Migrationspolitik Jetzt muss Schluss sein mit Palaver

Friedrich Merz nach dem Treffen mit Olaf Scholz Foto: dpa/Kay Nietfeld

CDU-Chef Merz schlägt Alarm und setzt den Kanzler unter Druck: Er will Korrekturen der Asylpolitik „ohne Tabus“, schreibt StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Ungeachtet der öffentlichen Hysterie, die gerade herrscht, ist die politische Kultur allem Anschein nach noch nicht komplett unter die Räder geraten. Das gilt zumindest abseits der Exerzierplätze des Wutbürgertums. Der Umstand, dass Kanzler und Oppositionsführer sich treffen, um gemeinsam über das heikelste Thema auf beider Agenda zu sprechen, zeugt davon.

 

Mit einem gesitteten Gespräch ist es aber nicht mehr getan. Geredet wurde schon viel, häufig und ausufernd über die drängenden Fragen, welche die Republik in Wallung versetzen: Wie lassen sich Massaker wie jetzt in Solingen verhindern? Wie lässt sich die Migration auf ein Maß begrenzen, das unser Land nicht sprengt? Die Zeit des Palavers ist abgelaufen. Jetzt müssen den inflationären Worten konkrete Taten folgen, die sich rasch bemerkbar machen. Sonst können beide Herren einpacken.

Das hat CDU-Chef Friedrich Merz dem Kanzler offenbar klarzumachen versucht. Er hat ihm verbal die Pistole auf die Brust gesetzt und rasches Handeln verlangt, dazu weitreichende (wenn auch nicht selbstlose) Unterstützung der Union angeboten. Sein Eindruck aus dem Treffen kommt einem Insolvenzantrag gleich: Dem Kanzler entgleite das eigene Land. Die Kontrolle über die Migration ist allerdings schon dessen Vorgängerin Angela Merkel entglitten. Die hatte das gleiche Parteibuch wie Merz. Die Politik der offenen Grenzen wurde unter ihr zur Ideologie.

Für den von Merz intonierten Alarmismus gibt es dringende Gründe, die aus den Wahlergebnissen des kommenden Sonntags herauszulesen sein werden – für alle, die es bis dahin noch nicht begriffen haben. Merzens Alarmismus ist durchaus konstruktiv, wenn auch riskant für den Chef der Ampelkoalition. Die stärkste Kraft der Opposition bietet dem Kanzler die Hand für schnelles Handeln – „ohne Tabus“, wie Merz sagt. Das könnte selbst Verfassungsänderungen und Korrekturen

einschlägiger EU-Regeln einschließen. Tatsächlich ist es so, wie der CDU-Vorsitzende dem Kanzler klarmachen musste: Politiker werden nicht vom Volk gewählt, um diesem zu erklären, was alles nicht geht. Sie sind in erster Linie dazu da, die Sicherheit, Stabilität und das Wohlergehen des eigenen Landes zu wahren.

Nun ist Olaf Scholz am Zug. Er sollte nicht allzu viel Zeit mit koalitionsinterner Diplomatie verstreichen lassen. Jedes weitere Zögern würde das ohnehin drastisch geschwundene Vertrauen in die etablierte Politik dahinschmelzen lassen wie Gletschereis in der Klimakrise. Für falsche Rücksichtnahme auf allerlei Sensibilitäten und Bedenkenträgertum im Regierungslager dürfte das Verständnis aufgebraucht sein. Jetzt muss der unbeliebteste aller Kanzler beweisen, dass er seinem Amt gewachsen ist.

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