Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände liefern sich einen Schlagabtausch zur Tariftreue bei Aufträgen von Land und Kommunen. Die Befürworter schärferer Regeln wollen den Dumpingwettbewerb bekämpfen – die Gegner warnen vor mehr Bürokratie.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Die Befürworter wollen es zu neuer Blüte führen – die Gegner raten dazu, von dem „toten Pferd herunterzusteigen“. Gemeint ist das Tariftreue- und Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge. Die Südwest-SPD will es mit einem Gesetzentwurf verschärfen und erfüllt damit einen Wunsch der Gewerkschaften. Die Wirtschaftsverbände halten massiv dagegen.

 

Bei einer Anhörung im Stuttgarter Landtag sind die Meinungen am Montag aufeinander geprallt. Dem Entwurf zufolge sollen Land und Kommunen Aufträge ab einem Auftragswert von 10 000 Euro nur an solche Betriebe vergeben, die den Tarifvertrag ihrer Branche anwenden – wo es diesen nicht gibt, sollen die Auftragnehmer der öffentlichen Hand ihren Beschäftigten einen „vergabespezifischen Mindestlohn“ von 13,13 Euro bezahlen. Der Gewerkschaftsbund (DGB) erhebt 13,50 Euro pro Stunde zur Messlatte. Adressaten sind zum Beispiel Handwerker, Baufirmen oder Verkehrsunternehmen.

Tarifbindung im Land auf 51 Prozent geschrumpft

DGB-Landeschef Kai Burmeister verweist auf die „dramatische Entwicklung“ der Tarifbindung. 2021 waren nur noch 51 Prozent der Beschäftigten und knapp 23 Prozent der Betriebe im Land an einen Tarifvertrag gebunden. Der Trend müsse umgekehrt werden. Tarifverträge böten Schutz vor Lohndumping und seien die „Basis für gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Verdi-Landeschef Martin Gross ergänzt: Der erhebliche Personalkostennachteil, den tarifgebundene Unternehmen gegenüber Firmen ohne Tarifvertrag hätten, lasse sich im Bieterwettbewerb um öffentliche Aufträge nur durch umfassende Tariftreuevorgaben ausgleichen. Ziel sei auch mehr Qualität öffentlicher Leistungen.

Zur Durchsetzung des Gesetzes fordern SPD und Gewerkschaften mehr Kontrollen – wie sie dies erreichen, dazu sollen die Städte und Gemeinden laut dem Entwurf der Kommunalaufsicht jedes Jahr Bericht erstatten.

Verbände wollen das ganze Gesetz beseitigen

Die Arbeitgeber bilden eine fast geschlossene Front. Sie lehnen das bestehende Tariftreuegesetz und erst recht den Reformversuch ab. Dazu verweisen sie auf das bundesweite Mindestlohngesetz, an das generell alle Unternehmen gebunden seien, die an öffentlichen Aufträgen mitwirken. Eine weitergehende Landesregelung sei nicht nötig.

Auch dass der Auftragnehmer in der gesamten Nachunternehmerkette die Tariftreue sicherstellen und dies gegenüber der Behörde im Vergabeverfahren nachweisen soll, weist Philipp Merkel von den Unternehmern Baden-Württemberg (UBW) zurück. „Das Bürokratiemonster würde gefüttert und Gassi geführt“, warnt er. Die Kritik am bürokratischen Mehraufwand zieht sich durch alle Stellungnahmen der Verbände.

Ferner führen die Gegner an, dass die Ampelregierung in Berlin schon an einem eigenen Bundestariftreuegesetz arbeite. Dieses solle zunächst abgewartet werden, um eine Doppelregelung zu vermeiden. „Jede weitere Verkomplizierung des Vergaberechts sorgt dafür, dass es für potenzielle Bieter immer unattraktiver wird, den Aufwand für die Abgabe eines Angebots zu treiben“, sagt Holger Triebsch von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. „Schon jetzt hören wir von vielen Bieterunternehmen, dass das Interesse an der Beteiligung an öffentlichen Auftragsvergaben tendenziell zurückgeht.“ Je komplexer das Verfahren werde, desto geringer werde die Beteiligung.

Tarifungebunden gleich unsozial?

Christoph Münzer vom Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmer Baden wehrt sich gegen den Verdacht, dass tarifungebundene Unternehmen automatisch unsozialer seien und schlechter bezahlten. „So simpel ist die Welt einfach nicht“, sagt er. Lediglich acht Prozent der 1030 Industriefirmen im Verband sind noch im Tarifvertrag.

Widerstand kommt auch von den Kommunalverbänden. Aus deren Sicht ist bereits der aktuelle Schwellenwert in Höhe von 20 000 Euro sehr niedrig – er führe dazu, dass das Tariftreuegesetz des Landes schon bei relativ kleinen Aufträgen und kurzfristigen Leistungen angewendet werden müsse. Weiter dürfte man nicht heruntergehen.

Ist die öffentliche Hand zu sparsam?

Der Gesetzentwurf sei „nicht der geeignete Hebel, um die Einhaltung des Mindestlohns oder die Vermeidung nicht-tariflicher Bezahlung zu gewährleisten“, sagt Luisa Pauge vom Gemeindetag Baden-Württemberg, auch im Sinne von Städtetag und Landkreistag. Die Vergabeverfahren sollten nicht überfrachtet werden. Es sei sonst nicht auszuschließen, dass die oft niedrige Zahl an Angeboten noch stärker zurückgehen werde, während für die öffentliche Auftraggeber eine „spürbare Kostensteigerung“ aufgrund höherer Angebotspreise zu erwarten sei.

Wenn sich zu wenige Firmen bewerben, liege es vor allem daran, dass die öffentliche Hand zu wenig Geld ausgeben wolle, kontern die Gewerkschaften. Der schlechte Preis sei die Hauptmotivation, sich von Vergabeverfahren zurückzuziehen, betont Andreas Harnack von der IG Bau. „Dies hat nichts mit Bürokratie zu tun.“ An diesem Mittwoch diskutiert der Landtag über den SPD-Antrag. Eine Annahme ist angesichts der grün-schwarzen Mehrheit nicht zu erwarten.

Deutlicher Rückhalt von Gutachtern

Mindeststandards
 Das Landestariftreue- und Mindestlohngesetz ist am 1. Juli 2013 in Kraft getreten – seither sind die Unternehmen verpflichtet, ihren Beschäftigten bei der Ausführung von Aufträgen der öffentlichen Hand ein Mindestentgelt zu bezahlen.

Evaluation
 2019 hatte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf Basis eines Kienbaum-Gutachtens festgestellt, dass die Ziele des Gesetzes von den öffentlichen Auftraggebern und den Unternehmen „grundsätzlich unterstützt werden“. Es werde als gut verständlich und anwendbar beurteilt. Das Gesetz sei im Alltag angekommen und bereite kaum Schwierigkeiten.