Michael Mattig-Gerlach ist ein Mann, der vor unbequemen Situationen nicht zurückschreckt, im Gegenteil, er ziehe sie an, sagt er. Zurzeit kämpft der Vorsitzende des Elternbeirats am Paracelsus-Gymnasium um die Lichthöfe der Schule.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Und wieder hebt Michael Mattig-Gerlach die Hand, um einen Vorbeigehenden zu grüßen. Er ist am Paracelsus-Gymnasium, kurz PGH, bekannt wie ein bunter Hund. Mattig-Gerlach sitzt im Foyer, ein paar Schritte weiter kickern sich ein paar Schüler durch die Pause. Wenn er den Kopf nach rechts dreht, sieht er durch die Scheibe auf den Lichthof, die Sonne scheint auf die rostigen Skulpturen. In den vergangenen Monaten ist Mattig-Gerlach, seit zwei Jahren Vorsitzender des Elternbeirats, zum Gesicht der Schule geworden, zum Gesicht des Widerstands.

 

Kampf gegen die Monster-Mensa

Alles begann, als im Frühjahr 2015 bekannt geworden ist, dass sich die Stadtverwaltung die beiden Lichthöfe des Gymnasiums als Baugrund für eine neue Mensa ausgeguckt hat. Lehrer und Eltern gingen auf die Barrikaden, allen voran: Mattig-Gerlach. Wie viele Stunden er seither in den Kampf gegen die Monster-Mensa, wie er die Pläne der Stadt nennt, gesteckt hat, weiß er nicht. Ist ihm auch egal, er habe getan, was zu tun ist, notfalls nachts. „Schlafen kann man, wenn man tot ist“, sagt der 66-Jährige, der nicht selten ins Bett geht, wenn die Welt vor seinem Fenster langsam erwacht.

So wie es aussieht, hat sich der Einsatz fürs PGH gelohnt. Mattig-Gerlach gibt sich entspannt, er wisse die Grünen, die CDU und die SPD im Gemeinderat hinter sich. Es wird an einer Alternative gearbeitet. „Was allen Gemeinderatsfraktionen klar geworden ist: Das PGH wird nicht einknicken“, sagt Mattig-Gerlach. Notfalls „würden wir hier in den Widerstandsmodus gehen“. Der reiche von juristischen Schritten bis hin zum Schulstreik.

Erfahrung mit Protest

Mit dem Protestieren hat Mattig-Gerlach Erfahrung. „Ich bin ein Achtundsechziger“, sagt er, als würde das alles erklären. „Ich bin noch nie durch die Gegend gerannt und habe gesagt: Das betrifft mich nicht.“ Der Mann, der zum Beispiel Ende der 1960er-Jahre gegen die NPD auf die Straße ging, ist über die Jahre nicht ruhiger geworden. Da ist er in seiner Altersgruppe offensichtlich eher die Ausnahme. Er erzählt von einem Klassentreffen: „Da habe ich noch zwei, drei Leute gesehen, mit denen könnte ich heute noch Scheißhäuser stürmen“, sagt er. Der große Rest hat sich seinem Gefühl nach im Leben eingerichtet und schaue auch mal weg, wenn’s unangenehm werde. Das könnte er nie. Seine Stimme ist fest, als er das sagt, sein Blick feurig. Passt ihm was nicht, versucht er es zu ändern. Mattig-Gerlach sagt, wenn es ein Problem gebe, suche er nach einer Lösung. Was auch sonst? Der auf seinen Pulli gedruckte Alaska-Bär scheint zustimmend zu brummen. „Ich bin immer bei den Minderheiten“, sagt er. „Mainstream? Was soll ich damit?“

Nein, Michael Mattig-Gerlach führt kein Mainstream-Leben. Und das liegt nicht nur daran, dass er sich oft die Nächte am Schreibtisch um die Ohren schlägt. Mattig-Gerlach hat einen Beruf, der alles andere als nullachtfünfzehn ist. Er reist um die Welt und erzählt mit der Fernsehkamera die Geschichten entlegener Orte. Er ist irgendwie schon überall gewesen, gut, Nordkorea und China fehlen noch – und Japan. Aber nach Japan zieht es ihn nicht, „da gibt’s nur Fisch“. Er lacht tief und wirkt selbst wie ein Bär. Gedreht hat er Sendungen wie „Länder, Menschen, Abenteuer“ und auch Beiträge für die Eisenbahnromantik. Aber vor allem Reisereportagen, die von Orten berichten, die nicht Teneriffa oder Kalifornien heißen. „Ich gehe dorthin, wo sonst keiner hingeht.“ In Alaska war Mattig-Gerlach schon fünfmal. „Meine zweite Heimat“, die Gegend entspreche ihm. „Alaska ist absolut wild. Es reißt nur jedes Mal ein tiefes Loch in die Kasse.“

Aus Mattig-Gerlach hätte auch ein Lehrer werden können. Er hat in Darmstadt und Frankreich auf Lehramt studiert, nebenher hat er bei der Zeitung und dem Rundfunk Geld verdient. Nach fünf, sechs Jahren vor Schulklassen hat er hingeworfen, er habe bei älteren Kollegen beobachtet: „Bei denen ziehen sich irgendwann die Mundwinkel runter.“ Deshalb wandte er sich dem Journalismus zu.

Überquerung der Beringstraße als Live-Schalte

Am 20. März geht es für zehn Tage nach Gabun, Zentralafrika. Dafür plant Mattig-Gerlach seit zwei Monaten. Und im Sommer beginnt ein besonderes Projekt: Bekannte aus Litauen wollen offroad um die Welt, „das heißt, keine geteerte Straße“, sagt er. Mattig-Gerlach und seine Kamera werden immer wieder zu den Weltumrundern stoßen, so zum Beispiel in der Wüste Gobi, am Nordkap oder in Brasilien, wo Indianer ausgerottet würden. „Das ist wieder so eine Sache, bei der ich sagen könnte, dass es mir egal sein könnte. Ist es aber nicht, seit ich es weiß.“ Gespannt ist er vor allem auf die Überquerung der Beringstraße mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen. Geplant sei eine Live-Schalte im ARD-Morgenmagazin.

Bis zum Ruhestand hat Mattig-Gerlach für den Südwestrundfunk gearbeitet. Mit seiner Firma „MG Medien“ hat er sich selbstständig gemacht. Langweilig wird es dem 66-Jährigen ganz sicher nicht. Sein Arbeitszimmer muss aussehen. „Ja, das ist Chaos und Co. KG“, sagt er. Aber er verzettele sich nie, trotz all der Stapel auf dem Tisch. Das Papier sage ihm stattdessen, „dass es etwas zu tun gibt“.