Stuttgart - Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) mit deutschem Hauptsitz in Stuttgart droht nun auch in den Strudel des Cum-Ex-Skandals um Steuertricksereien mit Milliardenschaden für den Fiskus zu geraten. Vor dem Landgericht Stuttgart sieht sich EY mit Forderungen nach Schadenersatz von fast 100 Millionen Euro konfrontiert, bestätigte eine Justizsprecherin. Der Insolvenzverwalter der Frankfurter Maple-Bank stütze seine Klage auf den Vorwurf, die Prüfer hätten das Institut falsch zu den Cum-Ex-Geschäften um Steuererstattungen für Aktien beraten und Jahresabschlüsse fehlerhaft testiert. Zugleich kämpft die international tätige Prüffirma gegen die verlangte Herausgabe von Unterlagen und gegen ein Verbot, Akten zu vernichten. Nach Niederlagen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Stuttgart zieht sie nun vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Von Anwälten schon 50 Millionen Euro geholt
Bei der Frankfurter Maple-Bank sollen mit Cum-Ex-Geschäften Steuern von rund 400 Millionen Euro hinterzogen worden sein. Infolge der Turbulenzen um den Skandal ging das Institut in die Insolvenz. Derzeit laufen Ermittlungen gegen 18 Beschuldigte, neben ehemaligen Verantwortlichen der Bank auch zwei Rechtsanwälte. Bei einer Razzia wurden auch Räume der Großkanzlei Freshfields durchsucht, für die beide damals tätig waren. Einer der Anwälte kam Ende 2019 vorübergehend in Untersuchungshaft, wurde inzwischen aber gegen vier Millionen Euro Kaution wieder freigelassen.
Der Insolvenzverwalter der Maple-Bank, Michael Frege aus Frankfurt, hatte Freshfields wegen der Beratung auf mindestens 95 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Im Spätsommer 2019 einigte man sich auf einen Vergleich, nach dem die Kanzlei etwa 50 Millionen Euro zahlte. Zugleich bekräftigte sie ihre Ansicht, „dass unsere Beratung der geltenden Rechtslage entsprach“.
Fast 100 Millionen Euro Schadenersatz verlangt
Auch von Ernst & Young verlangt Frege nun in Stuttgart etwa 95 Millionen Euro. Zugleich will er feststellen lassen, dass die Prüfgesellschaft „sämtliche weitere Schäden“ durch die umstrittenen Aktiengeschäfte zu ersetzen hat. Laut einer Gerichtssprecherin ging die fast 190 Seiten umfassende Klage kurz vor Weihnachten ein. Bis Ende März habe EY nun Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung sei noch nicht festgelegt. Der Insolvenzverwalter bestätigte, es gebe in Stuttgart „verschiedene Klagen“ gegen die Prüfer; Näheres dürfe er nicht dazu sagen. Auch von Ernst & Young war keine Stellungnahme zu erhalten; zu laufenden Verfahren äußere man sich grundsätzlich nicht. Die Forderungen des Insolvenzverwalters hält EY dem Vernehmen nach für unbegründet.
Brisant und von grundsätzlicher Bedeutung ist ein weiterer Aspekt des Rechtsstreits: Mit einer gesonderten Klage verlangt Frege Auskunft über die seit 2003 angelegten Handakten von Ernst & Young. Dabei hatte er in zwei Instanzen überwiegend Erfolg. Das Landgericht verurteilte die Prüfer bereits 2018 dazu, „Einsicht in die vollständigen Handakten zu gewähren“. Darunter fielen Dokumente, E-Mails, Dateien, Besprechungsprotokolle, Entwürfe, Grafiken und handschriftliche Notizen. Ausgenommen seien lediglich Unterlagen, die für interne Zwecke angefertigt wurden oder persönliche Eindrücke wiedergeben. Im Herbst 2019 wurde das Urteil vom OLG Stuttgart bestätigt. Nun muss der BGH über die Revision entscheiden. Dies wird vom gesamten Berufsstand der Wirtschaftsprüfer mit Spannung erwartet: Bisher galt es als klar, dass derartige Unterlagen nicht in Zivilprozessen an Kläger herausgegeben werden müssen. Sollte diese Rechtsauffassung nicht bestätigt werden, könnte dies weitreichende Folgen haben.
Harter Kampf um die Handakten
Auf Antrag des Insolvenzverwalters verbot es das Landgericht Ernst & Young auch, die seit 2003 angelegten Handakten zu vernichten. Dies gilt für alle Unterlagen, in die Einsicht gewährt werden muss. Für jeden Verstoß droht ein Ordnungsgeld von 250 000 Euro, der Streitwert wurde auf drei Millionen Euro festgelegt. Anders als die Anwälte sind die Wirtschaftsprüfer bisher nicht im Visier der Strafjustiz. Es gebe „derzeit keine Ermittlungen“ gegen Mitarbeiter weiterer Beratungsgesellschaften, sagte ein Sprecher der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft.