Immer neue blutige Details sickern von dem Angriff der Regierungstruppen gegen die Demokratiebewegung im Sudan durch. Steckt ein interner Machtkampf innerhalb der Generalität dahinter?

Khartum - Vier Tage nach der Räumung der „Revolutionsmeile“ in der sudanesischen Hauptstadt Khartum kommt das wahre Ausmaß der mit äußerster Härte durchgeführten Militäraktion immer klarer zum Vorschein. Das der Opposition nahestehende Zentralkomitee der Ärzte spricht inzwischen von weit über 100 Toten, nachdem mindestens 40 Leichen aus dem Nil geborgen wurden: Sie waren entweder erschossen, mit Macheten verstümmelt oder totgeschlagen worden, bevor sie von den Milizionären der Rapid Supply Forces (RSF) in den Fluss geworfen wurden.

 

„Nun kannst du ihn gleich beerdigen"

Selbst offizielle Quellen wie das sudanesische Gesundheitsministerium sprechen inzwischen von 46 Toten, mehr als 500 Menschen wurden nach Angaben der Opposition zum Teil schwer verletzt. Trotz der verhängten Nachrichtensperre sickern über die sozialen Netzwerke Einzelheiten des Einsatzes der RSF-Milizionäre durch: Sie sollen etwa einem jungen Mann, der einen verletzten Freund ins Krankenhaus bringen wollte, ins Bein geschossen haben. Als er stürzte, schossen die Milizionäre seinem Freund aus nächster Nähe in den Kopf. „Nun kannst du ihn gleich beerdigen“, sollen die RSF-Kämpfer gespottet haben. Einem weiteren Bericht zufolge erschossen die Milizionäre einen Ladenbesitzer, von dem sie Wasser verlangten, weil er für seine Ware bezahlt werden wollte. In zahlreichen Videoaufnahmen sind RSF-Mitglieder zu sehen, die Autos anhalten und die Insassen auf die Straße beordern, um sie dort mit Stöcken zusammenzuschlagen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte, dass die Sicherheitskräfte bei ihren anschließenden Razzien auch vor Krankenhäusern nicht haltgemacht hätten.

Die Armeeführung hatte zwar Gespräche mit der Opposition angeboten, die aber zurückgewiesen wurden. Das sudanesische Volk habe sein Vertrauen in die Militärs vollends verloren, sagte Oppositionssprecher Amjad Farid. Nun versucht der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed zu vermitteln. Bei der Begegnung war RSF-Chef Hamdan Dagalo alias Hemiti nicht vertreten.

Eine gnadenlose Truppe

Unterschiedlich wird in Khartum das Verhältnis der regulären Armee zur RSF-Miliz eingeschätzt. Manche Beobachter sprechen von einem „tiefen Zerwürfnis“ innerhalb des Militärischen Übergangsrats (TMC), in dem sowohl Armeechef Abdel Fattah al-Burhan als auch RSF-Chef Hemiti eine führende Rolle spielen. Während Hemiti als Scharfmacher mit Präsidentschaftsambitionen gilt, seien Teile der Armee mit der jüngsten Eskalation unzufrieden, heißt es. Selbst eine militärische Konfrontation der beiden Flügel und ein regelrechter Bürgerkrieg könnten nicht ausgeschlossen werden. Andere betrachten die scheinbaren Differenzen als abgekartetes Spiel, mit dem der Ruf der Armee gerettet werden soll. Ihrer Auffassung nach hat sich Hemiti längst als starker Mann des Sicherheitsapparats durchgesetzt. Er befehligt die rund 30 000 RSF-Milizionäre, die sich bereits in den Bürgerkriegen im Darfur sowie in den Provinzen Weißer Nil und Süd-Kordofan den Ruf einer „gnadenlosen Truppe“ (Human Rights Watch) zugezogen haben.

Der einstige Kamelhändler, der lediglich drei Jahre die Schulbank drückte, bereicherte sich an den Goldvorkommen im Darfur – und dadurch, dass er seine Kämpfer zur Unterstützung Saudi-Arabiens in den Bürgerkrieg im Jemen schickte. Er soll inzwischen Dollar-Milliardär sein. Hemiti kann mit der Unterstützung aus Saudi-Arabien, Dubai und Ägypten rechnen. Die Afrikanische Union suspendierte wegen des Militärcoups die Mitgliedschaft des Sudan. Erst wenn das Land von einer Zivilregierung geführt werde, könne es wieder aufgenommen werden, hieß es.