Rund anderthalb Jahre nachdem die Brüdergemeinde in Korntal-Münchingen mit schweren Missbrauchsvorwürfen konfrontiert wurde, beginnt der lange Prozess der Aufarbeitung. Schnelle Ergebnisse wird es dabei nicht geben – zum Ärger der Opfer.

Korntal-Münchingen - Mechthild Wolff wird die Aufarbeitung der Korntaler Heimgeschichte koordinieren. Darauf verständigten sich Vertreter der Betroffenen und der evangelischen Brüdergemeinde am Dienstag. Rund anderthalb Jahre, nachdem Detlev Zander die Diakonie der Brüdergemeinde mit Vorwürfen des schweren sexuellen Missbrauchs erstmals konfrontiert hat, soll die Aufarbeitung beginnen. Bei einem ersten Treffen zwischen der gemeinsam beauftragten Erziehungswissenschaftlerin Wolff und vier Vertretern der Interessengemeinschaft Heimopfer seien „wichtige Eckpunkte des Gesamtprozesses“ besprochen worden, sagte Wolff danach.

 

Die Aufarbeitung ist umfassend. Neben der Darlegung der historischen Fakten wird etwa auch um die Frage gerungen, wie Entschuldigungen zu formulieren seien und was eine angemessene Entschädigung sei. „Das wird sicherlich ein langwieriger Prozess werden, der viele Personen in den Institutionen betreffen wird“, sagte Wolff. Die damals Verantwortlichen hätten nämlich nicht nur eigenständig, sondern auch im Auftrag und finanziert von staatlichen Stellen wie etwa den Jugendämtern gehandelt.

Für diesen Prozess bedürfe es Zeit und Vertrauen, schließlich gebe es berechtigterweise viel Skepsis und Misstrauen auf beiden Seiten, so Wolff. Sie machte deutlich, dass ein zweites Sondierungsgespräch notwendig sei, um alle Aspekte der Aufarbeitung zu benennen. Schon jetzt sei aber klar, dass „sichtbar werden muss, dass hier Unrecht geschehen ist“, sagte sie mit Blick auf die Erinnerungskultur. Dies war ebenso eine Forderung der Betroffenen wie die Gewährleistung, dass der Schutz von Heimkindern heute gegeben sei. „Wir müssen an vielen Baustellen gleichzeitig arbeiten“, sagte Wolff.

Details müssen noch erarbeitet werden

Bei der Aufarbeitung mitwirken sollen auch die Betroffenen, das betonte Wolff immer wieder. Ein paritätisch besetztes Steuerungsgremium mit ehemaligen Heimkindern und Vertretern der Brüdergemeinde soll eingerichtet werden. Die Vertreter der Interessengemeinschaft Heimopfer wollen sich von der stetig wachsenden Gruppe dazu legitimieren lassen. Details, wie die Aufarbeitung laufen soll, gebe es aber noch nicht.

„Wir sind alle erleichtert“, sagte Detlev Zander, auch wenn es noch wenig Konkretes gebe. Den Heimopfern sei wichtig gewesen, „dass nicht nur die Brüdergemeinde bestimmt, wo’s lang geht“. Trotz der Zuversicht beteuerte er, an seiner Klage auf Schadenersatz festzuhalten.

Ein Fonds soll die Kosten der wissenschaftlichen Aufarbeitung finanzieren. Der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde, Klaus Andersen, äußerte sich ebenfalls erleichtert: „Ich bin zuversichtlich, mehr fast als ich gehofft hatte. Ich freue mich auf die nächste Runde.“ Entgegen ersten Plänen hatte der als Ombudsmann vorgeschlagene ehemalige Jugendrichter Wolfgang Vögele nicht an dem Treffen teilgenommen. Vögele habe zunächst abwarten wollen, wie sich die Ombudsperson in die Gesamtstruktur einfüge, erklärte Wolff.

Manchem dauert der Prozess zu lange

Schnelle Ergebnisse werde es nicht geben, machte sie deutlich. Manchen mochte das nicht gefallen. Der Betroffene Wolfgang Schulz etwa mahnte: „Wir haben nicht endlos Zeit.“ Auch beim jüngsten Opfertreffen hatten sich einige verärgert darüber gezeigt, Monate warten zu müssen, um einen Termin bei der Anlaufstelle für ehemalige Heimkinder zu bekommen. Sie hatten nur bis Ende Dezember Geld aus dem Entschädigungsfonds beantragen können.

Derweil wartet nicht nur Detlev Zander auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts über seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Das Gericht wird wohl nicht vor Monatsende entscheiden. Bei dem Stuttgarter Anwalt Michael Erath hatten sich bis Mitte Dezember fünf Betroffene oder deren Familien gemeldet, die ebenfalls klagen wollen – allerdings nur mit finanzieller Unterstützung. Peter Meincke, der Gründer der Opferhilfe Korntal, hat dafür eigens ein Konto eingerichtet. Einige hundert Euro seien zwischenzeitlich eingegangen, sagte er. „Aber die Prozesskosten könnten wir eh nicht stemmen.“