Die Unternehmen gehen ganz unterschiedlich mit dem neuen Mindestlohn für Praktikanten um. Doch den Todesstoß wird der Generation "P" etwas anderes versetzen.

Stuttgart - Ralf Nöcker bezweifelt, dass es der Mindestlohn sein wird, der der Generation Praktikum den Todesstoß versetzt – eher der Fachkräftemangel. „Wir haben bald ganz andere Probleme, als den Praktikanten 8,50 Euro die Stunde zu zahlen“, sagt der Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA) im Blick auf die sinkenden Absolventenzahlen an den Hochschulen.

 

Weil sie in Zeiten des Fachkräftemangels ohnehin tiefer in die Tasche greifen müssten, um qualifiziertes Personal zu finden, würden die Firmen wohl auch den Mindestlohn für Praktikanten zähneknirschend zahlen, sagt der Verbandschef. Schließlich seien Praktika ein wichtiges Instrument, um herauszufinden, ob Firma und Bewerber zusammenpassen. „Jeder fünfte Mitarbeiter ist durch ein Praktikum in den Job gekommen“, sagt Nöcker.Hochschulabsolventen in Dauerpraktika über viele Monate als billige Arbeitskräfte auszunutzen, sei dagegen kein verbreitetes Geschäftsmodell, zumindest nicht bei größeren Werbeagenturen. So glaubt der Verbandsvertreter nicht, dass der Mindestlohn sich spürbar auf die Personalplanung der Agenturen auswirkt. Nöcker widerspricht damit jedoch dem Ergebnis einer Umfrage unter den GWA-Mitgliedern vom Herbst vergangenen Jahres: Damals glaubten 65 Prozent der befragten Agenturchefs, der Mindestlohn führe zu einem Abbau von Praktikumsstellen. 60 Prozent rechneten mit erhöhten Personalkosten und immerhin 44 Prozent mit einer erschwerten Re-krutierung von Nachwuchstalenten. Klare Indizien dafür, dass sich doch etwas ändert.

Seit 1. Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro für Praktikanten – unter bestimmten Voraussetzungen. Vor allem junge Menschen, die nach dem Studienabschluss oder einer Ausbildung versuchen, sich über ein Praktikum für eine Festanstellung in einem Unternehmen zu empfehlen, könnten von der Neuregelung betroffen sein. Sofern ein solches freiwilliges Praktikum die Dauer von drei Monaten übersteigt, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, von Anfang an 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Bei einem Vollzeit-Praktikum ergibt das einen Brutto-Monatslohn von knapp 1400 Euro. Ausgenommen vom Mindestlohn sind Pflichtpraktika von Schülern, Auszubildenden und Studenten; freiwillige ausbildungs- oder studienbegleitende Praktika bis zu drei Monaten sowie Praxisphasen während eines dualen Studiums. Ebenfalls generell vom Mindestlohn ausgeschlossen sind alle Praktikanten ohne Berufsabschluss unter 18 Jahren.

Bis zu 40 Prozent aller Praktika sind unbezahlt

Damit könnte die Dauer eines Praktikums und die Frage, ob es sich um ein freiwilliges oder ein Pflichtpraktikum handelt, entscheidend für die Besetzung einer Stelle sein. Die Unternehmen könnten bei zwei gleichermaßen qualifizierten Bewerbern für einen Platz demjenigen den Vorzug geben, der sie am wenigsten kostet. Unter der Grenze von drei Monaten ist der Arbeitgeber zu nichts verpflichtet, das bleibt so. Früheren Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zufolge sind bis zu 40 Prozent aller Praktika unbezahlt. Als Durchschnittsverdienst nennt der aktuelle „Clevis-Praktikantenspiegel 2015“ ein Gehalt von 771 Euro.

Die Deutsche Bank macht keine Unterschiede zwischen freiwilligem und Pflichtpraktikum. Trotzdem hat das Finanzinstitut auf die Einführung des Mindestlohns reagiert: Seit dem 1. Januar erhalten alle Praktikanten mindestens eine Vergütung von 1500 Euro monatlich – je nachdem, in welchem Bereich sie beschäftigt sind, auch mehr. Bisher lag die Untergrenze bei 800 Euro. Einer Sprecherin zufolge wolle die Bank die Zahl der beschäftigten Praktikanten konstant halten; weltweit seien dies mehrere Hundert pro Jahr. Sie bleiben zwischen acht Wochen und einem halben Jahr.

Weiterhin freiwillige Praktika bei Daimler und Mahle

Anders geht die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) mit dem Thema um. Schon bisher sei die überwiegende Mehrheit der freiwilligen Praktika auf maximal drei Monate ausgelegt und werde mit monatlich 700 Euro vergütet, erklärt ein Sprecher. Seit dem 1. Januar bietet die Bank nun gar keine freiwilligen Praktika mehr an, die diesen Zeitraum übersteigen. Pflichtpraktika von bis zu sechs Monaten gibt es weiterhin, da sie vom Mindestlohn ausgenommen sind. Im vergangenem Jahr hätten fast 100 Studenten und Schulabgänger ein Praktikum bei dem Finanzinstitut absolviert. „Praktika sind für die LBBW ein wichtiges Instrument zur Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften“, ergänzt der Landesbank-Sprecher.

Der Autobauer Daimler will weiterhin langfristige, freiwillige Praktika anbieten – trotz Mindestlohn. In jedem Jahr erhielten mehrere Tausend Studierende dadurch die Möglichkeit, „Erfahrungen zu sammeln und ihre theoretische Ausbildung in der Praxis anzuwenden“, erklärt ein Sprecher. Wie viel die Stuttgarter ihren Praktikanten zahlen, sagt er nicht. Nur so viel: es seien „attraktive Gehälter“. Zudem erhielten die Praktikanten Fahrgeldzuschüsse. Dem Arbeitgeber biete sich durch die befristete Mitarbeit die Chance, „Talente früh zu erkennen und für Daimler zu gewinnen“.Auch der Zulieferer Mahle will 2015 trotz des Mindestlohns etwa genauso viele Stellen für „freiwillige Praktika“ über drei Monate anbieten wie im Vorjahr. Während die Zahl der Bewerbungen nach einem Praktikumsplatz bei den Stuttgartern in den letzten Jahren abgenommen habe, sei der Anteil der Anfragen für ein freiwilliges Praktikum gestiegen, teilt eine Sprecherin mit. Der Maschinenbauer Trumpf aus Ditzingen bezahlt künftig allen Praktikanten, die länger als drei Monate im Haus sind, den Mindestlohn – egal ob freiwilliges oder Pflichtpraktikum. „Wir wollen die Mitarbeit aller Nachwuchskräfte gleichermaßen honorieren“, erklärt eine Sprecherin.