In den dampfenden Seen eines Vulkangebiets auf Neuseeland leben zahlreiche Mikroorganismen unter extremen Bedingungen. Mikrobiologen untersuchen, wie die Bakterien in einer derart unwirtlichen Umgebung existieren können.

Stuttgart - Eben noch satt Grün wechselt die Farbe des Champagnersees keinen Meter weiter in ein knalliges Orange, das fast den gleichen Ton wie die Warnjacke des Mannes hat, der auf den grauen Ablagerungen gleich daneben am See-Ufer steht. Matt Stott bekommt von diesen beinahe surrealistischen Farbspielen an diesem sonnigen Tag auf der Nordinsel Neuseelands wenig mit, weil meist dichte Dampfschwaden über das Wasser und die Ufer ziehen. Kein Wunder, der 62 Meter tiefe See wird schließlich von 260 Grad heißem Wasser aus der vulkanischen Tiefe gespeist und hat auch an der Oberfläche noch 72 bis 75 Grad. Mit Arsen-, Antimon-, Thallium- und Quecksilber-Verbindungen brodelt unter den Dampfschwaden ein ganzes Arsenal hochgiftiger Verbindungen. Das klingt nicht gerade nach einem Schlaraffenland. Trotzdem balanciert der Mikrobiologe vom neuseeländischen Geoforschungszentrum GNS vom Ufer aus an einer langen Metallstange eine Flasche in diese klare Brühe, mit der er zwei Liter Wasser durch die dichten Dampfschwaden an Land holt. Er sucht im heißen Wasser des Champagnersees nach Bakterien.

 

Seine Erfolgsaussichten sind hervorragend, schließlich sind etliche Mikroorganismen hart im Nehmen: Von glühenden Kohlehalden bis zu extrem giftigen, sauren und dampfendheißen Vulkanwassern wimmeln die winzigen Zellen in praktisch allen extremen Nischen, die eher einer tödlich Giftmischung als einem Lebenselixier ähneln: „Von minus 20 Grad kalten Temperaturen bis zu 123 Grad heißem Wasser und von einer extrem Säure mit einem pH-Wert von 0,3 bis hin zu einer Laugenbrühe mit pH 11 gibt es Mikroorganismen“, erklärt Matt Stott. Und die meisten dieser Zellen hat noch kein Wissenschaftler entdeckt oder gar beschrieben. Der GNS-Forscher hat also beste Chancen, nicht nur viele Mikroorganismen aus dem dampfenden Wasser zu fischen, sondern dabei auch noch etliche, bisher unbekannte Bakterien zu entdecken. Immerhin stehen tausend heiße Quellen auf seiner Forschungsliste, die allesamt im Vulkangebiet zwischen den Tongariro-Vulkanen im Herzen der Nordinsel Neuseelands und dem Inselvulkan White Island liegen, der rund fünfzig Kilometer nordöstlich der Küste aus dem Pazifik ragt.

Vulkane locken Mikrobiologen

Diese Vulkane und Thermalgebiete locken nicht nur Mikrobiologen wie Matt Stott und seine Kollegin Jean Power, sondern auch scharenweise Touristen an. Die Besucher staunen nicht schlecht, wenn auf einer schmalen Landzunge am Champagnersee die beiden Forscher in ihren knall-orange-farbenen Warnjacken stehen und mit langen Metallstangen in den Dampfschwaden herumstochern. Am Ende der Stangen hat Matt Stott eine Flasche befestigt, mit der er Wasser aus den verschieden-farbigen Bereichen in der heißen Quelle holt. „In jedem Liter können zehn Millionen Mikroorganismen leben“, erklärt der Forscher. Und weil in den verschiedenen Bereichen und Schichten des Sees jeweils andere Wohngemeinschaften zuhause sind, holt der Mikrobiologe nach dem Wasser aus dem grünen Bereich auch noch eine Probe über den orange-farbenen Ablagerungen.

Die Temperatur beeinflusst solche Unterschiede stark. In der Tiefe quillt 260 Grad heißes Wasser auf, das praktisch keinen freien Sauerstoff enthält. An der Oberfläche ist die Temperatur auf 75 Grad gesunken, dort gibt es auch einigen Sauerstoff. Dort leben daher Organismen, die genau wie Menschen und alle Tiere Sauerstoff benötigen. In der Tiefe und in den heißeren Regionen sind dagegen Mikroorganismen zuhause, die ohne Sauerstoff auskommen, der oft genug sogar giftig auf diese Lebewesen wirkt. Wichtig ist auch der Gehalt an Schwefel, der in Vulkangebieten reichlich vorkommt. Viel Schwefel fängt viel Sauerstoff aus dem Wasser und begünstigt so die Organismen, die nicht auf dieses Gas angewiesen sind. Diese atmen statt Sauerstoff Schwefel und lösen dabei auch noch die mit dem Schwefel verknüpften Elemente aus ihrer Verbindung.

Im Champagnersee handelt es sich dabei vor allem um Arsen und das sehr seltene Metall Antimon, beide bilden zusammen mit Schwefel die knall-orange-farbenen Verbindungen unter dem flachen, kühleren Wasser am Ufer. Die ebenfalls reichlich vorhandene Kieselsäure fällt erst aus, wenn das Wasser als breiter, aber extrem flacher Strom aus dem See fließt und sich dabei weiter abkühlt. Im Laufe der letzten Jahrhunderte sind dort cremig-weiße Sinter-Terrassen entstanden, die einen scharfen Kontrast zu den orange-farbenen Ufern bilden. Mit dem Tiefenwasser strömt auch reichlich Kohlendioxid in den See, das beim Aufsteigen ähnlich aus dem Wasser perlt wie die Bläschen aus einem Sektglas. Dieses ständige Blubbern gibt dem Champagnersee dann auch seinen Namen.

Mikroorganismen leben in giftigen Brühen

Die chemischen und physikalischen Vorgänge in diesem siedend heißen Gewässer einschließlich der gelben und grünen Reflexionen der Schwefelverbindungen im tieferen Wasser sind längst erforscht. Die Biologie dagegen wurde bis vor zehn Jahren eher stiefmütterlich behandelt. Schließlich lassen sich Mikroorganismen, die nur in einer beinahe kochenden Brühe voller giftiger Verbindungen wachsen, im Labor nur sehr schwer untersuchen. Erst seit es Methoden gibt, große Mengen des Erbguts dieser Organismen rasch und zuverlässig zu analysieren, kommt die Mikrobiologie in den heißen Quellen in Schwung. „Manche Organismen zerfallen sehr schnell, wenn sie abkühlen. Ihr Erbgut können wir also nur untersuchen, wenn wir unsere Proben gleich vor Ort aufarbeiten“, erklärt Matt Stott. Anschließend wird das Erbgut in der University of Waikato in der viertgrößten Stadt Neuseelands Hamilton analysiert.

Insgesamt untersuchen die Forscher tausend heiße Quellen, allein hundert davon im Wai-O-Tapu-Thermalgebiet. Viele Hundert unterschiedliche Bakterienarten und einige tausend Stämme haben sie inzwischen aus dem dampfenden Wasser geholt. Das Erbgut vergleichen sie nicht nur untereinander, sondern auch mit Mikroorganismen aus anderen Thermalgebieten der Welt wie zum Beispiel dem Yellowstone-Nationalpark in den USA. Finden sie am Ende des Projektes enge Verwandte in weit voneinander entfernten Quellen, muss es wohl eine unterirdische Verbindung zwischen beiden geben. Vielleicht warten die Mikroorganismen auch seit Urzeiten ohne Lebenszeichen irgendwo im Untergrund auf ihre Chance. Öffnet sich dann eine heiße Quelle, kommt wieder Leben in die Bakterien und bald wimmelt das Wasser vor Mikroorganismen.

Einige von ihnen hat noch kein Wissenschaftler gesehen. Matt Stott und seine Kollegen haben jedenfalls bereits etliche solcher bisher unbekannten Art beschrieben. Eine von ihnen frisst im extrem heißen und sauren Wasser Methangas, ein anderer Stamm baut im heißen Wasser die Zellulose aus Pflanzenfasern ab. Biotechnologen spitzen bei solchen Nachrichten die Ohren, weil sie sich für diese Organismen eine Reihe von Einsatzgebieten in der Biotechnologie vorstellen können. Die Mikroorganismen aus den heißen Quellen könnten also auch für die Wirtschaft interessant werden.