Die Arbeitsagentur will Hartz-IV-Empfänger auf die rund 1900 neuen Arbeitsplätze vermitteln, die im Milaneo und Gerber entstehen. Verdi bemängelt aber jetzt schon die Konditionen für die zukünftigen Beschäftigten.

Stuttgart - Stuttgarts Einzelhandel wächst. Während sich die Betreiber der neuen Einkaufszentren auf die Neueröffnung freuen, beobachtet die Gewerkschaft Verdi die Entwicklung ziemlich skeptisch – und das, obwohl viele neue Arbeitsplätze entstehen.

 

Im September eröffnet zunächst das Gerber. Auf 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen die Kunden in 86 Läden und Lokalen ihr Geld ausgeben. Insgesamt 500 Angestellte werden in dem Einkaufszentrum arbeiten. Keine drei Wochen später eröffnet das Milaneo mit 43 000 Quadratmetern und 200 Shops. „Ich rechne im Milaneo mit insgesamt 1400 Arbeitsplätzen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte“, sagt Christian Stamerjohanns, der Pressesprecher des Projektentwicklers ECE. Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, glaubt, die Suche nach geeigneten Leuten dürfte für die Einkaufszentren schwierig sein, da beide Center die selbe Zielgruppe ansprechen. „Außerdem haben viele gute Unternehmen derzeit Probleme, qualifizierte Arbeitnehmer zu finden“, so Hagmann.

Die Kritik der Gewerkschaft

Bei der Gewerkschaft Verdi sieht man die Entwicklung kritisch. „Sobald der Umsatz nicht mehr stimmt, werden einzelne Läden an der Königstraße schließen“, sagt Christina Frank, Gewerkschaftssekretären bei Verdi in Stuttgart. Frank kritisiert vor allem die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel. So gebe es wenig Vollzeitangebote und überwiegend Teilzeitstellen. „Der Anteil an geringfügig Beschäftigten, die bis zu 15 Stunden in der Woche arbeiten, ist besonders hoch“, sagt Frank. Zudem müssten die Mitarbeiter auffällig oft während Sonderöffnungszeiten arbeiten. „Diese sind oftmals nicht angemeldet und damit rechtswidrig“, so Frank. Das Problem sei, dass dies in der Regel niemandem auffalle. Wenn doch, ließe sich das erst Monate später gerichtlich unterbinden. Die Mitarbeiter selbst hätten davon meist nichts mehr. „Die Leute müssen voll flexibel sein“, sagt Frank. Jeder zweite Fall, mit dem sie beschäftigt sei, drehe sich um Mitarbeiter, die Beruf und Familie nicht miteinander vereinbaren können. „Da heißt es: du arbeitest doch im Einzelhandel, es muss dir klar sein, wie es hier läuft.“

Mit einer Stellenausschreibung auf der Homepage des Gerber sucht die niederländische Modekette WE Fashion Minijobber und Aushilfen in Teilzeit. Dort war bis vor Kurzem zu lesen „Zeitliche Flexibilität deiner Einsatzzeiten ist selbstverständlich“. Dieser Satz ist wurde später aus der Stellenanzeige entfernt.

Laut Frank zahlen die Handelsketten oftmals nur sieben oder acht Euro die Stunde. Tariflich stünden den Beschäftigten als Berufsanfänger jedoch 9,50 Euro und als ausgelernter Mitarbeiter bis zu 14,50 Euro zu, so die Gewerkschaftssekretärin. Vielen Mitarbeitern reicht das Gehalt nicht aus. Sie nehmen mehrere Jobs an und werden so zu „Multi-Jobbern“.

Chance für Langzeitarbeitslose

Das Stuttgarter Jobcenter sieht in den beiden Einkaufszentren hingegen eine Chance für den Arbeitsmarkt. „Das Management von Primark ist auf die Arbeitsagentur zugekommen“, sagt Jürgen Peeß, der Leiter des Jobcenters, „wir haben daraufhin 455 Vermittlungsvorschläge von Hartz-IV-Empfängern aus Stuttgart für dieses Unternehmen vorbereitet.“ Die als Billiganbieter bekannte irische Modekette hat bisher eine süddeutsche Filiale in Karlsruhe. Primark wird Hauptmieter, sogenannter Ankermieter im Milaneo und 5700 Quadratemeter einnehmen.

In Köln seien für Primark im Rahmen einer ähnlichen Aktion mehr als 300 Arbeitslose vermittelt worden, erklärt Jürgen Peeß. Für Stuttgart rechnet der Leiter des Jobcenters mit etwa 200 Vermittlungen. „Die Vorstellungsgespräche finden im Juli und Anfang August statt.“ Auch am Lohn bei Primark hat der Leiter des Jobcenters nichts auszusetzen. „Die Modekette will zwischen 9,45 und 13 Euro pro Stunde bezahlen“, sagt er. Das sei für Menschen ohne eine spezielle Ausbildung in Ordnung. Und: „Die Firma gilt gerade bei jungen Menschen als sehr attraktiver Arbeitgeber.“ Zudem hätten weitere Mieter aus dem Gerber und dem Milaneo ähnliche Anfragen gestellt. „Mediamarkt will mit unserer Hilfe 50 Stellen im Milaneo besetzen“, so Jürgen Peeß.

Die Ansiedlung des Billiganbieters hatte zu Kritik geführt. Bettina Fuchs, Sprecherin der City-Initiative, hatte sich im Mai gegenüber der Stuttgarter Zeitung wenig begeistert von der Neueröffnung gezeigt. „Die Produktionsbedingungen von Primark sind mehr als fragwürdig“, sagte Fuchs. Primark hatte auf dem Gelände in Bangladesh produziert, auf dem im April 2013 eine Fabrik zusammengestürzt ist. 1133 Textilarbeiter wurden dabei getötet und etwa 2500 verletzt.

Bezahlung „überwiegend nach Tarif“

„Insgesamt planen wir mit 400 unbefristeten und 100 befristeten, zuzüglich 24 Stellen im Management“, erklärt eine Sprecherin von Primark auf StZ-Anfrage. Und: „Wir unterscheiden nicht zwischen Teil- und Vollzeit.“ Auf der Internetseite von Primark finden sich verschiedene Ausschreibungen für Jobs im Milaneo – darunter Voll- und Teilzeitstellen. Gesucht wird unter anderem eine Aushilfskraft für acht Stunden am Wochenende. „Unsere Mieter sind seriös, deshalb gehen wir von einer Bezahlung der Beschäftigten überwiegend nach Tarif aus“, sagt der ECE-Sprecher Stamerjohanns.

Intersport Voswinkel wird in beiden Einkaufszentren eröffnen. Laut dem Geschäftsführer Mathias Bärtels werden allein im Gerber 30 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit beschäftigt. Zwei Drittel des benötigten Personals wird neu gesucht. „Wir haben ausreichend Bewerber“, sagt Bärtels. Man bemühe sich auf die Mitarbeiter einzugehen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Zu der Frage, ob das Unternehmen nach Tarif zahle, äußerte sich Bärtels nicht.

Handelsboom in der Region

Doch nicht allein in Stuttgart sind die Einzelhändler auf der Suche nach neuen Mitarbeitern: Laut Christina Frank sucht beispielsweise der Lebensmittelhändler Edeka nicht nur Mitarbeiter für seine Filiale im Stuttgarter Gerber, sondern auch für die Neueröffnung seines Markts in den Mercaden, einem neuen Shoppingcenter in Böblingen – zusammengenommen sollen rund 90 Stellen besetzt werden. „Die Suche gestaltet sich nach meinem Infostand schwierig“, sagt Frank. Die Mercaden eröffnen am 2. Oktober. In Ludwigsburg baut die ECE zudem das Marstall-Center zu einer 23 000 Quadratmeter großen Verkaufsfläche mit rund 60 Shops um. Die Eröffnung ist im Herbst geplant. Und: wegen seines Breuningerlands in Sindelfingen befindet sich Breuninger gegenwärtig im Rechtsstreit mit der Stadt. Es geht um die zurückgezogene Genehmigung für eine Erweiterung.

Christina Frank hat derweil eine weitere Befürchtung. In den vergangenen Jahren hat sich das Mitspracherecht der Mitarbeiter in den Geschäften in der Innenstadt durch die Gründung von Betriebsräten deutlich verbessert. Nun befürchtet sie, dass die neuen Center diese Strukturen zerstören könnten.