Der Streit des Bau- und Wohnungsvereins Stuttgart (BWV) mit zwei Mietern setzt sich vor dem Landgericht fort. Dort konnte keine Einigung erzielt werden.

Stuttgart - Zwei Abrisshäuser an der Beethovenstraße in Botnang sorgen erneut für Wirbel. Am Mittwoch stand die Berufungsverhandlung vor der 4. Zivilkammer des Landgerichts an. Zwei Mietparteien stemmen sich gegen die Kündigungen ihrer Wohnungen durch den Bau- und Wohnungsverein Stuttgart (BWV). Vor dem Landgericht versammelten sich Unterstützer der Mieter und demonstrierten gegen den Abriss der zwei Häuser aus dem Jahr 1927. Sie befürchten, die Wohnungen in den geplanten Neubauten seien für Durchschnittsmieter nicht mehr erschwinglich.

 

Das Amtsgericht hatte im April 2016 die Kündigungen der zwei verbliebenen Mieter – 46 Parteien sind bereits ausgezogen – für unwirksam erklärt, da ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht ausreichend begründet gewesen sei. Das sehen die drei Richterinnen der 4. Zivilkammer, vor der die Berufung des BWV gelandet ist, anders. Die Kammer stuft die Kündigungen als „ Verwertungskündigungen“ ein. „Wir tendieren dazu, die Kündigungen, anders als das Amtsgericht, als wirksam einzustufen“, so die Vorsitzende Richterin Evelyn Oldermanns. Es bestehe ein berechtigtes Interesse des Eigentümers an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Häuser. Soll heißen: Er kann abreißen und neu bauen. Die Stadt hat bereits die Abriss- und Baugenehmigung erteilt.

Richterin: „Wir treffen keine politischen Entscheidungen“

Ilja Gerhardt, der mit seiner schwangeren Partnerin und zwei kleinen Kinder in einer der Wohnungen lebt, beklagt, mit der Kündigung greife der BWV eklatant ins Leben seiner Familie ein. Sie sei nicht sauber begründet, der Zustand des Gebäudes an der Beethovenstraße sei nicht so schlecht wie dargestellt. Sein Anwalt Ulrich-Michael Weiss springt ihm bei: „Das Gebäude ist in gutem Zustand, eine Modernisierung wäre möglich.“ So könnte man bezahlbaren Wohnraum vor allem in einer Stadt wie Stuttgart erhalten. „Wir können hier keine politischen Entscheidungen treffen, wie sind an den Gesetzestext gebunden“, stellt Richterin Oldermanns klar.

Der zweite Mieter, der sich gegen die Kündigung wehrt, ist Wolfgang Reitzig, der seine 91 Jahre alte Mutter in der gekündigten Wohnung pflegt. Die ältere Dame wohnt seit 43 Jahren an der Beethovenstraße, ein Umzug würde sie nicht überstehen, so Reitzig. Derzeit ist die Seniorin in einem Pflegeheim. „Sie will aber zurück nach Hause“, so Reitzig.

Der BWV will die Gebäude an der Beethovenstraße 60 bis 70 abreißen lassen und neu bauen. Entstehen sollen wieder 48 Wohnungen, aber moderner und barrierefrei. Zudem ist eine Tiefgarage geplant.

Vorwurf an den Eigentümer

Der Streit war unter anderem auch in die Schlagzeilen geraten, weil im November 2016 in einem der Häuser eine Polizeiübung angesetzt war. Der Bau- und Wohnungsverein sah sich daher dem Vorwurf einer drastischen „Entmietungsaktion“ gegenüber. Mit der Übung habe er die zwei verbliebenen Mietparteien vertreiben wollen. Der BWV verwahrte sich gegen diesen Vorwurf, die Polizei sagte die geplante Übung in leer stehenden Wohnungen ab.

Die Zivilkammer regt an, sich zu einigen. Anwalt Harald Zeitvogel, der den BWV vertritt, bietet den Mietern jeweils 10 000 Euro an, wenn sie bis Ende April dieses Jahres ausziehen. Zusätzlich will der BWV 14 000 Euro an soziale Einrichtungen in Botnang spenden – als indirekten Ausgleich an die 46 Mieter, die bereits ohne Abfindung ausgezogen sind.

Ilja Gerhardt und Wolfgang Reitzig lehnen das Angebot als zu niedrig ab. Also muss die 4. Kammer entscheiden. Das Urteil soll am 1. Februar verkündet werden.