Bevor Flüchtlinge in den deutschen Schulbetrieb eingegliedert werden können, müssen sie in Vorbereitungsklassen die Sprache lernen. Mit regelmäßigen Tests sollen junge Asylbewerber schneller in reguläre Schulklassen gebracht werden.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Wenn Flüchtlinge in Deutschland ankommen, müssen sie durch eine Reihe von Erfassungen und Kontrollen: Der Bundesgrenzschutz erfasst ihre Daten und Fingerabdrücke, in den Unterkünften wird die Gesundheit geprüft, später müssen die Neuankömmlinge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ihren Asylantrag begründen. Künftig soll in Baden-Württemberg ein weiterer Schritt dazukommen, wenn Kinder unter den Flüchtlingen sind: die sogenannte bildungsbiografische Ersterfassung. Das Kultusministerium will künftig Kinder auf ihr Sprachvermögen und ihre Kenntnisse im Lesen und Schreiben testen sowie die Dauer des bisherigen Schulbesuchs abfragen.

 

So sollen die jungen Flüchtlinge schneller in eine Klasse in ihrem Leistungsniveau eingegliedert werden. „Die Schulen können schon vor dem Eintreffen der Kinder erfahren, welche Bildungsbiografie sie mitbringen“, sagte die Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD) am Montag im Vorfeld einer Fachtagung zu Flüchtlingen im hiesigen Bildungssystem. Die Informationen über die Kinder werden in einer elektronischen Datenbank gespeichert, auf die die Schulleiter zugreifen können.

Junge Flüchtlinge sollen schneller Regelklassen besuchen

Im November hat das Kultusministerium in der Landeserstaufnahmestelle in Meßstetten bereits einen ersten Versuch mit einer solchen bildungsbiografischen Ersterfassung gestartet. „Wir haben gemerkt, dass die Eltern ein sehr großes Interesse daran haben, dass der Wissensstand ihrer Kinder geprüft wird“, sagt von Wartenberg. Vom 18. Januar an sollen nun in der Heidelberger Registrierungsstelle Patrick-Henry-Village mit den Kindern und Jugendlichen zwischen fünf bis 14 Jahren Tests durchgeführt werden und Fragebogen an deren Eltern verteilt werden. „Wir hoffen, dass wir pro Tag etwa 70 Kinder und Jugendliche erfassen können“, sagte die Staatssekretärin von Wartenberg.

Außerdem will das Kultusministerium junge Flüchtlinge, die bereits Unterricht in Vorbereitungsklassen erhalten, schneller in Regelklassen integrieren. Dazu hat das Ministerium sogenannte Potenzialanalysen für Flüchtlinge konzipiert: Künftig sollen regelmäßig spielerisch am Computer die sprachlichen, mathematischen und überfachlichen Kompetenzen der Schüler überprüft werden. „Wir wollen mit den Tests kontrollieren, ob ein Schüler weiterhin in einer gesonderten Klasse für Flüchtlinge bleibt oder ob er bereits in eine reguläre Schulklasse integriert werden kann“, erläutert von Wartenberg. Bevor die jungen Asylbewerber regulären Schulunterricht erhalten, sollen sie durch Teilnahme am Musik-, Kunst- oder Sportunterricht mit den künftigen Klassenkameraden bereits teilintegriert werden. „Wir wollen den Blick stärker auf den Einzelnen richten“, sagt von Wartenberg.

Bisher lernen Flüchtlingskinder meist relativ lange isoliert in Vorbereitungsklassen Deutsch, regelmäßige Wissenstests gibt es nicht. „Baden-Württemberg nimmt damit eine bundesweite Vorreiterrolle ein“, so von Wartenberg. Je nachdem wie die Tests in den Vorbereitungsklassen verlaufen, wollen andere Bundesländer von September 2016 an nachziehen. Das Bundesbildungsministerium stellt für die Entwicklung des Verfahrens zwei Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre bereit.

Kultusministerium verschickt Elternbrief in fünf Sprachen

Um die Eltern der Flüchtlingskinder frühzeitig über den deutschen Schulbetrieb zu informieren, hat das Kultusministerium einen Elternbrief aufgesetzt, der seit Kurzem in fünf verschiedenen Sprachen an Asylbewerberfamilien geschickt wird. Auf Deutsch, Englisch, Französisch, Persisch und Arabisch wird den Eltern erläutert, ab wann Kinder in Deutschland die Schule besuchen können und von welchem Zeitpunkt an die Schulpflicht gilt. „Der Brief soll Unsicherheiten abbauen und dazu beitragen, dass die Eltern sich rasch in der neuen Umgebung orientieren und dass ihre Kinder schnell einen Zugang zu unseren Bildungsangeboten finden können“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD).

Der FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Hans-Ulrich Rülke, begrüßt die Einführung der Wissenstests im Südwesten: „Die Freien Demokraten fordern schon lange eine Abfrage von Qualifikationen ab dem ersten Tag der Ankunft in Erstaufnahmeeinrichtungen“, sagte Rülke. Es müsse gelingen, Flüchtlinge jeden Alters schnell und unkompliziert in Sprachkurse, Integrationsmaßnahmen und Ausbildung zu bringen. Derzeit gibt in Baden-Württemberg 2160 Vorbereitungsklassen mit knapp 30 000 Schülern, darunter  rund 12 000 Flüchtlinge. Die Schülerzahl stieg in den vergangenen Jahren stetig an: Im Schuljahr 2011/2012 lernten noch 10 500 Schüler in solchen Klassen, im Dezember 2015 waren es bereits 29 700.