Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Wie wird man als Volksgruppe eine Minderheit, wenn man um 1880 ein Drittel der Landesbevölkerung in Kärnten ausgemacht hat? Bojo Hartmann kann einem das geduldig erzählen. Er ist ein gemütvoller Endfünfziger, Religionslehrer an der Schule und nebenher Musiker und Chorleiter. Seine Erzählung hat, wenn man so will, einen Generalbass: den Krieg. Nach dem Ersten Weltkrieg bedrängen die Serben, Kroaten und Slowenen Österreich. Vor allem mit Hilfe der Kärntner Slowenen - und das ist nur eine der vielen existenziellen Pointen - votierte Kärnten bei einer Volksabstimmung von 1920 für den Verbleib bei Österreich. Bis heute ist der 10. Oktober der Landesfeiertag. Er lässt universell eine Freiheit feiern, die bis heute nie mehr ganz die Freiheit der Kärntner Slowenen geworden ist. In den zwanziger Jahren setzen Verhaftungen und Verfolgung ein, die Nazis steigerten die Stimmung bis zum Exzess. Slowenen waren Slawen, der "Kärntner aber spricht deutsch", hieß es. Schulen wurden geschlossen, Aufständische deportiert. Umgekehrt schlossen sich viele Titos Partisanen an.

 

"Nach den Kriegen", sagt Bojo Hartmann, "ging der Riss quer durch manche Familie". Obwohl es in ganz Südkärnten nicht einen Menschen gegeben haben dürfte, der keine Slowenen unter seinen Vorfahren gehabt hätte, schwiegen viele über ihre Herkunft. Hartmann sagt, dass sein Bruder noch in den siebziger Jahren "unwidersprochen vom Rest im Dorf" in Mülltonnen gesperrt wurde, allein, weil er zwei Sprachen sprach: Deutsch über den Verstand, Slowenisch mit dem Herzen. 2001 gab es bei der letzten Volkszählung 13.000 Menschen, die angaben, dass Slowenisch ihre Umgangssprache sei. Hundert Jahre zuvor waren es fast 70.000 gewesen.

An der Familie Jörg Haiders, dessen Onkel Josef Webhofer ein Großteil des wunderschönen Kärntner Bärentals gehörte (wo auch der Neffe daheim war), lässt sich exemplarisch zeigen, wie das Deutschdiktat vor Ort funktionierte. Webhofer hatte von den Nazis arisierten Grundbesitz erworben und nach 1945 dafür gesorgt, dass alle von ihm Abhängigen, und das waren meist slowenische Handwerker, ihre Kinder nicht mehr für den Slowenischunterricht anmeldeten. 1958 hatte er sein Ziel erreicht. Jörg Haider erbte nicht nur den Besitz, sondern auch die Gesinnung. "Kärnten bleibt deutsch", gehörte zur Zeit seiner Landeshauptmannschaft zu den zentralen Botschaften.

Ein Schutzschild gegen Deutschtümler ist die Verfassung nicht

Man kann das verdrängen oder annehmen. Alles in allem, sagt Bojo Hartmann, habe er sich für die zweite Variante entschieden, schließlich garantiert ihm der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 sein Minderheitenrecht. Ein Schutzschild gegen Deutschtümler ist die Verfassung freilich nicht. Neben der alltäglichen Diskriminierung, der Hartmann immer wieder ausgesetzt gewesen ist, gab es auch formale Niederlagen und geschlagene Wunden. 1979 zum Beispiel wurden in Kärnten die Wahlkreise so aufgeteilt, dass die slowenische Volksgruppe es schwer hatte, Vertreter zu nominieren. 1994 wurde ein Bombenanschlag auf eine zweisprachige Schule in Klagenfurt verübt.

Hartmanns Schüler wissen, dass er Kärntner Slowene ist. Er spielt seine ethnische Karte mit Witz: "Wir Slowenen", pflegt er zu sagen, "müssen zusammenhalten." Aus den Reaktionen der Schüler weiß er, dass die nachwachsende Generation die Sorgen der Eltern nicht mehr hat, ob der Großvater nun Partisane war oder nicht. Die Unvernünftigen, möchte auch Hartmann meinen, sterben aus. Er selber hat vier Töchter, die mit ihm daheim Slowenisch reden. Hartmanns Frau stammt aus Salzburg, und da haben wiederum Hartmanns Eltern "Befürchtungen gehabt". Sie waren grundlos. Frau Hartmann spricht perfekt Slowenisch. Bojo Hartmann sagt, auf die Dauer habe ihm geholfen, dass "sie nicht einen ebenso großen psychologischen Rucksack wie ich durch die Gegend schleppt. So bin ich auch etwas unverkrampfter geworden als früher."

Nach dem Gespräch mit Bozo Hartmann an der Klagenfurter Handelsschule bietet der Direktor Heinz K. Rieger einen Kaffee an. Auf dem Tisch liegt eine Mappe mit Briefen. Rieger ist im Sinne guter Nachbarschaftspflege in den vergangenen Jahren öfter nach Slowenien gefahren, zum Gedankenaustausch und um Gespräche anzubahnen. Er hat die Fahrten bezahlt, die Reisen waren privat. Seit seine übergeordnete Behörde von seinen Aktivitäten erfahren hat, bekommt er Post, die ihm "Auslandsreisen" untersagt. Es steht nicht genau darin, welches Ausland, aber es ist klar, dass Slowenien gemeint ist. "Schikane", sagt Rieger. Was kann er machen? "Nichts."

Schweigen über die eigene Herkunft

Wie wird man als Volksgruppe eine Minderheit, wenn man um 1880 ein Drittel der Landesbevölkerung in Kärnten ausgemacht hat? Bojo Hartmann kann einem das geduldig erzählen. Er ist ein gemütvoller Endfünfziger, Religionslehrer an der Schule und nebenher Musiker und Chorleiter. Seine Erzählung hat, wenn man so will, einen Generalbass: den Krieg. Nach dem Ersten Weltkrieg bedrängen die Serben, Kroaten und Slowenen Österreich. Vor allem mit Hilfe der Kärntner Slowenen - und das ist nur eine der vielen existenziellen Pointen - votierte Kärnten bei einer Volksabstimmung von 1920 für den Verbleib bei Österreich. Bis heute ist der 10. Oktober der Landesfeiertag. Er lässt universell eine Freiheit feiern, die bis heute nie mehr ganz die Freiheit der Kärntner Slowenen geworden ist. In den zwanziger Jahren setzen Verhaftungen und Verfolgung ein, die Nazis steigerten die Stimmung bis zum Exzess. Slowenen waren Slawen, der "Kärntner aber spricht deutsch", hieß es. Schulen wurden geschlossen, Aufständische deportiert. Umgekehrt schlossen sich viele Titos Partisanen an.

"Nach den Kriegen", sagt Bojo Hartmann, "ging der Riss quer durch manche Familie". Obwohl es in ganz Südkärnten nicht einen Menschen gegeben haben dürfte, der keine Slowenen unter seinen Vorfahren gehabt hätte, schwiegen viele über ihre Herkunft. Hartmann sagt, dass sein Bruder noch in den siebziger Jahren "unwidersprochen vom Rest im Dorf" in Mülltonnen gesperrt wurde, allein, weil er zwei Sprachen sprach: Deutsch über den Verstand, Slowenisch mit dem Herzen. 2001 gab es bei der letzten Volkszählung 13.000 Menschen, die angaben, dass Slowenisch ihre Umgangssprache sei. Hundert Jahre zuvor waren es fast 70.000 gewesen.

An der Familie Jörg Haiders, dessen Onkel Josef Webhofer ein Großteil des wunderschönen Kärntner Bärentals gehörte (wo auch der Neffe daheim war), lässt sich exemplarisch zeigen, wie das Deutschdiktat vor Ort funktionierte. Webhofer hatte von den Nazis arisierten Grundbesitz erworben und nach 1945 dafür gesorgt, dass alle von ihm Abhängigen, und das waren meist slowenische Handwerker, ihre Kinder nicht mehr für den Slowenischunterricht anmeldeten. 1958 hatte er sein Ziel erreicht. Jörg Haider erbte nicht nur den Besitz, sondern auch die Gesinnung. "Kärnten bleibt deutsch", gehörte zur Zeit seiner Landeshauptmannschaft zu den zentralen Botschaften.

Ein Schutzschild gegen Deutschtümler ist die Verfassung nicht

Man kann das verdrängen oder annehmen. Alles in allem, sagt Bojo Hartmann, habe er sich für die zweite Variante entschieden, schließlich garantiert ihm der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 sein Minderheitenrecht. Ein Schutzschild gegen Deutschtümler ist die Verfassung freilich nicht. Neben der alltäglichen Diskriminierung, der Hartmann immer wieder ausgesetzt gewesen ist, gab es auch formale Niederlagen und geschlagene Wunden. 1979 zum Beispiel wurden in Kärnten die Wahlkreise so aufgeteilt, dass die slowenische Volksgruppe es schwer hatte, Vertreter zu nominieren. 1994 wurde ein Bombenanschlag auf eine zweisprachige Schule in Klagenfurt verübt.

Hartmanns Schüler wissen, dass er Kärntner Slowene ist. Er spielt seine ethnische Karte mit Witz: "Wir Slowenen", pflegt er zu sagen, "müssen zusammenhalten." Aus den Reaktionen der Schüler weiß er, dass die nachwachsende Generation die Sorgen der Eltern nicht mehr hat, ob der Großvater nun Partisane war oder nicht. Die Unvernünftigen, möchte auch Hartmann meinen, sterben aus. Er selber hat vier Töchter, die mit ihm daheim Slowenisch reden. Hartmanns Frau stammt aus Salzburg, und da haben wiederum Hartmanns Eltern "Befürchtungen gehabt". Sie waren grundlos. Frau Hartmann spricht perfekt Slowenisch. Bojo Hartmann sagt, auf die Dauer habe ihm geholfen, dass "sie nicht einen ebenso großen psychologischen Rucksack wie ich durch die Gegend schleppt. So bin ich auch etwas unverkrampfter geworden als früher."

Es waren die fünfziger Jahre, mitten in Europa und am Rand von Österreich, als Vladimir Wakounig, Sohn "einer großen, sehr großen Familie, mit neun Brüdern und vier Schwestern" als "Partisanenkind" beschimpft wurde. Er ging aufs einsprachige Bundesgymnasium für Slowenen in Klagenfurt, er kam von auswärts, und wenn die kleine Gruppe den Schillerpark querte, dann bekam sie manchmal Polizeischutz, "weil wir beschimpft und angegriffen wurden, aber wir haben uns nichts geschenkt", sagt Wakounig.

Mehrsprachigkeit in der Familie

"Vladimir Wakounig hat viel für uns Kärntner Slowenen getan", hatte Bojo Hartmann sehr respektvoll gesagt, und wenn man das Stunden später im Institut für Erziehungswissenschaften indirekt wiedergibt, lacht Wakounig ein wenig verlegen, sagt, "ach, der Bojo", und schaut wieder auf die Bäume draußen. Wakounig ist jetzt über Sechzig, aber er schaut fast zwei Jahrzehnte jünger aus, hat Bergsteigeroberarme und einen grundfreundlichen, hellwachen Blick, obwohl er einen weiten Weg gegangen ist, der war nicht nur schön. Wakounig sollte Priester werden, sie waren "gläubige Slowenen daheim", sehr katholisch, wie die meisten. Anfang der siebziger Jahre, nach Seminarjahren in Klagenfurt und Salzburg, hat er sich weihen lassen, "obwohl ich schon nicht mehr richtig dabei war". Er ging zurück in die Heimat als Kaplan und erlebte den ersten brutalen Ortstafelstreit. Das war 1972, als die Leute die Schilder mit Füßen traten und den verantwortlichen Kanzler Kreisky als "Saujud" beschimpften. Bestraft wurde kein Mensch.

Wakounig fand, dass er in der Kirche doch nicht richtig aufgehoben wäre, brach mit der Familie, die ihn nicht verstand, und studierte aufs Neue: Erziehungswissenschaften, Soziologie und Publizistik. Er wollte "etwas ändern, nichts überdecken", und wenn universitär jemand das slowenische Selbstbewusstsein gefördert hat, dann ist es wohl ganz praktisch Vladimir Wakounig gewesen. Von Beginn an hat er die eigene Volksgruppe und nach dem Zerfall Jugoslawiens, den er bedauert, auch die Position Sloweniens ("die beständig ins Nationale kippt") kritisiert. Vor allem sieht er die ethnischen Minderheiten da gefordert, wo sie nun selber wieder mit Minderheiten umgehen müssen.

Wakounig ist spät Vater geworden. Mit der Tochter spricht er Slowenisch, mit seiner Frau nur Deutsch. Von seinen vielen lesenswerten Publikationen widmet sich die jüngste der Mehrsprachigkeit in der Familie. Sie resümiert, dass man "enger zusammen wächst, wenn man sich über Unterschiedlichkeiten freut". Und man darf das Lachen nicht vergessen. "Das Lachen", schreibt Wakounig, "ist in allen Sprachen bekannt": Smeh poznajo vsi jeziki.

Alte und neue Initiativen

Abwehrkämpferbund: Zu den unverbesserlichen Streitern gegen ein friedliches Miteinander in Kärnten gehört der Abwehrkämpferbund, zumeist Veteranen, die für sich in Anspruch nehmen, das Land schon immer gegen „das kommunistische Jugoslawien“ verteidigt zu haben. Obmann des Vereins ist der 71-jährige Fritz Schretter, der lange Zeit dafür gesorgt hat, dass rechts von der FPÖ sich keine politische Gruppierung etablieren konnte.

Gesetzesinitiative: Valentin Inzko, der Chef des Rates der Kärntner Slowenen, will in Sachen Ortstafelstreit noch einmal intervenieren, bevor das neue Volksgruppengesetz am 6. Juli im Nationalrat von der Großen Koalition verabschiedet werden wird. Auch die FPÖ wird – um landesweit auf Gutwetter zu machen – dafür stimmen. Dem Gesetz sind lange Verhandlungen nicht nur zum Minderheitenschutz in Kärnten vorausgegangen. Inzko hat wenig Chancen, weil zwei kleinere slowenische Verbände bereits zugestimmt haben. Landeshauptmann Gerhard Dörfler lehnt neue Gespräche ab.