Die Miniserie „Der Überläufer“ erzählt von einem Wehrmachtssoldaten, der eine Partisanin liebt und die Fronten wechselt. Zugrunde liegt ein 1951 furchtsam unterdrückter Roman von Siegfried Lenz.

Stuttgart - Ein Himmel über uns – das ist ein ganz einfacher, fassbarer Hinweis darauf, dass die Menschen einander nicht feind sein sollten. Auch ein sowjetischer Offizier wird ihn in „Der Überläufer“ einmal aussprechen, gegenüber dem Wehrmachtssoldaten Walter Proska (Jannis Niewöhner). Aber wie schwer lässt sich der Gedanke vom einenden Himmel umsetzen, wenn man mitten im Krieg steckt, eingeklemmt zwischen Befehl und Angst und Kameradschaft. Proska hat an diesem Konzept sogar noch zu knabbern, als er schon in einer russischen Uniform steckt und andere Angehörige der Hitler-Armee per Lautsprecher zum Aufgeben überreden will. Zu viel ist auf allen Seiten der Front geschehen, als dass er so einfach an Buße und Vergebung glauben könnte.

 

Proska fragt sich auch: Was geschieht eigentlich noch immer? Hat nicht er selbst die mörderischen Zustände im Gefangenlager nur dadurch überstanden, dass er jetzt anderen verspricht, diese Gefangenschaft sei nicht schlimm?

Ein unterdrücktes Buch

Die Miniserie „Der Überläufer“ – vier mal 45 Minuten – basiert auf einem Roman von Siegfried Lenz aus dem Jahr 1951. Erscheinen konnte das Buch erst 2016, zwei Jahre nach Lenz’ Tod. Es war einst abgelehnt worden, weil der Verlag die Kontroverse scheute. Im Nachkriegsdeutschland West galten Deserteure und Überläufer nach wie vor als Volksverräter und Kameradenschweine.

Der Drehbuchautor Bernd Lange und der als Co-Autor fungierende Regisseur Florian Gallenberger („John Rabe“, „Coloia Dignidad“) haben den Roman von Lenz gründlich umgebaut. Proskas Begegnung mit einer polnischen Partisanin bleibt im Buch eine Nebenepisode, im Fernsehen wird sie zur zentralen Erschütterung von Proskas Existenz. Die große Liebe wird zum Bild zugleich für die Utopie, dass der Ausstieg aus dem Krieg möglich ist, und für die Tragik, dass das große Glück sich nur für kurze Momente halten lässt.

Trotz Schwächen sehenswert

Die gute Besetzung (unter anderem Malgorzata Mikollajczak, Sebastian Urzendowsky, Rainer Bock, Bjarne Mädel, Katharina Schüttler und Ulrich Tukur) muss sich darum öfter in übersteigerten Szenen behaupten, die so kaum möglich gewesen wären. Daraus entsteht aber produktive Spannung – die Figuren bekommen viele Freiräume, aber letztlich nutzt ihnen das nicht viel.

„Der Überläufer“ hat Schwächen, ist aber sehenswert, auch, weil von Deserteuren und von Lebenswegen, die nach dem Krieg zunächst nach Ost-, nicht nach Westdeutschland führten, so selten erzählt wird. Wer am Thema Interesse findet, sollte vielleicht einmal die vom Deserteur Alfred Andersch geschriebenen Bücher „Die Kirschen der Freiheit“ und „Winterspelt“ anblättern.

Ausstrahlung: ARD,
zwei Teile am Mittwoch, 8. April 2020, zwei am Freitag, 10. April 2020, je ab 20.15 Uhr. Alle Folgen bereits in der ARD-Mediathek abrufbar.