Aus Mirabella in Süditalien sind Tausende Menschen zum Arbeiten in die Autobauerstadt gekommen – und zumeist geblieben. Nun werden die Verbindungen zwischen den Städten reaktiviert – mit einem Feinschmecker-Markt.

Sindelfingen - Als Giuseppe Barbuscia als 15-Jähriger nach Sindelfingen kam, ist das ein Kulturschock für den jungen Sizilianer gewesen. „Es war so kalt, ich kannte niemanden, es war fürchterlich“, beschreibt er die Anfangszeit. Am meisten aber vermisste er das Essen aus der Heimat: Pasta, Olivenöl, sonnengereifte Tomaten, sizilianische Salsiccia. All das gab es damals nicht in der Bundesrepublik.

 

Fast 50 Jahre sind seither vergangen. Deutschland ist international geworden, Sindelfingen wohl eine der multikulturellsten Städte überhaupt. Längst gibt es Foren, in denen sich Feinschmecker über das beste Olivenöl austauschen. Pizza und Pasta sind vom Speisezettel der Deutschen nicht mehr wegzudenken.

Die Hälfte der Einwohner Mirabellas lebt in und um Sindelfingen

Deshalb ist sich Giuseppe Barbuscia sicher, dass der erste Mirabella-Markt am kommenden Wochenende auf dem Sindelfinger Rathausplatz ein voller Erfolg werden wird. Gilt doch Sindelfingen vielen Italienern als „nördlichste Stadt Sizilliens“, als zweites Mirabella. Mindestens 1500 Auswanderer aus Mirabella leben laut Barbuscia in Sindelfingen. „850 Familien sind es hier, 350 in Schönaich und noch mal so viele im Kreis Calw. “ Damit ist die Region der größte Hotspot für Mirabellesi nach Mirabella selbst. Dort lebt von den einst 12 000 Einwohnern nur noch knapp die Hälfte im Ort. Der Rest ist ausgewandert.

Der Daimler und andere große Firmen waren es, die in den 1960er und 70er Jahren die Menschen aus dem verarmten Süden Italiens ins Schwabenland lockten. Arbeit gab es hier genug. Auch Giuseppe Barbuscias Vater folgte dem Ruf, 1971 holte er die Familie nach. Die Italiener haben die Stadt geprägt: Sie öffneten die ersten Eiscafés und lehrten die Sindelfinger die Kultur des Dolce Vita.

Dieses Kapitel der Stadtgeschichte wurde beim Sindelfinger Stadtjubiläum 2013 in einem eigens dafür geschriebenen Musical mit vielen Laiendarstellern aus der Stadt nacherzählt. Der Plot: eine heimliche deutsch-italienische Liebesromanze in den 1960er Jahren. Auch etliche Mirabellesi und deren Kinder wirkten bei den Aufführungen in der Stadthalle mit.

Olivenbäume in Mirabella

Die Sizilianer halfen nicht nur beim Aufbau der deutschen Wirtschaft, sondern engagierten sich auch in der Gesellschaft. Giuseppe Barbuscia arbeitete sich zum Maschinentechniker hoch, wurde Vorsitzender des Italienischen Vereins und war viele Jahre lang im Ausländerbeirat der Stadt Sindelfingen. Doch sein Herz schlägt auch nach all den Jahren noch immer für Mirabella. Zwei- bis dreimal im Jahr fliegt er in die alte Heimat, wo seine Familie ein großes Haus hat – und 80 Olivenbäume. „Die müssen gepflegt werden.“ Auch andere Mirabellesi fahren regelmäßig in den Süden. Noch immer gibt es eine direkte Busverbindung zwischen Sindelfingen und Mirabella. 27 Stunden dauert die Fahrt. Der wöchentlich verkehrende Bus ist meistens voll.

Zur letzten Kommunalwahl vor anderthalb Jahren organisierte Barbuscia sogar zwei große Busse, damit möglichst viele Mirabellesi wählen konnten. Mit dem Ergebnis der Wahl ist er sehr zufrieden. „Wir haben einen neuen Bürgermeister, jung und energisch, der vieles anpackt. Er ist dem Sindelfinger Oberbürgermeister Vöhringer sehr ähnlich“, schwärmt Barbuscia.

Giovanni Ferro, der neue sozialdemokratische Stadtchef von Mirabella, möchte auch die eingeschlafenen offiziellen Kontakte zwischen den beiden Städten wiederbeleben. „Schließlich lebt hier fast die Hälfte seiner Einwohner“, sagt Barbuscia. Doch vor allem geht es dem Bürgermeister vermutlich darum, die heimische Wirtschaft anzukurbeln und seinen Bauern und Händlern neue Einnahmequellen zu verschaffen. Sie verkaufen am Wochenende Pasta und Olivenöl, Wurst und Wein, Safran und italienische Dessous. Die Stadt Sindelfingen unterstützt den Event mit dem Rathausplatz und Verkaufshütten.

Auch Mirabellesi kandidieren für Sindelfinger Gemeinderat

Wenn es nach Barbuscia geht, soll der Mirabella-Markt eine regelmäßige Einrichtung werden. Die Koffer mit Lebensmitteln aus der Heimat, die seine Familie in den Anfangsjahren aus dem Urlaub ins Schwabenland schleppte, braucht er jedenfalls nicht mehr. Er kann sie nun direkt in Sindelfingen kaufen.

Auch wenn er im kommenden Jahr in Rente geht, will er in Sindelfingen wohnen bleiben. Schon wegen der Kinder, die hier zu Hause sind. Selbstverständlich wird er am 26. Mai zur Kommunalwahl gehen. „Ich will doch mitbestimmen, wer im Sindelfinger Gemeinderat sitzt.“ Auf den Kandidatenlisten stehen auch italienische Namen. Wie der von Frazzetta Graziano (SPD), der Mitorganisatorin des Mirabella-Markts. Viele Mirabellesi sind – zum Leidwesen von Bürgermeister Ferro – längst Sindelfinger geworden.