Nach einer Reform des Asylsystems werden in Brüssel weitere Stellschrauben nachjustiert. Regionalpolitiker fordern mehr Pragmatismus bei der Suche nach Lösungen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Niederlande bekommen keine Extrawurst. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat dem Wunsch aus Den Haag nach einem Ausstieg aus der europäischen Asylpolitik eine sehr deutliche Absage erteilt. „Das ist laut Vertrag nicht möglich“, betonte die Politikerin am Donnerstag bei einem Innenministertreffen in Luxemburg.

 

Die neue Mitte-Rechtsaußen-Regierung in den Niederlanden hatte die Ausnahme bei der EU-Kommission in Brüssel beantragt. Beobachter vermuten hinter diesem Schritt den Rechtspopulisten Geert Wilders. Der erklärte Islam-Feind ist zwar nicht Teil der Regierung, gilt aber als wichtiger Strippenzieher. Seinem Vorbild folgend, hat der ungarische Premier Viktor Orban inzwischen auch ein sogenanntes Opt-out von den Asylregeln beantragt. Solche Ausnahmen sind zwar in Europa grundsätzlich möglich, es gibt aber hohe Hürden.

Eine Wende in Europas Asylpolitik

Die extremen Rechten in der gesamten EU sehen die Chance gekommen, eine grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik durchzusetzen. Die Chancen scheinen gut, denn sie ist seit Jahren eine der großen politischen Baustellen in Europa. Erst im Mai hat sich die Union nach Jahren des bisweilen erbitterten Streits zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems durchgerungen. Doch von einer Lösung des Problems sind die 27 EU-Mitgliedsstaaten weiter weit entfernt. Schnell wurde deutlich, dass an vielen Stellschrauben nachjustiert werden muss.

So forderte jetzt auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei dem Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg eine „dringende Überarbeitung“ der EU-Rückführungsrichtline, weil sie in der Praxis häufig nicht funktioniere. Konkret nannte die Ministerin die Möglichkeit zur Zurückweisung an den Grenzen. Dafür müssten auch Verträge mit Drittstaaten geschlossen werden, „damit das ein effektives, tatsächliches Rückführungssystem wird“, betonte sie. Zuvor haben 17 Schengen-Länder die EU-Kommission schriftlich aufgerufen, die Abschieberegeln von 2008 zu überarbeiten. Auch Deutschland hatte sich der Initiative Österreichs und der Niederlande angeschlossen. Die Forderung von Nancy Faeser ist klar: „Das muss handhabbarer werden für die Praxis.“

Auf der Suche nach pragmatischen Lösungen

Einer der mit der „Praxis“ jeden Tag zu tun hat, ist Christoph Schnaudigel. Der Landrat des Landkreises Karlsruhe nahm in Brüssel an einem mehrtägigen Treffen von Regionalpolitikern aus ganz Europa teil. Die verfolgen nach eigenen Aussagen bisweilen erstaunt das politische Ringen auf EU-Ebene. Oder wie Christoph Schnaudigel es formuliert: „Wir suchen immer nach pragmatischen Lösungen. Auf kommunaler Ebene geht das nur so, mit ideologischen Scheuklappen kommt man da nicht weiter.“

Viele der Regional- und Lokalpolitiker nehmen mit Zufriedenheit zur Kenntnis, dass etwa in der EU-Kommission nun auch die Diskussionen über eine stärkere Regulierung der Migration geführt würden. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gehe in die richtige Richtung, sagt Schnaudigel. Was ein schärferes Durchgreifen bewirken kann, sähen die Verantwortlichen im Landkreis Karlsruhe nach seinen Worten inzwischen an einem konkreten Beispiel. Die registrieren nämlich seit vergangenem Herbst einen deutlichen Rückgang der Zahl von Geflüchteten. „Diese Entwicklung führen wir auf die Grenzkontrollen zurück – allerdings auf jene, die bereits im vergangenen Oktober 2023 an der Grenze zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet worden sind. Die neuen Kontrollen an den westlichen Grenzen, die vor einem Monat eingeführt wurden, wirken sich bei uns nicht aus,“ erklärt der Landrat.

Zahl der Asylanträge geht zurück

Dieser Rückgang ist überall in Deutschland zu beobachten. Die Zahl der Asylerstanträge ist in diesem Jahr bis Ende September im Vergleich mit dem gleichen Zeitraum 2023 deutlich gesunken. Insgesamt wurden 23,3 Prozent weniger Anträge gestellt als in den ersten neun Monaten des Vorjahres, wie aus Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hervorgeht. Demnach lag die Zahl zwischen Januar und September 2024 bei 179 212, im Vorjahreszeitraum noch bei 233 744.

Das ist für Christoph Schnaudigel allerdings kein Grund zur Entwarnung und er betont, dass die Kommunen weiter vor großen Herausforderungen stünden. „Es gibt nicht nur das Problem, die Menschen unterzubringen. Es muss auch die Kinderbetreuung organisiert werden, das Gesundheitssystem stößt an gewisse Grenzen, die Schulen müssen mehr Kinder aufnehmen und auch im Sozialbereich steigen die Belastungen.“

Zu viele bürokratische Hindernisse

Was Christoph Schnaudigel angesichts der vielen politischen Diskussionen über die Migration oft vermisst, sind an der Realität orientierte Lösungen. „Wir sollten die Probleme in allen Bereichen pragmatischer anpacken“, fordert er. „Die Leute müssen zum Beispiel schneller in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden, da gibt es noch immer zu viele Hindernisse.“ In diesem Fall verbucht er für seinen Landkreis einen kleinen Erfolg. Rund 70 Prozent der Migranten im arbeitsfähigen Alter, die 2015 angekommen sind, hätten inzwischen einen Job.