Immer häufiger eskaliert die Situation in den Aufnahmezentren auf den griechischen Inseln, die Lager sind überbelegt – Anwohner fürchten sich vor den Gewaltausbrüchen, Flüchtlingshilfswerke kritisieren Athen scharf für das herrschende Chaos.

Athen - Die Situation in den Flüchtlingslagern auf den ostägäischen Inseln entspannt sich nicht, sie wird schwieriger. Die Frustration der Migranten, die teils seit über einem Jahr in den Lagern festgehalten werden, entlädt sich immer häufiger in Gewalt. Die örtliche Bevölkerung klagt über eine Welle der Kriminalität. Im September sollte alles besser werden, so versprach es Migrationsminister Dimitris Vitsas. Dann werde es in den Aufnahmezentren in der östlichen Ägäis nur noch 10 000 Flüchtlinge und Migranten geben, kündigte Vitsas Anfang Juli an.

 

Nun ist der September da, aber sein Versprechen hat der Minister nicht gehalten. Während Anfang Juli 17 771 Menschen in den Insellagern lebten, waren es Mitte dieser Woche rund 19 237 Personen. Besonders krass ist die Situation im Lager Moria auf Lesbos. Dort waren Anfang Juli 7369 Personen untergebracht, jetzt sind es schon fast 8200. Sie hausen in einem Lager, das für 3000 Menschen ausgelegt ist. „Ist das die Erleichterung, die uns die Regierung versprochen hat?“, fragt Christiana Kalogirou, Regionalpräfektin der nördlichen Ägäisinseln. Die seit drei Jahren andauernde Überbelastung werde für die örtliche Wirtschaft und die Gesellschaft zu einem immer größeren Problem, sagte die Präfektin der Zeitung „Kathimerini“. Auch Spyros Galinos, Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini auf Lesbos, schlägt Alarm. Die Insel mit ihren 86 000 Einwohnern beherbergt nach offiziellen Angaben momentan 10 410 Migranten. Bürgermeister Galinos warnt vor „tragischen Ereignissen“, die drohen könnten: Die Geduld der Bevölkerung habe wegen ständiger Diebstähle und Einbrüche „ihre Grenzen erreicht“. In einem Brief an Migrationsminister Vitsas warnte Galinos jetzt vor einer drohenden „sozialen Explosion“.

Hilfsorganisationen warnen

Aber Vitsas, der am 1. März das Migrationsressort von seinem glücklosen Vorgänger Giannis Mouzalas übernommen hat, bekommt die Flüchtlingspolitik offensichtlich nicht in den Griff. Die Überfüllung der Insellager ist vor allem eine Folge der schleppenden Asylverfahren. Die Migranten und Flüchtlinge, die aus der Türkei kommen, müssen dort so lange bleiben, bis über ihre Asylanträge entschieden ist. Doch das kann Jahre dauern. Allein zwischen dem 23. Juli und dem 26. August stellten 3651 Neuankömmlinge Asylanträge. Die Zustände in den Lagern sind katastrophal. Auf der Insel Samos leben 3734 Menschen in einem Lager, das für 648 Personen ausgelegt ist. In Moria auf Lesbos müssen sich 72 Insassen eine Toilette teilen, auf jede Dusche kommen sogar 84 Menschen, berichtet Apostolos Veizis von der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). Auch die UN haben erbärmliche Zustände in den Erstaufnahmelagern auf den Inseln angeprangert. Griechenlands Regierung müsse für einen menschenwürdigen Aufenthalt in den hoffnungslos überfüllten Camps sorgen, verlangte Charlie Yaxley, Sprecher des Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag in Genf.

Vor allem Kinder sind betroffen

Deswegen verwundert es kaum, dass sich immer häufiger die Frustration der Migranten in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Ethnien, vor allem Syrern und Afghanen, entlädt. Oder die Menschen demolieren in ihrer Verzweiflung die Wohncontainer. Vor wenigen Tagen gab es schwere Unruhen in einem Lager für unbegleitete Minderjährige beim nordgriechischen Thessaloniki. Aus Protest gegen schlechtes Essen und langsame Internetverbindungen steckten minderjährige Migranten ihre Matratzen in Brand und zertrümmerten Teile der Einrichtungen. Nicht nur in den Insellagern nimmt die Überfüllung zu. Immer mehr Flüchtlinge und Migranten kommen über den Grenzfluss Evros aus der Türkei nach Griechenland. Im ersten Halbjahr 2018 kamen bereits mehr als 10 000 über diese Route, gegenüber 7500 im ganzen Vorjahr.

Die Folge: Auch die meisten Flüchtlingslager auf dem Festland sind inzwischen weit über ihre Kapazität hinaus belegt. Am schlimmsten trifft das Flüchtlingschaos die Kinder. In Moria behandeln die Ärzte von MSF in ihrer Krankenstation gegenüber dem Lager täglich etwa 100 Kinder. Viele Kinder werden im Lager Opfer von Übergriffen und von sexueller Gewalt, berichten die Helfer. Immer häufiger sind die Ärzte aber auch mit Selbstmordversuchen Minderjähriger konfrontiert.