Sammelklage gegen EY und Ex-Wirecard-Chef Markus Braun – Das Oberlandesgericht München hat einen Musterkläger bestimmt. Ein kurzer Prozess wird es nicht.

Strafrechtlich wird die Pleite des Skandalkonzerns Wirecard seit Ende 2022 gerade vor dem Landgericht München aufgearbeitet. Ex-Konzernchef Markus Braun und zwei weitere Manager stehen dabei wegen Betrugs, Untreue und Marktmanipulation voraussichtlich bis ins Jahr 2024 hinein vor Gericht. Noch viel länger dauert wohl die zivilrechtliche Seite mit Regressforderungen in potenziell zweistelliger Milliardenhöhe.

 

Auch dafür wird es demnächst in München einen Prozess geben. Er läuft nach den Spielregeln des Kapitalanleger-Musterverfahrens, das im juristischen Jargon mit KapMuG abgekürzt wird. Verhandelt wird am Oberlandesgericht (OLG), das mit dem Bankkaufmann Kurt Ebert jetzt einen Musterkläger bestimmt hat. „Er ist ein erfahrener Privatanleger“, erklärt Anlegeranwalt Peter Mattil die Auswahl.

Mattil wird mit seiner Kanzlei den Musterkläger vertreten und das KapMuG-Verfahren zusammen mit seinem Rechtsanwaltskollegen Elmar Vitt führen. Ebert mache rund eine halbe Million Euro Schaden geltend, die er mit Wirecard-Aktien verloren hat, so Mattil. Beklagt wird unter anderem der deutsche Ableger der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die jahrelang die Wirecard-Bilanzen testiert hat, ohne dass den Experten ein Betrug aufgefallen wäre. Am Ende waren 1,9 Milliarden Euro angebliches Wirecard-Treuhandvermögen nicht auffindbar, mutmaßlich weil es das Geld nie gegeben hat. 2020 meldete Wirecard Insolvenz an.

Zweistelliger Milliardenbetrag

Neben EY als Gesellschaft sind einzelne EY-Prüfer, Braun, ein weiterer Ex-Vorstand und sein immer noch flüchtiger Vorstandskollege Jan Marsalek Beklagte im Verfahren.

Allein der Schaden, der Anlegern entstanden ist, hat eine zweistellige Milliardendimension. Wie viel davon im Rahmen der Regressklage geltend gemacht wird, ist offen. Geschädigte haben sechs Monate Zeit, sich dem Verfahren anzuschließen. Die Zeit läuft ab dessen Veröffentlichung im Klageregister des „Bundesanzeigers“. Das wird für die nächsten Tage erwartet.

Den Musterkläger beschreibt Mattil als typischen Wirecard-Anleger. Er sei kein Anlageprofi, aber als Betriebswirt und Bankkaufmann auch nicht unerfahren. Das Oberlandesgericht habe ihn ausgewählt. Vom Fall theoretisch betroffen seien bis zu 150 000 Wirecard-Anleger. Vor Gericht werde es auf jeden Fall um eine Milliardensumme gehen, schätzt der Anlegeranwalt. „Es gibt keine Haftungsbegrenzung“, stellt er speziell mit Blick auf EY klar. Solche Grenzen gebe es nur im Verhältnis von Wirtschaftsprüfer und zu prüfender Gesellschaft.

Voraussetzung sei, dass im KapMuG-Verfahren vorsätzliches Handeln bewiesen werden kann. Das gilt als sehr zeitaufwendig. Es gebe KapMuG-Verfahren, die Jahrzehnte gedauert haben, wie das um die Deutsche Telekom, warnt Mattil. Er hoffe im Wirecard-Fall mit „wenigen Jahren“ auszukommen. Prozessbeginn könne im Sommer oder Herbst sein. Eine OLG-Sprecherin schätzt den Startschuss eher für Anfang 2024.

Im Rahmen des Verfahrens würden Zeugen gehört und Gutachten erstellt, skizziert Mattil den erwartbaren Prozessverlauf. Falls EY, Braun und andere am Ende schuldig gesprochen würden, könne das Urteil vor dem Bundesgerichtshof angefochten werden. Es lege zudem keine konkreten Schadenersatzsummen fest. Die müsse jeder Geschädigte in einem weiteren Schritt individuell erstreiten, wozu ein gewonnenes KapMuG-Verfahren eine gute Basis wäre.

Wie reagiert der EY-Mutterkonzern?

Wer dem Verfahren binnen sechs Monaten beitreten will, brauche einen Anwalt, für den bei einer durchschnittlichen Klagesumme etwa 1000 Euro an Gebühren und weitere rund 300 Euro für das Gericht fällig würden, erklärt Mattil. Bei einem gewonnenen KapMuG-Verfahren fielen für einen individuellen zweiten Klageschritt weitere Gebühren an. Das und die lange Zeitdauer würden viele Geschädigte von einer Klage abhalten.

Insbesondere bei EY sei aber viel Geld zu holen, schätzt der Anlegeranwalt. Die Frage ist aber, ob der EY-Mutterkonzern im Falle einer Verurteilung seiner deutschen Tochter für diese finanziell geradestehen oder sie pleitegehen lassen würde. Bei Braun ist über dessen Beteiligungsgesellschaft mutmaßlich eine zweistellige Millionensumme zu holen. Auch Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffe will für seine Bankengläubiger Werte sichern. „Jaffes Forderungen haben aber keinen Vorrang“, stellt Mattil klar. Jaffe prüft seinerseits eine Schadenersatzklage gegen EY und hat sich dazu jüngst ein Auskunftsrecht für Wirecard-Unterlagen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstritten.