Die Wasserspiele sind versiegt, viele Bäume verdorrt, die Toilettenhäuschen verriegelt: Zehn Jahre nach den Olympischen Sommerspielen in Athen zahlen die Griechen immer noch die Milliardenrechnung ab, während die einst prächtigen Spielstätten verfallen.

Athen - Maro Vassilopoulou zieht die Vorhänge zur Seite, öffnet die Balkontür und tritt hinaus. „Es war wunderbar, damals“, sagt die 77-Jährige. Von ihrer Dreizimmerwohnung im Athener Stadtteil Maroussi geht der Blick hinüber zum wenige Hundert Meter entfernten Olympiastadion. Die kühne Dachkonstruktion des spanischen Architekten Santiago Calatrava glänzt im milden Licht der Abendsonne. Es ist still. Die Gedanken der alten Frau gehen zehn Jahre zurück, zum 13. August 2004, dem Eröffnungstag der Olympischen Spiele von Athen. „Die Fahnen, die Lichter, die Musik, die fröhlichen Menschen aus aller Welt – hier auf meinem Balkon hatte ich ja einen Logenplatz! Und dann das nicht enden wollende Feuerwerk, grandios.“ Die Rentnerin wischt sich eine Träne der Rührung aus dem Auge. Heute bietet sich ihr ein anderes Bild.

 

Auf dem Olympiagelände herrscht gähnende Leere. Die Sonne brennt, der heiße Nordwind wirbelt Staub auf. „Irini“, Frieden, heißt die S-Bahn-Station am Olympiagelände. Vor zehn Jahren herrschte hier Hochbetrieb. Zehntausende strömten zu den Zügen. Heute sind die Bahnsteige leer. Nur wenige Fahrgäste steigen hier aus oder ein. Ab und zu irren einige neugierige Touristen über das riesige Areal. Wie Maria und Peter Papas. Die beiden Geschwister leben in Boston, sind Nachkommen griechischer Auswanderer. Auf ihrer Mittelmeerkreuzfahrt haben sie in Piräus Station gemacht. Die Akropolis wollten sie sehen – und das Olympiagelände. „Is that all“, fragt Peter enttäuscht, ist das alles?

Das Spielfeld des Baseballstadions Foto: AFP

Viel gibt es hier tatsächlich nicht zu sehen. Die Wasserspiele sind längst versiegt, viele Bäume verdorrt, weil die Bewässerung nicht funktioniert. Die Toilettenhäuschen sind verriegelt, die künstlichen Wasserläufe der Olympia-Promenade sind trockengelegt. Keine Spur von dem versprochenen Freizeitpark, in dem die Athener ihre Sonntagsspaziergänge machen sollten. Nicht mal eine Erfrischungsbude gibt es. Das Radstation mit seinem elegant geschwungenen Dach: Es steht leer. In den Pools des Olympischen Schwimmstadions stehen Pfützen vom letzten Gewitter.

An der Stahlkonstruktion, die das Dach des Olympiastadions hält, nagt der Rost. Könnte man das nicht wenigstens mal neu anstreichen? Schließlich will hier am 19. September Lady Gaga auftreten. Nein, renovieren geht nicht. Denn wie viele Olympia-Bauten wurde auch diese Stahlkonstruktion ohne Baugenehmigung errichtet – man musste schließlich rechtzeitig fertig werden. Illegale Bauten dürfen aber nicht gewartet werden, so bestimmt es das Gesetz in Griechenland. Eigentlich müssten sie abgerissen werden.

Auch das Inventar verrottet. Foto: AFP

2004 war das Jahr der Griechen: Erst der Aufstieg auf den Fußball-Olymp, der Titel des Europameisters, dann die Olympischen Spiele, die trotz aller Unkenrufe ein großartiges globales Fest wurden. Der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge sprach bei der Schlussfeier von „magischen Traumspielen“. Längst hat sich der Traum zum Albtraum gewandelt. Von den Spielen sind vor allem riesige Schulden geblieben. Viele Milliarden Euro ließen sich die Griechen die Spiele kosten. „Athen 2004“ besiegelte den Absturz des Landes ins Schuldendesaster. Sechs Jahre später stand Griechenland vor dem Bankrott. Nur mit Milliardenkrediten der EU und des Internationalen Währungsfonds konnte die Staatspleite in letzter Minute abgewendet werden.

Zum Erbe der Spiele gehören neben dem erdrückenden Schuldenberg Dutzende „Weiße Elefanten“ – Gebäude und Anlagen, die heute völlig nutzlos sind. Von der Station Irini ist man mit der S-Bahn in 20 Minuten am Meer, in Faliron. Hier befand sich der zweite große Brennpunkt der Spiele. Heute ist dies der wohl ödeste Küstenstreifen in ganz Griechenland. Parks und Schwimmbäder sollten hier nach den Spielen entstehen. Stattdessen verrotten und verfallen die Olympia-Anlagen wie das Beachvolleyball-Stadion.

Der Wildwasserkanal liegt seit zehn Jahren brach. Foto: AFP

Ganz ungenutzt ist die Küste aber nicht: Nach Einbruch der Dunkelheit brummen Laster durch das Gelände und kippen hier illegal Bauschutt ab. Ganz in der Nähe entstehen jetzt Athens neues Opernhaus und eine Nationalbibliothek. Mehr als eine halbe Milliarde Euro investiert die gemeinnützige Niarchos-Stiftung in das künftige Kulturzentrum – ein Geschenk an das Land. Die griechische Regierung ist unterdessen nicht einmal in der Lage, ein paar Bäume zu pflanzen und Spazierwege anzulegen. Mit der Straßenbahn, die an der Küste entlangfährt, ist man von Faliron in 15 Minuten in Agios Kosmas. Hier fanden die Segelwettbewerbe statt. Aber der für die Spiele angelegte riesige Jachthafen, damals Griechenlands modernste Marina, steht leer. Das Gelände ist mit Gitterzäunen abgeriegelt. Unkraut sprießt aus den Zufahrtswegen. „Hier kommt keiner rein“, sagt ein grimmiger Wachmann der Sicherheitsfirma, die das Gelände schützt. Gleich neben Agios Kosmas liegt der alte Athener Flughafen Ellinikon – auch ein Stück Olympia-Erbe. Auf einem Teil des Flughafens wurden 2004 in einem künstlichen Wildwasser die Kanu-Wettbewerbe ausgetragen. Die Anlagen sind heute abgeriegelt, sie verkommen. In umgebauten Flugzeughangars spielte man 2004 Basketball. Hier sollte nach den Spielen der „größte Park Europas“ entstehen, so die Ankündigung der damaligen Regierung. Zehn Jahre später ist das Flughafenareal eingezäunt – Zutritt verboten. Hier scheint die Zeit stillzustehen: „Domestic Arrivals“, „International Departures“ – die verrosteten Schilder aus den 1990er Jahren hängen immer noch über den Zufahrtsstraßen. In einer Ecke des Rollfelds verrottet ein Jumbojet der längst untergegangenen Olympic Airways. Jetzt soll das Gelände an der Athener Küste, das größer ist als Monaco, endlich genutzt werden: Ein Konsortium griechischer, chinesischer und arabischer Firmen will für sieben Milliarden Euro auf dem Areal Freizeitparks, Hotels, Kongresszentren und Luxuswohnungen bauen. Vielleicht werfen die Spiele 2004 ja doch noch eine kleine Rendite ab. Die immensen Kosten werden allerdings nie wieder hereinkommen.

Was haben die Spiele überhaupt gekostet? Auch zehn Jahre später ist das immer noch strittig. Die Angaben schwanken zwischen sieben und elf Milliarden Euro. Viel Geld versickerte in dunklen Kanälen. Jetzt will die damalige Präsidentin des Organisationskomitees, Gianna Angelopoulos, eine Studie in Auftrag geben, um zu klären, wohin die Gelder geflossen sind – ein bisschen spät. Die 2004 aufgehäuften Schulden werden noch Generationen von Griechen abstottern müssen. Dennoch sind viele Athener dankbar für die Spiele: Sie bescherten der griechischen Hauptstadt eine moderne Stadtautobahn, einen neuen Flughafen, ein U-Bahn-Netz, Brücken, Unterführungen und drei Straßenbahnlinien. Ohne die Olympischen Spiele gäbe es das alles nicht.