In einem Wohnquartier am Vaihinger Ortsrand treibt ein Konflikt seltsame Blüten. Die Front verläuft entlang der Blumenkübel. Protokoll einer Eskalation.

Vaihingen - Die Front verläuft entlang der Blumenkübel. Eines Morgens waren sie weg. Wo eine Mieterin Puzzlebilder aufgehängt hatte, zeichnen sich Umrisse auf gelbem Grund ab. Doppelklebebandfetzen baumeln herab. Nicht besser erging es den Schuhschränken. Auch sie sind weg. Ende Januar waren Möbelpacker angerückt und hatten kurzerhand einige Flure im Lauchhau geräumt.

 

Ein Skandal, behauptet eine Mieterinitiative, die sich kürzlich gebildet hat. Ein normaler Vorgang, behauptet die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), die die Sozialwohnungen vermietet. Und mittendrin Ursel Beck. Die Stadt will doch nur dicke Profite einstreichen, behauptet sie. Beck ist Trotzkistin, wohnt gar nicht im Lauchhau, mischt aber trotzdem kräftig mit. Sie mache Wahlkampf, behauptet das Unternehmen, und ist stinksauer.

Die Eskalation beginnt, inzwischen wird mit Kündigung gedroht

Der Ton ist inzwischen so scharf auf einer nach oben scheinbar offenen Eskalationsskala, dass unglaublich erscheint, wie alles anfing. Im Dezember war der Hausmeister in den Häusern Lauchhau 20 bis 32 und an der Stiftswaldstraße 5 bis 17 unterwegs gewesen und hatte sich die Möbel auf den Fluren notiert.

Die SWSG müsse eben sehr genau hinschauen, „ob Fluchtwege verstellt sind oder brennbare Gegenstände in den Hausfluren stehen, die im Brandfall zu einer tödlichen Falle werden können“, sagt deren Pressesprecher Peter Schwab. Schreiben wurden aufgesetzt, die die Mieter aufforderten, die Flure zu räumen. Ein erstes wurde am 20. Dezember versandt, ein zweites am 23. Dezember, ein drittes am 27. Dezember.

Von den 400 Mietern im Lauchhau wurden insgesamt 124 Mieter angeschrieben. 98 davon räumten die Gegenstände weg, 26 nicht. Nachdem die letzte Frist verstrichen war, rückten die Möbelpacker am 27. Januar an, rupften die Bilder von der Wand, schleppten die Blumentöpfe weg und lagerten alles in einem Keller ein. Die Betroffenen sollten jeweils 130 Euro für die Entsorgung zahlen, ihre Sachen dürften sie darüber hinaus wieder abholen. Eine Spirale setzte sich in Gang, an deren Ende doch recht unverblümt mit Kündigung gedroht wird.

Die Mieter ärgern sich über den gesichtslosen Moloch SWSG

„Viele Mieter haben Angst“, sagt Bettina Kienzle, die ebenfalls 130 Euro zahlen muss und einen Anwalt eingeschaltet hat. Da sei „auf einen Schlag so ein Räumkommando gekommen. Wir sind fassungslos.“ Kienzle ist die Sprecherin eben jener Mieterinitiative, die sich Mitte Februar formiert hatte. Circa 20 Mitstreiter hatten sich damals im Naturfreundehaus im Büsnauer Rain getroffen, um sich zusammenzutun.

Sie ärgern sich über aus ihrer Sicht schlechte Instandhaltung, zu hohe Nebenkosten und miserablen Service. Seit Langem fühlen sie sich von der SWSG gegängelt, diesem gesichtslosen Moloch, den man nur über eine Hotline erreichen kann.

Die linke Aktivistin ist für das Unternehmen ein rotes Tuch

Wo Menschen arbeiten, menschelt es eben, auch wenn Samir Sidgi bemüht ist, das Gegenteil zu belegen. Sidgi ist Prokurist bei der SWSG, zuständig für das Bestandsmanagement und führt durch das Wohnquartier. Es geht vorbei an Wäschespinnen, Haufen von wild abgestelltem Sperrmüll an Straßenecken und sauber eingefassten Müllcontainern, darauf weist er eigens hin.

Auch die rechteckigen Umrisse auf der gelben Wandfarbe stehen auf dem Programm und der Keller mit den weggeräumten Möbeln. Das meiste wurde schon abgeholt, einige übrig gebliebenen Pflanzen lassen die Blätter hängen. „So etwas kommt oft vor“, sagt Sidgi. Die Räumaktion, die Rechnung, alles üblich, schließlich verwaltet das Unternehmen 18 000 Wohnungen.

Aber die Frau Beck, das gibt er unumwunden zu, sei ein rotes Tuch für ihn. Die Vorwürfe sind schwerwiegend. Sidgi sagt, Beck bausche systematisch nichtige Vorgänge zu vermeintlichen Skandalen auf.

Sidgi wirft Beck Wahlkampf auf dem Rücken der Mieter vor

Beck ist eine linke Aktivistin. Der Kampf ist ihr Ding. Sie ist Mitglied der Sozialistischen Alternative, die sich in der Tradition von Marx und Engels sieht. Bei den S-21-Montagsdemos stand sie auf der Bühne. Im Rahmen einer Lobbyisten-Konferenz wurde die sitzstreikende Atomkraftgegnerin von Polizisten davongetragen, weshalb ihr ein Gericht 150 Euro aufbrummte. Sie koordiniert die Arbeit der stadtweit inzwischen fünf SWSG-Mieterinitiativen. Und für die Linke tritt sie bei den Gemeinderatswahlen auf Listenplatz sechs an.

Ihre Klientel wohne eben vor allem in Gegenden wie dem Lauchhau, meint Sidgi. Ständig verbreite sie Gerüchte unter Mietern, Stadträten und Bezirksbeiräten. In der Gründungsversammlung im Naturfreundehaus etwa war sie mit dabei und hatte der Wohnungsbaugesellschaft unter anderem Betrug unterstellt. Und erst vor einer Woche hatte sie sich schriftlich bei Finanzbürgermeister Michael Föll über „einen besonders krassen Fall einer Schikane“ im Lauchhau beschwert. „Am 25. Mai wird das schlagartig aufhören“, sagt Sidgi, der Prokurist. An diesem Tag wird gewählt.

„Zum Glück wohne ich nicht bei denen“

Beck muss lachen. „Da können sie sich sicher sein, dass das nicht der Fall sein wird“, sagt sie. Schon richtig, sie kandidiere für die Linken, aber auf einem aussichtslosen Platz. „Natürlich mache ich keinen Wahlkampf.“ Das Unternehmen sei es eben nicht gewohnt, „dass sich die Mieter wehren“. Jedenfalls skandalisiere sie nicht. „Die Skandale produziert die SWSG selber.“ Dann spricht sie von „rabiatem Vorgehen“, „horrenden Rechnungen“ und davon, wie unglaublich es sei, „wie mit langjährigen Mietern umgegangen wird“.

„Zum Glück“, sagt sie, „wohne ich nicht bei denen“. Ein Zuckerschlecken sei das nicht. „Mein Eindruck ist, dass es da einen Einfluss der Stadt gibt, möglichst hohe Gewinne zu machen und die Klientel loszubekommen.“ Diese Woche wollte sie zusammen mit Bettina Kienzle die Abrechnungen für die Häuser im Lauchhau einsehen. Die SWSG hat ihr den Zutritt verboten.