Exklusiv Der Militärbischof Sigurd Rink sagt im Interview, es gebe ein Tötungsverbot. Aber es gebe auch ein Gebot, das Töten nicht zuzulassen. Er sieht die Grenzen des Pazifismus.

Berlin - Die Kirche müsse auch realpolitische Positionen vertreten, sagt Sigurd Rink im Streit über Militärschläge gegen den IS. Der neue Militärbischof sieht Waffenlieferungen an Kurden skeptisch.
Herr Rink, Ihr neues Amt als Militärbischof macht Sie zu einer Autorität für Fragen nach Krieg und Moral. Sind Sie erschrocken darüber, welch tiefe Kontroverse auch in der evangelischen Kirche darüber aufgebrochen ist?
Die Vehemenz, die das Thema gewonnen hat, hat mich überrascht. Zwar wird die friedensethische Debatte in der evangelischen Kirche seit dreißig Jahren geführt, aber niemand hat erwartet, dass die Berliner Republik monatelang fast ausschließlich von außen- und sicherheitspolitischen Themen mit Beschlag belegt würde.
Wo stehen Sie persönlich: bei Margot Käßmann, die sich zur Utopie einer bundeswehrfreien Republik nach dem Vorbild Costa Ricas bekennt? Oder bei Wolfgang Huber, der die ethische Grenze eines bedingungslosen Pazifismus dort zieht, wo Menschen vor der Auslöschung durch die Terrormiliz IS geschützt werden müssen?
Mir liegt daran, die Dinge zusammenzubringen: Das Käßmann-Interview ist keine realpolitische Aussage und reflektiert nicht die Wirklichkeit 2014. Es formuliert eine prophetische, friedenspolitische Vision. So weit gehe ich mit. Realpolitisch sehe ich mich an der Seite von Wolfgang Huber: Es gibt nicht nur ein Tötungsverbot, sondern auch ein Gebot, das Töten nicht zuzulassen. In meinen Augen kommt die Kirche nicht darum herum, neben der Projektion christlicher Ideale auch eine realpolitische ethische Position zu vertreten.
Der Terror des IS ist religiös verbrämt. Die Organisation beruft sich auf den Islam und schlachtet Andersgläubige ab. Ist das der einzige Kontext, in dem Sie den Einsatz militärischer Mittel für gerechtfertigt halten?
Nein, in der Friedens-Denkschrift der EKD von 2007 heißt es, dass die Völkergemeinschaft in extremen Notfällen zu Mitteln der  rechtserhaltenden Gewalt greifen darf, vielleicht sogar muss. Das rechtfertigt keine Territorial- oder Angriffskriege wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Aber wenn schwerste Menschenrechtsverletzungen vorliegen, ist die Völkergemeinschaft gefordert, dem Morden Einhalt zu gebieten. Mein Schlüsselerlebnis war 1994, als in Ruanda binnen weniger Monate 500 000 bis 800 000 Menschen zu Tode gekommen sind. Damals ist mir, der aus der Friedensbewegung kommt, klar geworden, dass die Welt auch durch Nichthandeln schuldig werden kann.
Im Fall von Syrien, Irak und dem IS handelt die „Völkergemeinschaft“ nicht – im Sinne der Denkschrift ist das allein die UN.
So ist es. Deshalb habe ich da ein Problem. Laut Denkschrift braucht es die UN, um militärisches Handeln zu legitimieren. Das ist neben den Risiken, die ich insgesamt darin sehe, ein Grund, warum ich bei den deutschen Waffenlieferungen an die Kurden zurückhaltend bin.
War die Bundesregierung da voreilig?
Das will ich nicht sagen. Unglücklicherweise hat sich die Lage im Nordirak während der Sommerpause in New York zugespitzt. Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass die Akteure den Entschluss zum Handeln gefasst haben, bevor eine offizielle UN-Resolution vorlag. Dass die Bundesregierung als Kollektiv zu diesem Beschluss steht, ist für mich eine ausreichende Vertrauensbasis. Ich glaube, dass ein adäquates Vorgehen gefunden wurde.
In vielen Konflikten der Vergangenheit waren die UN im Sicherheitsrat blockiert. Ist es in solchen Fällen wirklich legitim, das Gebot vom Nicht-töten-Lassen zu ignorieren?
Auch für dieses Dilemma muss die Kirche eine Antwort finden.
Muss die EKD nacharbeiten, vielleicht schon bei der Synode im November?
So schnell wird das nicht gehen. Wir müssen unsere Denkschrift weiterentwickeln. 2007 waren die heutigen Konfliktlagen – sei es in Syrien und im Irak oder in der Ukraine – in der aktuellen Schärfe nicht vorherzusehen. Wir werden sehr grundsätzlich überlegen müssen, was ethisch vertretbar ist: in Fällen asymmetrischer Kriegsführung, beim verdeckten Einsatz fremder Truppen – und bei Drohnen, die automatisiert töten können.