Seit knapp zwei Jahren leben 22 unbegleitete minderjährige Ausländer in einem Gebäude in der Bahnhofstraße.

Leonberg - Es sieht aus wie in einem ganz gewöhnlichen Jugendzimmer: ein Sofa, ein Schreibtisch, ein Spiegel an der Wand. Doch tatsächlich hat Ali T. alles andere als ein gewöhnliches Leben. Als unbegleiteter minderjähriger Ausländer (UMA) ist er wie viele andere auch nach Deutschland gekommen, seit knapp zwei Jahren lebt er in einer Wohngruppe in der Bahnhofstraße, die von der Jugendhilfeeinrichtung Waldhaus betreut wird.

 

Die einzige sichtbare Erinnerung an seine Heimat ist die jesidische Flagge, die an der Wand hängt. Auf seinem Nachttisch liegt das Buch „Ich bin eure Stimme“ der jesidischen Autorin Nadia Murad, die in die Fänge des Islamischen Staats geriet und sich nach einem unglaublichen Martyrium befreien konnte.

In einem anderen Zimmer, in dem zwei Flüchtlinge wohnen, hängt ein riesiger Boxsack von der Decke. Auf zwei Eternitplatten daneben ist die deutsche Flagge gemalt, umrahmt von zwei irakischen. In den drei Wohngruppen leben derzeit 22 UMAs. Wie sie untergebracht sind und welche Perspektiven sie haben, davon hat sich Sozial- und Integrationsminister Manfred Lucha (Bündnis 90/Grüne) bei einer Besichtigung am Mittwoch informieren lassen.

Anfangs gab es Probleme

Sechs Jugendliche aus dem Irak, Afghanistan und Somalia erzählen ihm von ihrem Leben in Leonberg und geben dabei eine Liebeserklärung an die Stadt ab. „Ich finde die Stadt total schön“, sagt einer. „Ich habe Freunde aus Afghanistan und Deutschland gefunden“, erzählt ein anderer. Fast alle sind in einem Sportverein aktiv, einer lobt explizit die tollen Joggingmöglichkeiten in Leonberg. „Ein größeres Lob können Sie nicht bekommen, Herr Oberbürgermeister“, entfährt es daraufhin Minister Lucha. Heimat sei immer auch da, wo man sich sicher fühle.

Die meisten der sechs Flüchtlinge gehen noch zur Schule, alle haben konkrete Berufspläne. Zwei wollen Krankenpfleger werden, einer Hotelfachmann. Einer macht eine Ausbildung zum Stuckateur. Auch welche Probleme ihr Status in Deutschland mit sich zieht, wird nicht verschwiegen. „Einer der Jungen hat zwei Zusagen für Ausbildungsstellen als Krankenpfleger. Doch alles hängt davon ab, wie seine Asylverhandlung vor dem Verwaltungsgericht nächsten Monat ausgeht“, erklärt die UMA-Koordinatorin Cordula Breining. Gerne würden die Jungen noch einige Jahre in Deutschland bleiben und dem Land etwas zurückgeben. „Wenn in meinem Heimatland irgendwann wieder Frieden ist, würde ich aber auch gern dorthin zurückkehren“, sagt ein Junge aus Afghanistan.

Seit April 2016 werden UMAs in Leonberg betreut. „Am Anfang hatten wir öfter die Polizei im Haus, die Jugendlichen mussten sich erst an die vorgegebenen Strukturen gewöhnen. Viele waren das aus ihren Familien nicht gewohnt“, räumt Breining unumwunden ein. Doch inzwischen habe sich die Situation beruhigt, auch weil nachts ein privater Sicherheitsdienst patrouilliere.

Waldhaus sucht ein neues Haus für die UMA

Welche Dramen die jungen Menschen in ihrem Leben schon erlebt haben, weiß Ursula Duppel-Breth, die am Berufsschulzentrum Leonberg rund 100 Jungen in Praktika und Ausbildungsstellen vermittelt hat. „Viele sind vom IS, den Taliban oder Clans bedroht, manche auch entführt worden“, erzählt sie. Fast alle seien auf Booten geflohen und in Lebensgefahr geraten. „Sie haben teilweise ihr Hab und Gut über Bord werfen müssen“, berichtet sie.

Und nun droht ihnen ein neues, wenn auch deutlich kleineres Problem: Im Rahmen der Altstadtsanierung wird das Gebäude in der Bahnhofstraße zum Jahresende abgerissen. Waldhaus-Geschäftsführer Hans Artschwager sucht dringend neue Unterbringungsmöglichkeiten. „Am liebsten wäre uns ein Gebäude mit mehreren Einzel- und Doppelzimmern in Leonberg“, sagt er. Dann könnten die Jugendlichen auf der Schule in Leonberg und in den Sportvereinen im Umkreis bleiben.