Washington ist uneins. Hat der Präsident die Glaubwürdigkeit seiner Politik gerettet – oder leichtsinnig einen Krieg provoziert?

Washington - Kaum war der Tod Ghassem Soleimanis publik geworden, sprach Mark Esper in merkwürdiger Wortwahl von einer „entschiedenen Defensivaktion“. Der iranische General habe Attacken sowohl gegen Diplomaten als auch gegen Soldaten der USA vorbereitet, nicht nur im Irak, sondern im gesamten Nahen Osten. Die Umsetzung dieser Pläne habe man verhindern wollen, erklärte der Verteidigungsminister noch in der Nacht zum Freitag, deshalb habe man entschlossen gehandelt.

 

Mit Donald Trumps Entscheidung, Soleimani zu töten, sei das Leben Hunderter, wenn nicht Tausender Amerikaner gerettet worden, legte Mike Pompeo später in einem CNN-Interview nach. Geheimdienste hätten gewarnt, „letzte Nacht war der Zeitpunkt, an dem wir zuschlagen mussten“, sagte der Außenminister. Es ist eine Darstellung, die bei kundigen Beobachtern auf Skepsis und Widerspruch stößt.

Die Opposition kritisiert Trump für eine Strategie, die dem Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Teheran an Konstruktivem nichts folgen ließ und nun, in der Sackgasse, immer mehr zu einem Vabanquespiel gerät. Der Mann habe gerade eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen, kommentiert Joe Biden, der momentan aussichtsreichste Präsidentschaftsbewerber der Demokraten. „Ich hoffe, die Regierung hat auf dem Weg, den sie gewählt hat, auch über den zweiten und dritten Schritt nachgedacht.“ Tatsächlich hat das Oval Office im Umgang mit dem Iran allein auf die Peitsche schwerer Wirtschaftssanktionen gesetzt, ohne sie durch etwas zu ergänzen, was auch nur ansatzweise an Zuckerbrot denken lässt. Akute ökonomische Not soll das Volk auf die Barrikaden und das Regime zu Fall bringen, kalkuliert Trump. Kompromisse mit den Ajatollahs sind dabei nicht vorgesehen.

Bush und Obama kamen zu einem anderen Schluss

Eine bewaffnete Intervention aber wollte er schon deshalb nicht riskieren, weil er den Rückzug aus dem krisenschwangeren Mittleren Osten versprochen hatte. Sein Zaudern, argumentieren wiederum die Hardliner, habe die Supermacht ihrer Glaubwürdigkeit beraubt. Im Juni nach dem Abschuss einer US-Drohne eine in letzter Minute abgeblasene Militäraktion, im September ein nicht geahndeter Raketenschlag gegen saudische Ölanlagen, in Washington dem Iran zugeschrieben: Trump, so stichelten die Falken, erinnere an einen Papiertiger. Mit der Tötung Soleimanis, so ihre Diktion, sei die Glaubwürdigkeit amerikanischer Abschreckung wiederhergestellt worden. Sie sei die angemessene Antwort auf iranische Provokationen, sagt der konservative Senator Lindsey Graham.

Nicht nur das sieht die demokratische Parteiprominenz anders, sie wirft auch die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Angriffs auf. Im Unterschied zu Osama bin Laden oder Abu Bakr al-Baghdadi war Soleimani nicht der Anführer eines Terrornetzwerks, sondern de facto Regierungsmitglied. Weder Bush noch Obama, betonen Trumps Kritiker, nahmen ihn direkt ins Visier, weil sie ahnten, was folgen würde. „Soleimani war ein Feind der USA, das steht außer Frage“, fasst es der demokratische Senator Chris Murphy zusammen. „Die Frage ist: Hat Amerika gerade, ohne Autorisierung durch den Kongress, die zweitmächtigste Person im Iran ermordet, wissentlich einen potenziell gewaltigen Regionalkrieg auslösend?“