Die Affäre ums Landesamt für Besoldung weitet sich aus – und könnte zum Fall für die Justiz werden. Weil die Panne nach der Entdeckung nicht weiter gemeldet wurde, gingen dem Land viele Millionen Euro verloren.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Affäre um millionenschwere Unregelmäßigkeiten beim Landesamt für Besoldung und Versorgung weitet sich aus. Die Behörde hat nicht nur in den Jahren 2008 bis 2013 knapp 96 Millionen Euro Lohnsteuern doppelt und damit zu viel an die Finanzverwaltung abgeführt. In den Jahren von 2000 bis 2008 hatte sie offenbar 141 Millionen Euro Lohnsteuern zu wenig abgeführt. Auch 2014 und 2015 gab es noch Überzahlungen von unterm Strich drei Millionen Euro. Dies ist das Zwischenergebnis einer externen Revisionsgruppe, die Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) nach dem Bekanntwerden der Vorgänge eingesetzt hatte. Sie informierte am Donnerstag den Finanzausschuss des Landtages und die Öffentlichkeit darüber.

 

Zugleich wird immer wahrscheinlicher, dass die Affäre zu einem Fall für die Justiz wird. Strafrechtlich relevant könnten die Vorgänge um die Entdeckung der Millionenpanne im Jahr 2013 sein. Damals war die Doppelzahlung innerhalb des Landesamtes aufgefallen und von 2014 an abgestellt worden. Nach den Befunden der Revisionsgruppe blieb dies aber ohne die nötigen Konsequenzen. Die Vorgänge seien weder hausintern weitergegeben worden – offenbar wurde nur die nächsthöhere Ebene informiert – noch an das Finanzministerium übermittelt worden. Wegen der Verjährungsfristen führt dies wohl dazu, dass dem Land ein zweistelliger Millionenbetrag dauerhaft verloren geht. Insgesamt 42 Millionen Euro wurden inzwischen mit guten Aussichten zurückgefordert.

Disziplinarische Schritte eingeleitet

Sitzmann zeigte sich „erschüttert“, dass die Erkenntnisse innerhalb des Landesamtes nicht verwertet wurden. Man habe daher die Staatsanwaltschaft informiert. Ministeriumsintern wurden zudem disziplinarische Schritte eingeleitet. Gegen wen sie sich richten, blieb zunächst offen; es soll jedoch nicht der frühere Behördenleiter sein. Die Staatsanwaltschaft hatte bisher keinen Grund zu Ermittlungen gesehen, aber einen „Beobachtungsvorgang“ angelegt. Die neuen Erkenntnisse könnten nach der Einschätzung von Juristen den Verdacht der Untreue begründen. Von der Behörde war zunächst nicht zu erfahren, ob sie nun doch ermittelt. Man prüfe den Zwischenbericht, hieß es. Dem Staat ist durch die Doppelzahlung zwar kein Schaden entstanden, der Bund und andere Länder erhielten sogar mehr Geld als ihnen zustünde; Baden-Württemberg dagegen fehlt es.

Noch viele offene Fragen gibt es auch bei dem Vorgang um zu wenig gezahlte Steuern. Die Prüfer hatten festgestellt, dass sich auf einem Buchungskonto 141 Millionen Euro mehr befanden als dort sein durften. Für die Jahre 2006 und 2007 habe man nachvollziehen können, dass 20 beziehungsweise 21 Millionen Euro Lohnsteuer zu wenig abgeführt worden seien. Die Aufklärung des Zeitraums von 2000 bis 2007 sei schwieriger, weil die Unterlagen nicht mehr vollständig vorlägen. Der Finanzverwaltung waren weder die Doppelzahlungen noch die zu wenig abgeführten Steuern aufgefallen. Die Gründe werden noch untersucht.

Steuerprüfer können nicht richtig prüfen

Im fraglichen Zeitraum hatte es beim Landesamt offenbar mehrere Prüfungen gegeben, ob die Lohnsteuer ordnungsgemäß abgeführt wurde. Dabei hatten die Prüfer moniert, dass ihnen ein Abgleich der Daten über die IT-Systeme nicht oder nur stark eingeschränkt möglich sei. Ihre Anforderungen seien aber bis heute noch nicht vollständig umgesetzt, hieß es.

Aus Sicht der Finanzministerin hätten die Millionenpannen „nicht passieren dürfen“. Offenbar sei das vorgeschriebene Vier-Augen-Prinzip bei Buchungen nicht eingehalten worden. Zudem sei für die betroffenen Buchungskonten kein ordnungsgemäßer Jahresabschluss erstellt worden. Das Landesamt sei nun angewiesen, sämtliche Geschäftsprozesse zu überprüfen, um Fehler auszuschließen. Auch wenn die Vorgänge gravierend seien, verbiete sich ein Pauschalurteil über die Behörde, sagte Sitzmann. Sie will die Aufarbeitung bis zum Sommer abschließen.