Ob in Zahncremes, Peelings oder als Reifenabrieb – Millionen Tonnen Mikroplastik gelangen Jahr für Jahr in die Kanalisation. In den Klärwerken wird ein Großteil davon ausgesiebt, allerdings längst nicht alles. Zu Besuch in Sielmingen.

Lokalsport: Patrick Steinle (pst)

Filder - Durchschnittlich vier Millionen Liter Abwasser kommen pro Tag beim Klärwerk in Sielmingen an. Wer das Gebäude mit dem Rechen betritt, hält sich vermutlich erst einmal die Nase zu. Ein Geruch wie im Kuhstall. Das Abwasser wird hier zum ersten Mal gereinigt. Der Abstand zwischen den Metallstäben des Rechens beträgt acht Millimeter. „Alles, was größer ist, wird abgefangen“, erklärt Hans-Martin May, der Betriebsleiter der Kläranlage in Sielmingen. Er meint damit Fäkalien und Toilettenpapier, aber auch Plastikfolien, Q-Tipps, Verbände und andere Hygieneartikel.

 

Zweite Station für das Abwasser ist ein Becken, durch das es langsam fließt, es ist im Freien, unüberdacht. Es riecht nicht mehr so streng. Hier setzt sich Schweres ab, das durch den Rechen geflutscht ist. Leichtes bleibt oben. Schwarze und weiße Partikel schwimmen auf der Wasseroberfläche. Vom Material her ist das alles Mögliche, auch Plastik. Wenn es hier durch ist, sind die Überbleibsel unsichtbar. „Ich würde dann von Mikroplastik sprechen, man kann es mit dem bloßen Auge nicht mehr erkennen“, sagt May.

Wie Mikroplastik entsteht

Mikroplastik entsteht auf verschiedene Weise. Zum einen, weil größere Plastikteile mit der Zeit zerfallen. Zum anderen aber auch, weil die Plastik-Winzlinge Produkten hinzugefügt werden. Zum Beispiel Zahncremes oder Peelings. Über den heimischen Abfluss gelangen sie dann in die Kläranlagen und letztlich auch in die Landschaft, die Flüsse und das Meer. „Mikrostoffe werden auch aus Textilien gewaschen“, sagt Betriebsleiter May. Besonders auffällig sollen hier laut BUND Fleecestoffe sein. Eine große Quelle für Mikroplastik sind allerdings die Autos. Beim Abrieb der Reifen wandern unzählige Teilchen über die Luft und Regenwasser in die Umwelt. In Berlin wird sogar mit speziellen Filtern für Gullys experimentiert, um die Verschmutzung zumindest etwas einzudämmen.

Die Mikropartikel stellen eine Herausforderung für Kläranlagen dar. In Sielmingen wird das Abwasser in einer weiteren Reinigungsstufe mit Bakterien versetzt, sie fressen die Partikel. „Bakterien nehmen alles wie ein Schwamm auf“, erklärt May. Egal ob Plastik oder anderes. Bis das Wasser am Ende einer langen Kette in den Fleinsbach fließt, seien rund 80 Prozent der Mikroplastikpartikel draußen. May beruft sich dabei auf eine Studie aus der Schweiz, welche auch in Sielmingen zutreffe. Damit könne man zufrieden sein.

Trotzdem bleibt eine Riesenmenge Mikroplastik übrig

Zahlen hat auch Maximiliane Kühl. Sie ist Betriebsingenieurin und arbeitet für die Stadt Stuttgart. Die Stadtentwässerung betreibt die beiden Klärwerke in Möhringen und Plieningen. „Studien haben gezeigt, dass Mikroplastik, das kleiner ist als ein Millimeter, bereits zu 98 Prozent aus dem Abwasser entnommen und so entsorgt werden kann“, erzählt Kühl. „Konkret heißt das für die Außenklärwerke Möhringen und Plieningen, dass die Plastikteilchen im Hauptklärwerk Mühlhausen entsorgt werden.“

Wer genau rechnet, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass trotzdem noch eine Riesenmenge Plastikteilchen die Kläranlagen verlässt. Schottische Forscher hatten vor drei Jahren im Fachblatt Environmental Science and Technology darüber berichtet, dass aus einer größeren Kläranlage, die täglich über 250 000 Kubikmeter Wasser reinigt, trotzdem noch etwa 65 Millionen Plastikpartikel fließen.

In der Branche wird über eine weitere Reinigungsstufe diskutiert. Diese soll allerdings nicht primär Mikroplastik aussieben, aber das wäre ein willkommener Nebeneffekt. In Plieningen gibt es einen solchen Filter bereits. Der Betriebsleiter in Sielmingen, Hans-Martin May, findet den Bau einer weiteren Stufe nicht förderlich. „Bei der Errichtung wird die Umwelt wahrscheinlich mehr belastet, als sie später entlastet wird“, sagt er. „Das wäre ökonomisch gesehen nicht sinnvoll.“

Was genau ist Mikroplastik?

Von Mikroplastik wird gemeinhin gesprochen, wenn es sich um Partikel kleiner als fünf Millimeter handelt. Wie klein die Kleinsten sein können, ist allerdings unklar. Die Grenze nach unten hin ist also offen. Es ist sehr kompliziert und langwierig, selbst unter dem Mikroskop, das Material von Miniteilchen zu bestimmen. Die große Frage ist zudem, welche Auswirkungen die Millionen Tonnen Mikroplastik, die im Jahr in die Natur gelangen, haben. Sie wurden bereits in Seehunden, Fischen und Muscheln, ja sogar in menschlichem Kot nachgewiesen.

Mikroplastik entsteht entweder, weil größere Plastikteile zerfallen. Es wird aber auch Produkten – vor allem Kosmetika – beigefügt. Beispiele: Zahncremes und Peelings, in Duschgels und Flüssigseifen kann es sich auch um flüssiges Plastik handeln. Weitere Quellen für Mikroplastik sind Textilien (vor allem Fleece) sowie Reifenabrieb von Autos.