Selbst Durchschnittsverdiener finden kaum noch eine bezahlbare Wohnung. Ein Bündnis soll helfen, im Bund wie im Kreis. Dessen Erfolg scheint allerdings fraglich.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Kreis Böblingen - Aus dem Mund einer Politikerin mag der Satz merkwürdig anmuten: „Der Kittel brennt uns fürchterlich, es ist schlimm, dass die Politik immer wartet, bis es nicht mehr geht.“ So urteilt Elke Döbele, die für die SPD im Kreistag sitzt, allerdings nicht über die eigene Politik, sondern über die im Land- und im Bundestag. Zuvor hatte der Landrat Roland Bernhard den Wohnungsnotstand ausgerufen. „Wir sind in einer traurigen Ausgangslage“, sagt er, „gerade im Kreis Böblingen“. In dem sind laut dem Sozialdezernenten Alfred Schmid fast 12 000 Haushalte auf staatliche Unterstützung angewiesen, ohne die sie ihre Miete nicht zahlen könnten.

 

Es sei ein Fehler gewesen, die Etats für den Sozialwohnungsbau zu kürzen und auf die Kräfte des freien Marktes zu vertrauen. Darüber herrscht im Kreistag über alle Fraktionen hinweg Einigkeit. Nun ist die Gesellschaft zweigeteilt in „Menschen, die es sich leisten können, in Beton zu investieren und Gruppen, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können“, sagt Bernhard. Und die zweite Gruppe wächst. Im Ballungsraum Stuttgart finden schon Durchschnittsverdiener kaum mehr eine Wohnung, die sie bezahlen können. Im Kreis Böblingen wird das Problem dadurch verschärft, dass die Zahl der Einwohner entgegen der Prognosen des Statistischen Landesamtes steigt.

Die Kommunalpolitik ist zum Reparaturbetrieb verdammt

Die Kommunalpolitik ist zum Reparaturbetrieb verdammt, gleichzeitig müssen die Flüchtlinge untergebracht werden. „Dabei brauchen die Kommunen dringend Unterstützung, auch finanzielle, sonst ist die Mammutaufgabe nicht zu schaffen“, sagt der Freie Wähler Hans Michael Burkhardt. Er muss es wissen, Burkhardt ist Bürgermeister von Jettingen. Gemeint ist Unterstützung von Bund und Land. Bernhard hält die Gemeinden nicht nur faktisch, sondern auch gesellschaftspolitisch für verpflichtet, nicht nur für Flüchtlinge Wohnraum zu schaffen. Der Eindruck, Zuwanderer würden bevorzugt, „kann auch die Bevölkerung spalten“, sagt er.

Die Probleme haben selbstredend nicht nur die Gemeinde Jettingen und der Kreis Böblingen, sie gelten für alle Ballungsräume Deutschlands. Was die Bundesregierung auch erkannt hat. Schon im Koalitionsvertrag wurde die Förderung des Wohnbaus niedergeschrieben, ein bundesweites „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ ist gegründet. Dessen Akteure diskutieren über Steuererleichterungen genauso wie über das Senken von Baustandards. Konkret ist allerdings bisher nur die Mietpreisbremse beschlossen. Neue Wohnungen schafft die nicht, eher im Gegenteil, weil niedrigere Mieten die Rendite senken.

Das Bündnis soll die Marktkräfte aushebeln

Die Marktkräfte auszuhebeln, gehört zu den Aufgaben des Bündnisses. Zu dessen Zielen zählt, die Kosten für Neubauten auf unter 3000 Euro pro Quadratmeter zu drücken. In Zeiten, in denen für Immobilien nahezu jeder Preis gezahlt wird, ist der Anreiz für Investoren allerdings ein anderer: möglichst teuer zu bauen. „Für ein Klientel, das hohe Preise zahlen kann, entsteht Wohnraum“, sagt Schmid.

Ohnehin verteuern immer höhere gesetzliche Hürden das Bauen. Das Nullenergiehaus ist kein Einfachbau, und die Anforderungen an die Barrierefreiheit steigen genauso wie die an die Energieeffizienz. In Baden-Württemberg hat überdies die Landesregierung Bauherren verpflichtet, Abstellplätze für Fahrräder einzuplanen, und selbst für Gebäudekomplexe, in denen kein einziges Kind wohnt, ist der Bau von Kinderspielplätzen verbindlich.

Hinzu kommt, dass in Zeiten des Niedrigzinses das Baugeschäft nicht nur wegen des vielfachen Wunsches nach einem Eigenheim boomt, sondern auch für die Form der Geldanlage, für die eigens das Wort Betongold erdacht wurde. Wenn eine Gemeinde neues Bauland ausweist, „steigt sofort der Preis“, sagt Bernhard. Um Spekulationen zu verhindern, empfiehlt er den Kommunen, gleichsam mit verdeckten Karten zu spielen, indem sie mehr Bauland ausweisen, als tatsächlich benötigt wird und sich erst spät für eine konkrete Fläche entscheiden.

Neubaugebiete gelten als unumgänglich

„Innenentwicklung hat Vorrang vor Außenentwicklung“, sagt Bernhard. Erst sollen Lücken gefüllt, nur im Notfall soll an den Rändern neu gebaut werden. Im Kreistag herrscht aber die Gewissheit, dass der Notfall zum Regelfall wird, die Aufgabe ohne Neubaugebiete nicht zu bewältigen ist. Was wiederum dem bundesweiten Ziel zuwiderläuft, dass für jeden neu bebauten Quadratmeter ein bisher bebauter der Natur zurückgegeben werden soll.

Nach Vorbild des Bundes hat der Landkreis ein Bündnis für bezahlbaren Wohnraum gegründet. Beteiligt sind zuvorderst Baugesellschaften und Kommunen. Ein Arbeitspapier ist Grundlage des weiteren Vorgehens. Zumindest nach Meinung von Ingrid Balzer ist die Mühe vergebens. „Wir müssen sozialen Wohnungsbau betreiben, gleichzeitig haben wir die Flüchtlinge und das Bauland fehlt“, sagt die FW-Kreisrätin „das kriegt man einfach nicht hin“.