Michel Friedman und der Brite Tim Sebastian nehmen im Programm der Deutschen Welle die Mächtigen dieser Welt in die Zange. Ihre „Konflikt-Interviews“ machen Furore. Warum gibt es so ein Talk-Format eigentlich nicht auch bei ARD und ZDF?

Stuttgart - Wenn am Sonntag Anne Will aus der Sommerpause zurückkehrt, ist die Riege der Polit-Talkmaster von ARD und ZDF fast wieder komplett aktiv – bis auf Sandra Maischberger, die noch bis zum 21. September pausiert. Dann setzt sich auch das verbale Hauen und Stechen in diesen Sendungen derart fort, dass einem angst und bange werden könnte. Alarm schlagende Sendetitel wie „Anschlag in Würzburg: Sind wir dem neuen Terror schutzlos ausgeliefert?“, von der Maischberger-Redaktion erdacht, treiben, wie man hört, auch sprachsensible ARD-Chefs regelmäßig auf die Palme.

 

Unmut über die öffentlich-rechtliche Rederei und Titelei begleitet das Genre Polit-Talkshow von Anbeginn. Und er ebbt auch nicht ab, seit sich der ARD-Talker Reinhold Beckmann ins Reportage-Fach zurückzog. Der Medienforscher Lutz Hachmeister sagte kürzlich der „taz“: Die Talkshow habe sich „überlebt“. Und der Filmemacher Volker Heise („24 Stunden Berlin“) kritisierte in der „Berliner Zeitung“: Talkshows seien „der singende und klingende Rundfunkrat, alle Parteien dürfen mit an den Tisch. Hart angegangen wird niemand“.

Die BBC stellt härtere Fragen

Wirklich „niemand“? Eine härtere Form der politischen Auseinandersetzung – es gibt sie schon. Versteckt im deutschen Auslandsfernsehen. Während ARD und ZDF es offenbar aufgegeben haben, Formen und Formate der politischen Bildung jenseits des Talkshow-Prinzips „mehrere Gäste, mehrere Meinungen“ zu entwickeln, pflegt die Deutsche Welle mit „Conflict Zone“ eine Gesprächs-Variante, die in Vergessenheit geraten ist (außer es ist Sommer, und Merkel & Co. bitten zum Tête-à-Tête ins Grüne): das politische Einzelgespräch.

Bei „Conflict Zone“ sitzen sich jede Woche ein Gast und ein Moderator gegenüber. Eine halbe Stunde Konfrontation pur, ohne Publikum und Einspielfilmgedöns. Beileibe kein Wohlfühlprogramm, sondern ein „Hard Talk one to one“, wie ihn die Amerikaner und Briten in ihrem Fernsehen schätzen. Was das genau bedeutet, hat in dieser Woche der türkische Sportminister Akif Kiliç erfahren.

Er habe „ein normales Konflikt-Interview“ mit dem Minister geführt, erklärte Michel Friedman am Mittwoch; der frühere ARD-Talker („Vorsicht! Friedman“) ist im April als zweiter Gastgeber neben dem Briten Tim Sebastian zu „Conflict Zone“ dazu gestoßen. Seine Fragen oder vielleicht auch seine Art zu fragen missfielen Kiliç. Nach Friedmans Angaben beschlagnahmte die türkische Seite den Speicher-Chip mit dem Interview, sodass die Deutsche Welle über keinerlei Aufzeichnung mehr verfügt. Journalistenvereinigungen und auch die Bundesregierung protestierten im Namen der Pressefreiheit.

Die Aufregung in diesem „Interview-Streit“ ist also ziemlich groß für eine kleine, englischsprachige Sendung, die es seit einem Jahr gibt und von der hierzulande in der Regel kaum einer Notiz nimmt – was auch daran liegt, dass das DW-Programm in Deutschland nur via Internet gesehen werden kann. Von Nachteil ist die eingeschränkte Verbreitung indes nicht unbedingt.

Tim Sebastian zeigt, wie es geht

Zum viralen Hit mit mehr als einer Million Abrufen wurde zum Beispiel ein Interview, das Tim Sebastian, frühere BBC-Koryphäe und Hauptmoderator von „Conflict Zone“, im Frühjahr mit der AfD-Parteichefin Frauke Petry führte. Nach mehrheitlicher Meinung ging eindeutig der Gastgeber als Sieger vom Platz. Er habe Frau Petry „demontiert, auseinandergenommen und entlarvt“, wurde anerkennend über Sebastian geschrieben. Erleichterung schwang mit: Endlich hat es mal einer den Rechtspopulisten so richtig gezeigt.

In den Nachbetrachtungen dieser denkwürdigen Sendung ging die Frage unter, warum so ein „entlarvendes“ Eins-zu-eins-Gespräch eigentlich nicht auch in den zuschauerstarken Hauptprogrammen zu sehen ist. Frauke Petry solo bei „Anne Will“, so wie jüngst Angela Merkel?

Unter deutschen (Fernseh-)Journalisten wird gestritten, ob man Menschen mit radikalen politischen Ansichten beziehungsweise konkret der AfD überhaupt eine Bühne bieten soll. So argumentierte der Verleger des „Freitag“, Jakob Augstein, auf dem diesjährigen Jahrestreffen Netzwerk Recherche: „Die Debatte mit einer Frau, die unanständig ist, ist im Fernsehen nicht zu gewinnen. Und Frauke Petry ist unanständig.“

Auch in Großbritannien wurde diskutiert, wie sich das Fernsehen den rechtsextremen Parteien stellen soll, erzählt Tim Sebastian bei einem Gespräch mit dieser Zeitung in Köln. Seine Meinung: Man muss die Radikalen öffentlich befragen und ihre Politik eingehend überprüfen. Es sei sogar „gefährlich, Menschen auszuschließen, die nicht die Meinung des Mainstreams teilen“.

Sebastians Fragestil ist nicht unumstritten. So wie dem stilistisch ähnlich gepolten Michel Friedman wird auch Sebastian vorgeworfen, sein Gegenüber unangenehm beharrlich zu befragen und rüde zu unterbrechen. Sebastian verteidigt seine Art der Gesprächsführung: „Interviews sind keine Aufforderung an den Interviewpartner, einen Vortrag zu halten. Sie oder er muss auf eine direkte Frage antworten.“ Und manchmal müsse man eben sehr direkt und hartnäckig vorgehen, um zur Wahrheit vorzudringen. „Wir Journalisten müssen die Menschen, die uns regieren, zur Rechenschaft ziehen.“

Damals im März musste Frauke Petry Rechenschaft ablegen. Als die Kameras aus waren, so erzählt es Sebastian, habe eine ziemlich erboste AfD-Chefin zu ihm gesagt: Sie glauben wohl, das sei guter Journalismus. So macht man das aber in Deutschland nicht.

Frauke Petry gerät in die Mangel

In diesem Fall hat Frauke Petry recht. Wie Sebastian sie etwa mit der Frage „grillte“, ob sie stolz sei, die Möglichkeit in Betracht gezogen zu haben, dass auf Flüchtlinge an der Grenze geschossen wird, wirkt nach. Sein Name taucht regelmäßig in Kommentaren auf, wenn sich angeblich wieder einmal ein deutscher Fernsehjournalist blamiert hat, weil er oder sie nicht „hart gefragt“ oder „die falschen Fragen“ gestellt habe.

Die ARD, mit drei Polit-Talks im Ersten vertreten, bleibt derweil ihrem bisherigen Kurs treu. Auf die Frage, warum es im Ersten keinen „Hard Talk“ à la Tim Sebastian gebe, lässt der ARD-Chefredakteur Rainald Becker mitteilen: Zwar habe auch das Erste Erfahrungen mit Einzelgesprächssendungen gemacht, eben mit Friedman oder Gabi Bauer. Sie seien aber im Vergleich mit den derzeitigen politischen Talkshows „eher schlechter“ angekommen. „Offensichtlich schätzt das deutsche Publikum die direkte Konfrontation weniger und will verschiedene Meinungen hören, um sich selbst ein Urteil zu bilden“, schlussfolgert Becker.

Womöglich ist es aber auch so, dass es gerade den von der Politik kontrollierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besonders wichtig ist, dass möglichst alle Parteien und Meinungen – die Ausgewogenheit! – mit am Tisch sitzen. In seinem Mutterland England gelte diese eiserne Regel nicht, sagt Tim Sebastian.