In den deutschen Großstädten, besonders in Stuttgart, werden immer öfter möblierte Wohnungen angeboten. Die Vermieter sind dadurch in einen Verdacht geraten.

Stuttgart - Möblierte Wohnungen spielen auf dem Wohnungsmarkt eine immer größere Rolle. Und in keiner anderen der sieben Top-Großstädte in Deutschland sind im Juli 2016 in Inseraten so viele angeboten worden wie in Stuttgart: zu 61 Prozent. Nirgendwo sonst ist die Zunahme ihres Anteils seit 2012 so rasant gewesen: 30 Prozent. Das hat das Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica (Berlin) soeben erhoben. Auch der inserierte Quadratmeterpreis für die möblierte Wohnung hat nirgends so stark zugenommen wie in Stuttgart: im Durchschnitt um 5,58 Euro oder 34 Prozent. Die möblierten Wohnungen sollten im Juli im Mittel 22,02 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete kosten – annähernd doppelt so viel wie nicht möblierte Wohnungen mit einem Quadratmeterpreis von 11,81 Euro.

 

Abgesehen von vorübergehenden kleineren Rückgängen sei „der Anteil stetig gewachsen“, sagt Lorenz Thomschke, Mitarbeiter von Empirica. Das subjektive Erlebnis der Wohnungssuchenden war und ist aber durchaus nicht immer deckungsgleich, wie Inserenten dieser Zeitung unserer Redaktion berichten.

Jasmin Schneider ist seit einem halben Jahr auf Wohnungssuche. Sie schaut nach einer Drei-Zimmer-Wohnung in Stuttgart. Die 26-Jährige will mit ihrer besten Freundin zusammenziehen. Zwei Mietgesuche hat sie bereits in die Zeitung gestellt und täglich durchforstet sie das Wohnungsangebot diverser Online-Portale. Den Trend, dass in Stuttgart vermehrt möblierte Wohnungen auf dem Markt angeboten werden, kann die junge Ärztin nicht bestätigen: „Privatanbieter haben uns ausschließlich unmöblierte Wohnungen angeboten.“

Wohnungssuchende Ingenieurin kennt das Phänomen

„Mittlerweile sind über die Hälfte der angebotenen Wohnungen möbliert“, klagt hingegen Carmen Renz. Das Angebot verringere sich dadurch ungemein. Auf ihr Inserat in der „Stuttgarter Zeitung“ und in den „Stuttgarter Nachrichten“ wurden der Daimler-Ingenieurin allerdings auch ausschließlich Wohnungen ohne Möbel angeboten, anders als bei einigen Online-Immobilienportalen. Über sie mit Stuttgarter Vermietern in Kontakt zu treten, gestalte sich ohnehin häufig schwierig. Die Konkurrenz unter Wohnungssuchenden sei groß und Vermieter erhielten in kürzester Zeit Hunderte von Mails.

Alexander Haug hat Glück gehabt. Der Fahrlehrer hat eine neue Wohnung gefunden. Unmöbliert. Auch ihm wurden keine eingerichteten Wohnungen für teures Geld angeboten. Allerdings sind ihm Kaltmieten von bis zu 1100 Euro für 90 Quadratmeter untergekommen. „Mir scheint, viele Vermieter wollen nicht in ihre Wohnungen investieren, aber trotzdem maximale Mieten kassieren“, ereifert sich der 41-Jährige. Für Normalverdiener sei es nahezu unmöglich, eine bezahlbare Wohnung in Stuttgart zu finden. Ob daran Miethaie mit möblierten Wohnungen Schuld tragen, bleibt allerdings fraglich.

Schnellerer Mieterwechsel bei möblierten Wohnungen

Der 61-Prozent-Anteil bedeutet nicht, dass der komplette Mietwohnungsbestand in ähnlich großem Maß möbliert vermietet worden wäre. Bereits ausgestattete Zimmer oder Apartments kommen in kürzeren Intervallen neu auf den Markt. Und die teuren Mieten? Nun, die möblierten Wohnungen liegen vielleicht öfter in teuren Innenstadtlagen – und sind eher kleiner. In dem Segment kostet der Quadratmeter in der Regel immer etwas mehr.

Die Erhebung von Empirica schlug in der Medienlandschaft dennoch einige Wellen: weil darin stand, dass „Vermieter versuchen, durch die Möblierung die Mietpreisbremse zu umgehen, da diese für möblierte Wohnungen nicht gilt“. Gleich im nächsten Satz fügten die Verfasser aber hinzu, dass der Anteil möblierter Wohnungen auf den Immobilienportalen nicht erst seit rund einem Jahr gestiegen sei, als die Mietpreisbremse eingeführt wurde.

Andererseits scheint es einen Sondereffekt zu geben, denn ab Juni 2015 will Empirica in allen untersuchten sieben Großstädten eine neue Phase des Preisanstiegs für möblierte Wohnungen beobachtet haben. Der Verdacht, die Ursache zu sein, fällt auf das sogenannte Bestellerprinzip, das der Gesetzgeber zusammen mit der Mietpreisbremse just zum 1. Juni 2015 eingeführt hat: Wer den Makler bestellt, bezahlt ihn. Die Maklergebühr darf bei der Neuvermietung nicht mehr dem Mieter aufgebürdet werden. Diese Abwälzung werde prinzipiell durch die Mietpreisbremse unterbunden, heißt es bei Empirica, aber eben nicht bei möblierten Wohnungen. Da gelte die Mietpreisbremse nämlich nicht.

Für Möbel darf man keine beliebigen Zuschläge verlangen

Das bleibt nicht ohne Widerspruch. Frei bestimmen könnten die Vermieter über den Preis von möblierten Wohnungen für den „vorübergehenden Gebrauch“, sagt Manfred Neuhöfer, Chef des Forschungs- und Beratungsinstituts F+B in Neuss (Nordrhein-Westfalen). Der Stuttgarter Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann hält fest, bei unbefristet vermieteten möblierten Wohnungen würden auch der Mietspiegel und üblichen Regeln gelten: „Auch wenn man Möbel rein stellt, kann man nicht nehmen, was man will.“ Der Zuschlag muss berechnet werden. Hinweise dafür gaben wiederholt die Gerichte. Ein Verfahren ist, dass man der Abschreibung über zehn Jahre folgt und zwei Prozent vom Zeitwert nimmt. Ulrich Wecker, Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins Stuttgart, macht seine Rechnung so auf: „Bei einer Einbauküche im Wert von 15 000 Euro und einer Nutzungszeit von 15 Jahren ginge es meines Erachtens um 84 Euro im Monat.“

Experten sehen Grauzone bei Preisbildung

Alles eine objektive Rechnung? Da gibt es Zweifel. Neuhöfer und seine Kollegen erkennen zumindest „eine Grauzone bei der Mietpreisbildung“ für möblierte Wohnungen. Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund sagt, der Möblierungszuschlag verschleiere, wie hoch die eigentliche Kaltmiete sei.

Für Neuhöfer steht eine andere Ursache im Vordergrund, weil ja schon vor der Mietpreisbremse und dem Bestellerprinzip der Anteil der möblierten Wohnungen bei den Inseraten gestiegen war, in Stuttgart bis auf 49 Prozent im Mai 2015. Der Bedarf an möblierten Räumen wachse, sagt Neuhöfer – weil global aufgestellte Wirtschaftsunternehmen wie die Daimler AG in deutschen Großstädten vorübergehend Personal einarbeiten und schulen. Weil es nicht wenige befristete Tätigkeiten gibt. Weil gut verdienende Eltern von Studenten ihrem Nachwuchs möblierte Domizile anmieten. Und weil Eheleute oder Partner unterschiedliche Arbeitsorte haben. Kurzum: wegen veränderter Arbeits- und Lebensweisen in einer mobiler gewordenen Gesellschaft. Auch Empirica vermutet hier die Hauptursache für die vermehrten möblierten Wohnungen und nennt in dem Zusammenhang „beispielsweise Pendler“.

Seltene Einigkeit bei Haus und Grund sowie Mieterverein

Es gebe sicherlich einen Bedarf an möblierten Wohnungen, stimmt Mietervereinschef Gaßmann zu. Zwar versuche wahrscheinlich der eine oder andere Vermieter, noch ein paar Möbel in die Wohnung zu stellen und damit seine überzogene Mietforderung zu verschleiern; eine breite Tendenz dazu erkenne er in Stuttgart aber nicht. Womit die Mietervertretung mit dem Hausbesitzerverein ziemlich einig ist, was selten passiert, aber auch bei der Beurteilung der Mietpreisbremse vorkam. Die gilt beiden Vereinen aus unterschiedlichen Gründen als problematisch – und als bürokratisch. Auch Ulrich Wecker von Haus und Grund ist überzeugt davon, dass seine rund 20 000 Vereinsmitglieder „in der Regel unmöbliert vermieten“. Wer Möbel rein stelle, müsse sich zusätzlich zu allem Verwaltungs- und Vermietungsaufwand auch noch um Schäden und gegebenenfalls um Ersatz kümmern. Eine ältere Hauseigentümerin beispielsweise werde einen Teufel tun und sich um Möbel kümmern oder die Kosten für einen Makler auf die Miete abwälzen.

Der Schritt zur Möblierung sei für den Vermieter wirklich groß, urteilt Manfred Neuhöfer. Wer zu viel in Möbel investiere, habe auch das Risiko einer Fehlinvestition. Maßnahmen gegen den Trend zu mehr möblierten Wohnungen im Angebot hält Neuhöfer nicht für ratsam oder erforderlich: „Dieser Markt reguliert sich selbst.“