Anahita Rehbein will am Samstag Miss Germany werden. Die Schärpe der Miss Baden-Württemberg trägt die 23-jährige Oberschwäbin bereits. Für Fotografen schlüpft sie gerne in Rollen, aber verstellen möchte sich die Studentin nicht.

Stuttgart - Ob einem die amtierende Miss Baden-Württemberg nun eines ihrer Sonnenaufgangslächeln schenkt oder ob sie von einem Augenblick auf den nächsten verschwindet wie abends der Feuerball hinterm Horizont – es fällt schwer, Anahita Rehbein nicht als verehrenswürdig zu bezeichnen.

 

Denn so heißt sie ja: Anahita, auf Persisch „Die Verehrenswürdige“, eine zoroastrische Liebesgöttin. Der für oberschwäbische Gefilde ungewöhnliche Vorname ist eine Respektbekundung von Anahita Rehbeins Mutter aus dem Dorf Inzigkofen bei Sigmaringen an eine ehemalige Mitschülerin aus dem Iran.

Wenn am kommenden Samstagabend im Europapark Rust die Miss Germany 2018 gekürt wird, gehört die 23-jährige Anahita Rehbein zu den Favoritinnen. Zumindest haben sie die Passagiere eines Fluges nach Fuerteventura vor zwei Wochen zur schönsten Kandidatin auf dem Weg ins Beauty-Camp der Miss-Germany-Anwärterinnen gewählt. Und im Magic Life Club auf der Kanareninsel wurde sie beim Bauchmuskel- und beim Benimmtraining noch ein bisschen mehr von Fernsehkameras umschwirrt als ihre 21 Mitbewerberinnen um das Missen-Krönchen, das eine Jury mit dem Schönheitschirurgen Werner Mang, dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach und der Kurzzeit-Dschungelcamperin Giuliana Farfalla vergibt.

„Favoritin? Das ist mir noch nicht zu Ohren gekommen“, beteuert Anahita Rehbein, während ihr eine Make-up-Artistin güldenen Schimmer auf die Augenlider malt. Liebesgöttinnen lügen nicht. Vielleicht flunkern sie manchmal ein bisschen. Oder sie legen einfach in der Öffentlichkeit eine kluge Bescheidenheit an den Tag, die auch bei der Vergabe von Ministerposten hilfreich sein kann.

Späße auf Schwäbisch

Da gibt’s zum Beispiel diese Talentshow beim Beauty-Camp im Ferienclub: Manche Miss-Germany-Kandidatinnen singen laut, andere tanzen wild, eine ertrinkt beinahe in ihrem ausladenden Traumkostüm. Anita Rehbein hingegen trägt einen schlichten Turnanzug und führt mit einer Kollegin ein paar Kindergeburtstags-Akrobatik-Nummern auf und macht Späße auf Schwäbisch. „Ich kann nicht singen und nicht tanzen – da hab ich halt gedacht, ich mach was Witziges“, erklärt sie später und lacht.

Sobald Profifotografen wie Maik Rietentidt oder Jeremy Möller während des Shootings ihre Kamera auf Anahita Rehbein und ihre Kolleginnen richten, ist freilich Schluss mit lustig: Sobald die Profikameras klicken, verwandelt sich natürliches Lächeln in Laszivität der grimmigen Sorte. Halb offene Münder und flehende Augen suggerieren dann potenziellen Modekunden wahrscheinlich sexuelles Verlangen. Aber für den Laien wirkt der Gesichtsausdruck der krabbelnden und kriechenden jungen Frauen mitunter so, als leide das Model an einer offenen Schussverletzung im Leistenbereich.

„Das ist nicht so“, bekundet Anahita Rehbein, „das kommt vielleicht nur so rüber. Der Fotograf entscheidet, wie man schauen soll. Wir setzen es dann nur um.“ Und dass sie den Modeljob, in dem sie nebenberuflich schon arbeitet, mit aller Disziplin versieht, daran lässt sie keinen Zweifel: „Die Aufgabe von einem Model ist, in eine Rolle schlüpfen zu können. Wenn du so was nicht kannst, bist du kein Model.“

Im Hauptberuf studiert Anahita Rehbein Bildungswissenschaften. Dafür ist sie vor drei Jahren von Inzigkofen nach Stuttgart gezogen. Sie wollte ins Personalmanagement. Dann wurde sie Miss Bodensee: „Nach der Wahl wollten kleine Mädchen Fotos mit mir machen. Das ist total süß, wie die dich anhimmeln.“

Sie träumt von einem kleinen Café

Ihre kleine Schwester ist jetzt ihr „allergrößter Fan“, und am Unterarm trägt Miss Baden-Württemberg ein Tattoo mit den Geburtsdaten ihrer Eltern und Geschwister. „Mein Papa hält an den Werten Familie und Ehe fest“, sagt Anahita Rehbein, die findet, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters liege: „Natürlich bin ich für meine Familie die Schönste und Tollste überhaupt, und wahrscheinlich ist das jede Miss für ihre Familie.“

Jetzt leuchten ihre Augen tatsächlich. Und natürlich will die Miss mit den magischen Augen auch Mutter werden. Eine „intakte Familie“ möchte sie mal, und nebenbei modeln. „Für die ganzen Prospekte – Aldi und Lidl und so – da brauchsch du a reifere Frau!“ Auch gut: „Ich fänd’s schon cool, Richtung Fernsehen zu gehen.“ Nach dem Studium macht sie erst mal ein Praktikum bei Boss, weil sie auch Mode brennend interessiert. Ach ja – früher hat sie Triathlon gemacht: „Ich bin ein extrem ehrgeiziger und zielstrebiger Mensch!“

Und dann ist da – abgesehen von der Miss-Germany-Krone – noch ein ganz anderer Traum. Anahita Rehbein beugt sich vor zu ihrem Gesprächspartner: Sie habe immer schon ein kleines Café betreiben wollen, am besten mit Pip-Geschirr. Wie bitte? „So Oma-Geschirr mit paar wirklich guten Kaffees und selbst gebackenem Kuchen.“ Anahita Rehbein ist unglaublich gut darin, Begeisterung für ihre Träume zu wecken, Verbündete für ihre Ideen zu finden. Sie ist in der Lage, innerhalb weniger Augenblicke bei Fremden ein Gefühl der Vertrautheit auszulösen, das dem Schwärmblick auf ihre Schönheit eine gewisse Legitimation verleihen mag.

Anahita Rehbein wird nicht müde zu betonen, dass die Miss-Germany-Wahl mit Fernseh-Castingshows wie „Germany’s next Topmodel“ wenig gemeinsam habe: „Hier bei uns wird die ganze Person angeschaut – und dort nur das Optische.“ Und auch was Letzteres betrifft: Bei ihr müsse man sich keine Sorgen machen, dass sie von der Model-Erkrankung Magersucht heimgesucht werde: „Ich mag’s, wenn man ’nen weiblichen Körper hat und kein Strich in der Landschaft ist.“

Das perfekte Foto

Was sie auch mag: Eigenständigkeit. Als für die Internetseite der Miss Germany Corporation die Lebensmotti der Missen abgefragt wurden, fiel ihr keines ein. Also fragte sie sich: „Geb ich jetzt bei Google ,Dalai-Lama-Zitate’ ein?“ Sie ließ es bleiben und schrieb stattdessen, dass Rückschläge für sie keine Zeichen einer Niederlage seien, „sondern vielmehr ein Ansporn dafür, härter an sich zu arbeiten und seine Ideale anzupassen“. Sie sagt: „Ich möchte mich nicht verstellen!“ Sie spricht auch in großer Runde Schwäbisch – vom „Reschd“ des Programms – und lächelt, wenn Ralf Klemmer, der Juniorchef der Miss Germany Corporation, sie schneidig dahingehend korrigiert, dass Missen eigentlich vom „Ressst“ sprechen müssten. Sie schickt unbekümmert ihre Handynummer, wenn das für Terminabsprachen hilfreich ist, aber sie schickt sie nicht jedem: „Ich bin zwar sorglos, aber ich bin nicht mehr naiv.“

Dann kommt Jeremy, der Fotograf, und Anahita Rehbein drückt erst ihre Schultern an eine weiß getünchte Wand im Ferienclub, dann ihren Po, schließlich ihren Ellbogen. Als Nächstes posiert sie zwischen Kakteen. Einmal schaut sie dabei, als genösse sie einen warmen Honigregen. Ein anderes Mal sieht sie aus wie eine Frau, die mit ihrer fristlosen Kündigung hadert. Auf Instagram postet sie schließlich ein perfektes Foto aus diesem Shooting. Große Schauspielkunst: Da rammt sich eine schöne Frau den Handballen in die Stirn – fast scheint es so, als ob sie tränenlos weint.

Im Ferienclub auf Fuerteventura hängt sich Anahita Rehbein nach dem Shooting ihre Jeansjacke über ihr Schlauchkleid und spaziert in Badelatschen zum Pool des VIP-Bereichs. Sie lächelt. Und wenn nicht alles täuscht, wird sie in den nächsten Tagen und Jahren jede Menge Gründe dafür finden.