Das Entsetzen nach dem Mord in Kandel ist groß. Politiker fordern nun Alterstests bei minderjährigen Flüchtlingen, der Nutzen ist aber mehr als fragwürdig, kommentiert unser Politikredakteur Knut Krohn.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Forderung kommt prompt. Nach dem Mord an einem jungen Mädchen in Kandel wollen Politiker aus dem konservativen Lager verbindliche Alterstests bei minderjährigen Asylbewerbern einführen. Doch es stellen sich zwei zentrale Fragen: Sind solche Massenuntersuchungen so einfach möglich? Und wären Bluttaten wie in Kandel dadurch wirklich zu verhindern? Beide Fragen müssen mit einem deutlichen Nein beantwortet werden.

 

Zu viele ungelöste Fragen

Zur ersten Frage: Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, weist auf die rechtlichen Probleme hin. Das für die Altersbestimmung notwendige Röntgen sei ohne medizinische Indikation ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Ohne ausdrückliche Einwilligung eines Menschen grenzt es schlicht an Körperverletzung. Zuletzt hatte die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer Ende 2016 sowohl die Zuverlässigkeit als auch die Verfassungskonformität von ärztlichen Altersfeststellungen angezweifelt.

Röntgen ist zu ungenau

Zudem ist die Methode eher ungenau. Das Alter eines Jugendlichen kann auch nach dem Röntgen nicht korrekt bestimmt werden. Das sogenannte Knochenalter kann vom tatsächlichen Alter eines Menschen mehr als zwei Jahre abweichen. Zudem fehlen in den Arztpraxen schlicht die Kapazitäten, um mehrere Zehntausend junge Asylbewerber systematisch gründlich zu untersuchen, zu röntgen und dann eine solide Diagnose zu fällen.

Die Tat ist eine Tragödie

Zur zweiten Frage: Die Tat in Kandel ist eine Tragödie. Doch auch wenn der junge Asylbewerber aus Afghanistan bei seiner Ankunft in Deutschland älter eingestuft worden wäre, hätte sie sehr wahrscheinlich nicht verhindert werden können. Ebenso wie die allermeisten anderen Straftaten vermeintlich minderjähriger Flüchtlinge.

Geltendes Recht konsequent anwenden

Sinnvoller wäre es, mehr Energie darauf zu verwenden, das geltende Recht konsequent anzuwenden. Dazu braucht es mehr kompetentes Personal, um Asylanträge schneller zu bearbeitet. Ist ein Antrag abgelehnt, muss dieser Spruch der Richter zügig in die Realität umgesetzt werden.

Gleichzeitig müssen Asylbewerber in Deutschland besser betreut werden. Dazu braucht es Psychologen und Sozialarbeiter, keine Röntgenärzte. Schließlich wäre es sinnvoll, die Maßnahmen zur Integration zu verstärken – etwa durch mehr verbindliche Sprachkurse. Das alles ist komplex und kostet Geld, bringt aber mehr, als die teure und zeitaufwändige Altersbestimmung von vermeintlich minderjährigen Flüchtlingen.