Seit 1927 gibt es die Wahl zur Miss Germany. Wer den Wettbewerb gewinnt, steht nur kurze Zeit im Rampenlicht. Für eine Model-Karriere ist der Titel kein Sprungbrett, Paris sucht andere Gesichter. In Rust treffen sich am Wochenende einige Königinnen.

Stuttgart - Glamour. Erfolg. Karriere. Bewunderung. Viele junge Frauen folgen den Verheißungen, die ein Schönheitswettbewerb ausstrahlt. Heidi Klum und ihre Show Germany’s Next Topmodel sind dabei nur die neueste Sprosse einer Leiter im Kampf zur Anerkennung durch Schönheit. Schon die griechischen Göttinnen Athene, Hera und Aphrodite wollten wissen, wer die Schönste im ganzen Land ist. Und auch das berühmte Spieglein an der Wand hielt für die böse Königin im Märchen Schneewittchen am Ende kein Bild bereit.

 

Auch wenn Schönheit eigentlich eine Sache des Geschmacks ist und sich daher nicht darüber streiten lassen sollte, wetteifern junge Frauen Jahr für Jahr bei einer Veranstaltung, die auf eine Tradition seit 1927 zurückblickt, um die Krone der Miss Germany. Am Samstag und Sonntag findet im Europa-Park in Rust zum zweiten Mal ein Miss Germany-Treffen statt, mit einer Gala-Show an der 25 Wettbewerbssiegerinnen – von 1957 bis heute – teilnehmen. Eine Gelegenheit, zu beleuchten, wie zeitgemäß der Titel mit Schärpe und Krönchen heute noch ist und ob er die Siegerinnen voranbringt.

Das Klischee lautete naives Dummchen

Mit dem Klischee, die Miss Germany sei lediglich ein naives Dummchen, das bei Modenschauen, Empfängen und TV-Auftritten dekorativ herumstünde, musste sich der Geschäftsführer der Miss Germany Corporation, Horst Klemmer, früher oft herumschlagen. „Unsere jetzige Miss Germany ist hochintelligent, sie studiert Mathematik und spricht fünf Sprachen“, sagt er über die 21-jährige Caroline Noeding. Überhaupt sei die Veranstaltung keine „Busenschau“. Den überwiegenden Teil ihrer insgesamt mehr als 150 Auftritte absolviere die Miss Germany im eleganten Abendkleid: egal ob Autogramme schreiben auf einer Messe, eine Modenschau moderieren oder ein neues Flugzeug einweihen – die Termine einer Miss Germany sind vielfältig und eng getaktet.

Und immer werde von ihr erwartet, dass sie nicht nur gut aussehe, sondern sich präsentieren und gut reden könne, sagt Klemmer. „Aber das kann man bei uns lernen.“ Vor der Wahl bekommen die 24 verbliebenen Anwärterinnen ein Training auf Fuerteventura, während dem sie alles lernen, was eine Miss Germany braucht: Laufsteg-Sicherheit, Knigge-Kurse und Rhetorik-Übungen. Aber in erster Linie gehe es natürlich doch um das gute Aussehen, sagt Klemmer. „Bei der Miss Germany erwartet jeder erst einmal eine hübsche Frau. Ob sie weiß, wie die Bundeskanzlerin heißt, ist zweitrangig.“

Nach einem Jahr kräht kein Hahn mehr nach ihnen

Die bekannteste Miss Germany reüssierte eben mit diesem Dummchen-Image: Verona Feldbusch, heute Pooth. Außer ihr hat es kaum eine Miss Germany nach ihrem Amtsjahr zu größerer Bekanntheit gebracht. „Nach einem Jahr kräht kein Hahn mehr nach ihnen“, meint Katharina Fischer, die Leiterin einer Model-Agentur. Entgegen der Erwartung mancher Teilnehmerin tauge der Miss Germany-Titel nicht als Sprungbrett für das Mode-Geschäft, „eher noch fürs Showbusiness“. So wurde auch manche ehemalige Miss Germany Moderatorin oder Schauspielerin.

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Bei der Wahl zur Miss Germany sind das Menschen, die nichts oder nur am Rande mit dem Modegeschäft zu tun haben, beispielsweise der Ex-Boxprofi Axel Schulz oder der Schönheitschirurg Werner Mang, und die in der Jury sitzen. Die Konkurrenz im Fernsehen, beispielsweise Heidi Klums Germany’s Next Topmodel, wartet mit Profis aus der Modebranche auf, beispielsweise der Fotograf Enrique Badulescu und natürlich Heidi Klum selbst. Für den Mode-Trendforscher Marc Völler aus Hamburg liegt hierin auch der größte Kritikpunkt am Konzept der Miss Germany: „zu lokal, zu provinziell“. Wenn ein Mädchen bei einem Modeunternehmen oder einer Agentur damit prahle, eine Miss-Wahl gewonnen zu haben, komme das nicht gut an. „Mädchen, die eine ernsthafte Karriere anstreben, versuchen das zu verheimlichen“, sagt Völler.

Nicht auf der Höhe der Mode-Trends

Auch beim Schönheitsideal sei die Miss Germany nicht auf der Höhe der Mode-Trends. In Mailand, Paris und Rom seien atypische Schönheiten gefragt, „Frauen, die besonders aussehen und Wiedererkennung bieten“. Da dürfen auch mal ein breites Kinn, tiefe Wangenknochen oder eine Zahnlücke sein. Bei der Miss Germany setze man hingegen auf die klassische Schönheit. „Die ist zwar universell einsetzbar, dafür sind die Damen in der Endausscheidung schon sehr austauschbar.“ Aber vielleicht sei das der Anspruch der Kunden und Sponsoren, die eine Miss Germany buchten, meint Völler.

Mit der Kehrseite der Schönheitswettbewerbe befasst sich Thomas Huber täglich. Er ist Chefarzt der Klinik am Korso bei Bielefeld, die sich auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert hat. 600 überwiegend weibliche Patienten behandelt die Klinik jährlich, fast alle sind hier, weil sie dem Schönheitsideal der Laufstege und Modezeitschriften nacheifern wollen. „Wenn eine Frau etwas gegen ihr Selbstwertgefühl tun will, muss sie sich nur die entsprechenden Magazine ansehen“, sagt er.

Der Trendforscher Völler sieht indes keine Anzeichen dafür, dass das Ideal wieder umschwenkt zu kurvigeren Frauen, wie Grace Kelly oder Marylin Monroe früher. Es werde bei schlank bleiben, für viele Augen auch zu schlank, schätzt er. Aber anders als noch in den Neunzigern, als es für die Models galt, möglichst dünn zu sein, komme nun noch der Fitness-Faktor hinzu. „Die Models werden muskulöser, Kraft und Ausdauer sind gefragt“ sagt er und fügt hinzu: „Super-Skinny, das war gestern.“