Der Bundesdirektor des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, geht von 800 000 bis eine Million fehlenden Wohnungen in Deutschland aus. Der Teilnehmer des StZ Kongresses Die Stadt der Zukunft der rät wegen steigender Mietpreise, ins Umland von Städten zu ziehen.

Stuttgart - Der Direktor des Mieterbundes verlangt eine „Offensive“ beim Wohnungsbau. Es fehlten deutschlandweit 800.000 bis eine Million Wohnungen. Lukas Siebenkotten diskutiert beim StZ-Kongress Die Stadt der Zukunft mit.

 
Haben wir schon eine Wohnungsnot?
Den Begriff Wohnungsnot kennen wir aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, da war sie extrem. Aber wir sind nicht weit davon entfernt, insbesondere in Universitätsstädten und den Metropolen. Es gibt eine erhebliche Wohnraumknappheit. In Berlin haben wir extreme Mietpreissteigerungen, da war das Mietniveau zwar deutlich niedriger als in anderen Hauptstädten wie Paris, London oder Rom. Da will man aber jetzt offenbar dringend etwas nachholen. Bei Neuvermietungen im Zentrum werden ohne Probleme 14 bis 15 Euro pro Quadratmeter verlangt, vor wenigen Jahren lagen wir bei sechs bis sieben Euro. Deutschlands Mietenhauptstadt ist aber München.
In Stuttgart hatten wir ein Anziehen der Immobilienpreise in einem Jahr um gut elf Prozent, die Mieten steigen ständig. Was raten Sie eigentlich wohnungssuchenden Familien?
Ich muss leider den Rat geben, sucht ein bißchen weiter draußen. Mieten im zentralen Bereich einer Stadt wie München, Stuttgart, Berlin oder Köln sind oft nicht mehr bezahlbar. Das ist ärgerlich, denn die Menschen wohnen heute gerne nahe am Arbeitsplatz, was ja auch ökologisch sinnvoll ist.
Hat die Politik beim sozialen Wohnungsbau geschlafen?
Der Bund hat dafür bisher den Ländern 519 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Ab 2017 wird die Summe verdreifacht auf 1,5 Milliarden Euro jährlich, und zwar drei Jahre lang. Das ist ein guter Anreiz. Aber wir brauchen mehr, wir brauchen eine Offensive im sozialen Wohnungsbau und dafür müsste man den Betrag auf jährlich vier bis fünf Milliarden Euro erhöhen. Bei bezahlbaren Wohnungen dürfen wir nicht kleckern, wir müssen klotzen um den Nachholbedarf zu decken. Wir hatten in den 80er Jahren noch 3,5 Millionen Sozialwohnungen, heute sind es noch weniger als 1,5 Millionen. Weil die soziale Bindung zumeist nach 30 Jahren endet, verschwinden jährlich 80.000 bis 100.000 Wohnungen aus dem sozialen Status. Es werden nur etwa 15.000 im Jahr nachgebaut, wird da nicht geklotzt, gibt es irgendwann gar keine mehr.
Alle Wohnungstypen zusammengerechnet – wie viel brauchen wir?
Unserer Ansicht nach fehlen in Deutschland 800.000 bis eine Million Wohnungen. Um den Rückstau aufzulösen, müsste man mindestens 400.000 jährlich fertig stellen. Zur Zeit sind es jährlich nur 270.000 Wohnungen, aber davon werden die meisten nicht vermietet, es sind im Übrigen vor allem Wohnungen im hochpreisigen Segment, weil sich das für die Investoren besser rechnet.
Um den Wohnungsbau zu beschleunigen schlagen Sie vor, die Baudichte zu erhöhen und Stellplatzpflichten aufzulockern. Geht das nicht auf Kosten der Lebensqualität in den Städten?
Das hängt von der Stadt ab. Sie haben in München oder Stuttgart sicher nicht mehr viele Baulücken, in Berlin allerdings schon. Da geht es nicht um die Bebauung von Parks oder Grünanlagen, sondern um das Bauen auf einer Freifläche zwischen zwei Häusern. In Städten mit einem sehr guten ÖPNV-Angebot – Berlin gehört dazu – müsste die Stellplatzverordnung flexibel sein, da brauchen wir weniger Parkraum. Das macht das Bauen billiger.
Sie bedauern, dass eine von Justizminister Heiko Maas (SPD) geplante Mietrechtsnovelle, die Mieter entlastet hätte, nicht zum Zuge kam, warum?
Die Novelle lag im April im Referentenentwurf schon vor, ist aber vom Kanzleramt blockiert worden. Ein wichtiger Punkt betraf die Modernisierung – und da geht es heute meistens um energetische Modernisierung, also neue Fenster, Heizung und Dämmung. Bisher ist es so, dass elf Prozent der Kosten einer Modernisierung pro Jahr auf die Kaltmiete aufgeschlagen werden darf, davon halten wir gar nichts. Da kommt es in Einzelfällen vor – bei anfangs relativ niedrigem Mietniveau – dass sich die Kaltmiete um 150 Prozent erhöhen kann. Es gibt auch Fälle, wo der Vermieter die energetische Sanierung als Waffe benutzt um Mieter loszuwerden. Wir meinen, dass der Vermieter daran gemessen werden muss, was sich eigentlich verbessert hat für den Mieter und zweitens, dass es einen Bezug der Modernisierungskosten zur bisherigen Miete geben muss. Der Entwurf von Maas trägt dem Rechnung. Er sieht vor, dass die Mieterhöhung nach einer Modernisierung nicht mehr als drei Euro pro Quadratmeter in acht Jahren betragen darf. Außerdem sind Härtefallregelungen vorgesehen. Das sind Schritte in die richtige Richtung. Das Wichtigste aber wäre für eine Mietrechtsnovelle, dass die Mietpreisbremse nachjustiert wird, sie funktioniert nicht richtig, sie hat zu viele Ausnahmen. Aber ich vermute nicht, dass die Regierung in dieser Legislaturperiode noch eine wohnungspolitische Initiative starten wird - bedauerlicherweise.
Wenn das so ist, wie sehen Sie die Bilanz der Großen Koalition in der Wohnungspolitik?
Durchwachsen. Man hat die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erhöht, auch bei den Maklergebühren – die der Anbieter tragen muss – hat sich etwas getan. Auch die Mietpreisbremse ist im Prinzip richtig, es klappt mit ihr aber noch nicht. Es gibt andere Themenfelder, da tut sich noch gar nichts: Etwa bei der günstigeren Bereitstellung von Bauland, bei der Bund, Land und Kommunen gefragt wären. Auch eine einheitliche Bauordnung für alle Bundesländer ist noch nicht in Sicht.