Wenige Stunden nach dem Rücktritt des alten Regierungschefs bekommt Russland gleich einen neuen: Michail Mischustin. Er ist der Wunschkandidat des Kremls, aber auf dem politischen Parkett kaum bekannt. Was will Putin mit dieser Personalie erreichen?

Moskau - Nach dem überraschenden Rücktritt der russischen Regierung hat das Unterhaus des Parlaments den Leiter der Steuerbehörde Michail Mischustin planmäßig als neuen Ministerpräsidenten bestätigt. Die Duma-Abgeordneten stimmten am Donnerstag in Moskau mit überwältigender Mehrheit für den Wunschkandidaten von Präsident Wladimir Putin (67). 383 votierten demnach dafür. Es gab keine Gegenstimmen, aber 41 Enthaltungen. Seine Arbeit kann Mischustin aufnehmen, wenn der Kremlchef dies mit seiner Unterschrift bestätigt. Das aber gilt als reine Formsache.

 

Damit wird Russland innerhalb eines Tages nach dem Rücktritt der alten Regierung einen neuen Ministerpräsidenten bekommen. Es ist davon auszugehen, dass Putin dies von langer Hand geplant hat. Experten glauben, dass er sich damit Optionen schafft, um nach Ende seiner Amtszeit 2024 weiter an der Macht bleiben zu können. Mischustin ist politisch bislang kaum in Erscheinung getreten. Er leitete zuletzt die Steuerbehörde. Beobachter schließen nicht aus, dass der 53-Jährige nur ein Übergangskandidat sein könnte.

Politisches Erdbeben

Der Rücktritt der Regierung am Mittwoch hatte in Moskau ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die Regierung unter Dmitri Medwedew war zwar in der Bevölkerung sehr unbeliebt, mit dem Rücktritt hatte zu diesem Zeitpunkt aber niemand gerechnet. Der Ministerpräsident hatte 2012 von Putin das Amt übernommen, zuvor war er vier Jahre lang Präsident. Medwedew soll nun Vize-Chef im Sicherheitsrat werden.

Mischustin kündigte in der Duma als einer seiner ersten Schritte Wirtschaftsreformen an. „Das Wichtigste ist, die Schranken für Geschäftsleute abzubauen“, sagte er. Es sei wichtig, für ein besseres Geschäftsklima zu sorgen. Die Wirtschaftslage bezeichnete er als stabil, obwohl das größte Land der Erde unter einer lahmenden Konjunktur leidet. Mischustin hatte in der Steuerbehörde viele Modernisierungen angestoßen und ein digitales System eingeführt.

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„Wir haben die notwendigen finanziellen Ressourcen, um alle vom Präsidenten gestellten Aufgaben zu erfüllen“, sagte er mit Blick etwa auf die von Putin versprochene Hilfe für Familien mit geringem Einkommen. Mischustin sprach sich dafür aus, mehr Agrarprodukte zu exportieren. „Die Lebensmittelsicherheit im Land ist fast vollständig gewährleistet.“ Russland müsse zudem mehr für Einnahmen sorgen, wie genau, ließ Mischustin aber zunächst offen.

Unklar war zunächst, welche Ministerposten neu besetzt werden. Eine Entscheidung dazu wurde am Donnerstag zunächst nicht erwartet. Außenminister Sergej Lawrow sagte der Agentur Interfax zufolge: „Ich habe meine Pflichten immer ehrlich erfüllt. Das mache ich jetzt weiter.“ Vermutet wird, dass neben Lawrow auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Energieminister Alexander Nowak im Amt bleiben werden. Der Chef des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, appellierte indirekt, nicht alle Minister auszuwechseln.

Stimmen aus Deutschland

In Deutschland ist der Regierungswechsel zurückhaltend aufgenommen worden. „Mischustin wird jemand sein, der sicherlich genau in dem Sinne, wie Putin es möchte, dieses Amt führen wird“, sagte der Vize-Chef der deutsch-russischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Michael Link (FDP). „Er wird keine eigenen Akzente setzen können.“

Wenige Stunden vor dem Rücktritt hatte der Kremlchef eine Rede an die Nation gehalten und dabei Änderungen in der Verfassung angekündigt. Deshalb gehen viele Kommentatoren davon aus, dass diese Ankündigung und der Rücktritt direkt zusammenhängen. Putin kann nämlich laut Verfassung nur noch bis 2024 das Land führen. Dass er sich danach als Privatmann aus der Politik zurückzieht, ist wohl auszuschließen.

Das soll sich ändern

Putin hat angestoßen, dass das Parlament mehr Macht bekommen soll. Dabei geht es unter anderem darum, dass die Duma künftig entscheiden soll, wer Ministerpräsident wird und wer Stellvertreter. Auch über die einzelnen Minister soll das Parlament bestimmen. Bislang lag all das in der Hand des Präsidenten. Details ließ Putin aber offen.

Aufhorchen ließ seine Forderung, dem Staatsrat einen Verfassungsrang zu geben. In dem Gremium sitzen Spitzenpolitiker und die Gouverneure der Regionen. Unklar war zunächst, welches Ziel Putin mit diesem Schritt verfolgt. Er will außerdem durchsetzen, dass internationales Recht nur noch dann angewandt werden kann, „wenn es nicht im Widerspruch zu unserer Verfassung steht“.