Klein-Stuttgart ist ab sofort unweit des Hauptbahnhofs geöffnet: Die wundersame Miniaturstadt eines „Genies“ zieht nicht nur Bahnfans in den Bann. Am Eröffnungstag herrscht große Begeisterung im früheren Hindenburgbau.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

War er ein Spinner? Ein Genie? Oder ein Künstler? Wer sich mit Menschen unterhält, die den 2012 im Alter von 52 Jahren verstorbenen Wolfgang Frey gekannt haben, den Schöpfer einer gigantischen Bahnmodellanlage, kann sich vorstellen, dass dieser Mann mit den gelockten, längeren Haaren von allem etwas war. Tagsüber hat der Stuttgarter bei der Bahn gearbeitet, zunächst als Zugbegleiter, dann als Fahrdienstleiter, nachts und am Wochenende verkroch er sich in das für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Zwischengeschoss der S-Bahnhaltestelle Schwabstraße und folgte später nach einem Herzinfarkt auch als Frührentner seiner verrückten Idee, Stuttgarts City mit der gesamten Gleislandschaft und den Stadtvierteln drumherum originalgetreu im Maßstab 1:160 nachzubauen.

 

„Bahnfans platzen fast vor Begeisterung“

Frey (Jahrgang 1960), so erzählen seine Weggefährten, war ein strikter Gegner von Stuttgart 21. Von 1979 bis zu seinem Tod hat er Stadtgeschichte mit großer Liebe zum Detail, vielleicht sogar mit Besessenheit, dokumentiert. Sein Klein-Stuttgart zeigt die Stadt, wie sie wegen des „Jahrhundertbauwerks“ nie wieder aussehen wird.

Im früheren Hindenburgbau, gegenüber vom Hauptbahnhof, ist am Montag die Eröffnung der sagenumwobenen Modellanlage gefeiert worden. Zuletzt war sie als „Stellwerk S“ in Herrenberg zu sehen. Dank der größeren Räumlichkeiten im ehemaligen Media-Markt – nun also an zentraler Stelle in der Stadt, die dargestellt wird – wird unter dem neuen Namen „Miniaturwelten Stuttgart“ noch mehr gezeigt werden als im Landkreis Böblingen. Noch mehr Teile der Anlage aus dem Zwischengeschoss der S-Bahnhaltestelle sind ab sofort öffentlich ausgestellt.

„Bahnfans platzen fast vor Begeisterung“, sagt der frühere SWR-Moderator und heutige Youtuber Hagen von Ortloff. Der Erfinder der Sendung „Eisenbahnromantik“ stellt Teile seiner privaten Sammlung rund um die Bahn in Vitrinen bei den Miniaturwelten aus. Zudem wird er Erklärtexte sprechen, die man bald über QR-Codes direkt vor Ort abrufen und anhören kann.

Von Herrenberg ist die Anlage nun endlich nach Stuttgart gezogen

In Hamburg ist das „Miniatur-Wunderland“ ein Publikumsmagnet, das fast 100 Modellbauer geschaffen haben. Was in Stuttgart zu sehen ist, hat nur ein einziger Mann ganz allein in 30 Jahren hingestellt. Nach dem Tod von Wolfgang Frey hat der Herrenberger Unternehmer Rainer Braun, selbst ein Bahnfan, die Modellanlage von der Tochter des Erbauers gekauft, nicht von der Witwe, wie oft zu lesen war. Frey und seine Frau waren nicht mehr verheiratet, er hat alles seiner Tochter vermacht. „Wenn man bedenkt, dass er Tag und Nacht an seiner Anlage gearbeitet hat, kann keine Ehe der Welt funktionieren“, ist am ersten Ausstellungstag zu hören.

Besitzer Braun wollte schon lange mit dem weltgrößten Nachbau einer City nach Stuttgart ziehen. Wie der Zufall es wollte, entdeckte er in dem denkmalgeschützten Bau, der nach Hindenburg benannt war, leer stehende Räume. Besitzer Ferdinand Piëch überlässt diese nun den „Miniaturwelten“ zu einem wohl fairen Mietpreis – so lange, bis über die neue Nutzung dieses Gebäudes entschieden ist. Vielleicht wird der Nachlass Wolfgang Freys auch Teil davon.

Künstlergruppe SOUP stellt in den Miniaturwelten aus

Zu Brauns Partnern am neuen Standort zählt die Künstlergruppe SOUP (Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene). Dass es sich bei Freys Werk um Kunst handelt, steht für diese Gruppe außer Frage – nicht nur wegen der handwerklich hohen Qualität des Modells. „Kunst ohne Publikum“ habe Frey einst in seinem „Hobbybunker“ geschaffen, erklärt SOUP. Jetzt aber kann das Publikum kommen. Neu zu sehen ist unter anderem der Pragfriedhof. Mit Polaroids hatte Wolfgang Frey die Grabsteine einzeln fotografiert und in seinem Modell sogar die Originalnamen drauf geschrieben. Auch eine Trauergemeinde ist bei ihm zu sehen.

Miniaturwelten Stuttgart, Arnulf-Klett-Platz, geöffnet montags bis freitags von 13 bis 20 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr. Eintritt: Erwachsene neun Euro, Kinder fünf Euro, Gruppen (ab zehn Personen) sieben Euro.