Snowtown“ auffiel, will einen ungemütlichen „Macbeth“ fern der Behaglichkeit bildungsbürgerlicher Bücherschränke liefern, nämlich einen rohen Blut-, Schlamm- und Eingeweide-Shakespeare, der die Originalverse des Dichters in die Münder von brutalen Figuren legt, die aus einem Hack-, Schlitz- und Metzelstreifen der schmutzig existenzialistischen Sorte stammen könnten. Das ist immerhin näher dran an Shakespeares Geschichte als eine Fassung, bei der aller Dreck der Verbrechen hinterm Glanz der Sprache verschwindet.

Allerdings stößt Kurzel da auf ein Problem: der Ansatz ist nicht neu. Er ist ziemlich spektakulär und endgültig in einer spannenden Schmuddelbild-Edeltext-Schere schon 1971 von Roman Polanski just mit dem Macbeth-Stoff durchexerziert worden. Der Schatten dieses „The Tragedy of Macbeth“ betitelten Films liegt über Kurzels Bemühungen wie die doppelzüngigen Prophezeiungen der Hexen über dem Treiben von Macbeth und Konsorten.

Vertrotzt und kraftmeierisch

Wie der Clanführer die Königswürde verheißen bekommt, wie er seinen gerade noch gegen Rebellen verteidigten Lehnsherren meuchelt, wie er dann misstrauisch, depressiv und tyrannisch wird, wie seine Frau unter dem Druck der Entdeckungsangst überschnappt: diese Story würde Kurzel gerne härter ausgestalten als je einer vor ihm. Aber er weiß nicht wie.

So wird dieser „Macbeth“ eine Sammlung abstruser Manierismen, ein Bluffwerk, das in jeder Einzelpassage wie eine sehenswerte Shakespeare-Interpretation wirken mag, in Gänze aber eine vertrotzte Nichtigkeit ist, so kraftmeierisch unbeholfen und blasiert möchtegernklug wie nur je ein langer Abend deutschen Regietheaters.

Auch Fassbender enttäuscht

Am schlimmsten ist wohl Michael Fassbenders Darstellung des Titelschurken. Der vielseitige Fassbender, der eine große Kinoleistung nach der anderen abliefert, ob in „Jane Eyre“, „12 Years a Slave“ oder dem bald startenden „Steve Jobs“, stellt uns nun ausgerechnet eine zentrale Shakespeare-Figur wie eine gusseiserne Nachttischlampe vor die Kamera, die nur eine Botschaft hat: „Mein Birnchen ist kaputt, mein Birnchen ist kaputt.“

Doch das Statuarische und Abweisende der Charaktere, um die herum die Nebenfiguren zu Kunstnippes von Kurzels Düsterdesignwillen erstarren müssen, ist Konzept. Auch Marion Cotillard darf aus ihrer Lady Macbeth nie mehr als die Andeutung einer Verirrten machen, die nicht so schuldig ist wie die gierigen Antreiberinnen gängiger „Macbeth“-Interpretationen.

Es genügt nicht, unbequem und originell sein zu wollen. Man muss dann auch etwas frisch Beunruhigendes aus dem Stück herausholen und neue Sichtweisen bieten. Justin Kurzel bringt nur einen verquälten Stilwillen zuwege, der keine 113 Minuten trägt. Das Bedürfnis nach kurios danebengehendem Shakespeare kann man auch mit den alten Stummfilmen befriedigen, von denen man etliche – wenn auch leider nicht den verlorenen, ersten „Macbeth“ von 1898 – auf Youtube findet.

Macbeth. Großbritannien 2015. Regie: Justin Kurzel. Mit Michael Fassbender, Marion Cotillard, Jack Reynor, David Thewlis, Sean Harris, Paddy Considine. 113 Minuten. Ab 12 Jahren.