Die Richter des Stuttgarter Landgerichts weisen im Missbrauchsprozess gegen einen Stiefvater alle Anträge der Anwälte zurück. Diese zielten darauf ab, die heute 17-jährige Stieftochter in Misskredit zu bringen.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Kreis Ludwigsburg - Der Prozess gegen einen 45-jährigen Mann aus dem Kreis Ludwigsburg, der über Jahre hinweg seine Stieftochter missbraucht haben soll, nähert sich dem Ende – und der Ausgang ist ungewiss. Am voraussichtlich vorletzten Verhandlungstag vor dem Landgericht Stuttgart fokussierten sich die Verteidiger am Montag darauf, die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers zu untergraben. Die heute 17 Jahre alte Frau hatte ihren Stiefvater im vergangenen Jahr angezeigt und erklärt, er habe sie zwischen 2002 und 2007 dutzendfach missbraucht und brutal vergewaltigt. Die Ermittler listen 116 einzelne Taten auf. Bei der ersten soll das Mädchen erst viereinhalb Jahre alt gewesen sein.

 

Weitere unmittelbare Zeugen gibt es nicht, und weil der Angeklagte alle Vorwürfe abstreitet, kommt der Aussage des Opfers besondere Bedeutung zu. Die 3. Jugendkammer hatte bereits beim Prozessauftakt betont, dass sie die Angaben für glaubhaft hält, und eine psychologische Sachverständige untermauerte diese Einschätzung.

Kritik am Verhalten des Opfers

An diesem Punkt setzte die Verteidigung an – und stellte einen Befangenheitsantrag gegen die Sachverständige. Diese habe sich in ihrer bisherigen Laufbahn hauptsächlich mit Opfern von Straftaten befasst, etwa auf dem Gebiet der Traumatherapie. Auch ihre Nähe zum Weißen Ring, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, sei ein Hinweis darauf, dass die Psychologin nicht neutral sei. Darüber hinaus forderten die Verteidiger, zusätzlich ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Der Hintergrund: Die 17-Jährige, die in dem Verfahren auch als Nebenklägerin auftritt, war im vergangenen Jahr in nervenärztlicher Behandlung, damals wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Diese Erkrankung, so die Verteidigung, könne „Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit“ haben.

Ein letzter Antrag zielte auf das Verhalten der Frau, das laut der Verteidigung Anlass zur Skepsis gebe. So hatte die 17-Jährige berichtet, dass ihr Stiefvater sie im Keller und im Kinderzimmer vergewaltigt und dabei teils brutale Praktiken angewandt habe. Zumindest eine dieser Praktiken hat sie als Teenager dann selbst und freiwillig ausprobiert, mit ihrem aktuellen Freund. Das war bei Vernehmungen während des Prozesses, der zu großen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, ans Licht gekommen. Dass sich das „vermeintliche Opfer freiwillig wieder der damaligen Tatsituation aussetzt“, so der Verteidiger, werfe Fragen auf.

Sachverständige sagt erneut aus – in eigener Sache

Erfolg hatten die Anwälte mit keinem ihrer Anträge, sie wurden von der Kammer nach ausführlicher Beratung allesamt zurückgewiesen. Um den Vorwurf der Befangenheit auszuräumen, wurde die betroffene Sachverständige am Montag erneut als Zeugin geladen. Dabei legte sie nach Einschätzung der Richter glaubwürdig dar, dass sie sich in ihrer Arbeit als Psychologin und Kriminologin keinesfalls ausschließlich mit der Opferseite, sondern in gleichem Maß mit Tätern befasst habe – unter anderem als Beraterin der Polizei. Sie sei zwar im Fachbeirat des Weißen Rings, aber nicht Mitglied, und habe sich zudem intensiv mit Falschbeschuldigungen auseinandergesetzt. „Opfer sind für mich nicht nur Opfer von Straftaten, sondern auch Menschen, die zu Unrecht angeklagt werden“, sagte sie. Auch zu der Frage, warum die Nebenklägerin eine Sexualpraktik ausgeübt habe, unter der sie als Kind enorm gelitten hat, nahm die Gutachterin Stellung. Diese Form der Reinszenierung sei bei Missbrauchsopfern nicht unüblich. „Das ist eine Form, erlebte Traumata aufzuarbeiten und mit dem Erlebten besser umgehen zu können.“

Vor sechs Jahren haben sich der Angeklagte und die Mutter des Opfers getrennt, seither hat er zu der Familie keinen Kontakt mehr. Seit Mitte Dezember ist er in Untersuchungshaft. Am späten Montagnachmittag begannen die Plädoyers, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wann das Urteil gesprochen wird, ist noch unklar.