Ludwisgburg - Vor wenigen Wochen hat die Stiftung Karlshöhe eine Dokumentation veröffentlicht. „Kein Zuhause für die Tränen“ heißt das 131 Seiten umfassende Bändchen der Diakonischen Einrichtung in Ludwigsburg. Darin stellt sie die Geschichte der Karlshöher Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren dar. Auch die Schwierigkeiten des mehrjährigen Aufarbeitungsprozesses werden darin geschildert, dem sich die Karlshöhe als erste Einrichtung Südwestdeutschlands gestellt habe, weiß deren Sprecher, Jörg Conzelmann.

 

Manche Herausforderung habe man bewusst ins Auge gefasst, in andere sei man eher hineingestolpert. Doch es wäre nicht gelungen, sie zu bewältigen, „wenn nicht die Hauptbetroffenen so besonnen und konstruktiv agiert und reagiert hätten“, heißt es in der Dokumentation. Das bekräftigt der Sprecher der Karlshöhe auch heute noch, sechs Jahre nach der intensiven Phase der Aufarbeitung.

Gleichwohl will er die Situation in Ludwigsburg mit jener in Korntal nicht vergleichen. „Wir hatten andere, günstigere Voraussetzungen, als das in anderen Einrichtungen vielleicht der Fall war.“ Weder gab es demnach sexuelle Misshandlungen, noch waren die Verfehlungen so drastisch, wie sie nun in Korntal offenbar werden. Zudem habe es von Beginn an eine Vertrauensbasis zwischen den Betroffenen und den Vertretern der Karlshöhe gegeben, die bei der Aufarbeitung auf einen Stammtisch Ehemaliger zugehen konnten. Zudem standen demnach zu keinem Zeitpunkt finanzielle Forderungen im Raum, die nicht über den inzwischen aufgestockten und bis 2018 verlängerten Fonds des Bundes, der Länder und der Kirchen abgegolten wurden. In Korntal hatte sich Detlev Zander zunächst mit einer Schadenersatzforderung in Millionenhöhe Aufmerksamkeit verschafft.

Doch auch in Ludwigsburg hatte ein Ehemaliger, Wolfgang Bahr, die Aufarbeitung initiiert. Dabei habe es schon Situationen des Zweifels gegeben, sagt Conzelmann rückblickend. Schließlich war offen, wie der Prozess die Institution verändern würde. Die interne und externe Kommunikation darüber sei jedoch enorm wichtig gewesen – gleichwohl habe es immer auch geschlossene Gesprächsrunden gegeben, deren Inhalte vertraulich blieben.

Der Weg sei richtig gewesen, ist sich Conzelmann sicher, er habe das Bewusstsein für die Arbeit heute geschärft und die Identität gestärkt: „Wir haben kein Skelett im Schrank, das vorzuhüpfen droht.“

So festgefahren die Situation in Korntal scheint, ist Vergleichbares offenbar nicht ungewöhnlich. „In allen Aufarbeitungsprozessen, die ich kenne, gab es Fraktionierungen unter den Betroffenen“, sagt Wolff. In Korntal komme aber erschwerend hinzu, dass es Unterstützer gebe, die zur Spaltung der Betroffenen beitrügen. „Das ist aus meiner Sicht eine falsch verstandene Hilfe.“ Ob es tatsächlich zu einer Vermittlung zwischen den beiden Gruppierungen kommt, ist offen. Während Ulrich Scheuffele erklärt, sich das grundsätzlich vorstellen zu können, bleibt Zander auf Distanz. „Wo bietet die Opferhilfe ihre Hilfe an?“ fragt er. Immer wieder auf den Beginn des Prozesses zurückzukommen, helfe doch nicht weiter. Tatsächlich hatte es unter anderem Diskussionen darüber gegeben, ob die Unabhängigkeit des Prozesses gewährleistet sei, wenn die Brüdergemeinde für das Honorar der Wissenschaftlerin Wolff aufkomme – was inzwischen jedoch allein die Opferhilfe noch bezweifelt.

Informationen zur IG Heimopfer und der Opferhilfe

IG Heimopfer:
Detlev Zander hat als erster im Frühjahr 2014 öffentlich von sexuellem Missbrauch, Prügelorgien und Zwangsarbeit im Korntaler Kinderheim berichtet. Dort lebte er von 1963 bis 1977. Daraufhin meldeten sich weitere Betroffene, die sich in einer Interessengruppe zusammenschlossen. Sie koordinieren mit der Brüdergemeinde und der Wissenschaftlerin Mechthild Wolff den Aufarbeitungsprozess. Vor allem Zanders’ Verhältnis zur Opferhilfe ist schlecht: Er fühlt sich durch sie erneut in die Opferrolle gedrängt.

Opferhilfe:
Sie ist ursprünglich ein Verbund von Bürgern aus Korntal und Umgebung, die sich um die Infrastruktur kümmerten, um die Treffen der Betroffenen zu ermöglichen. Sie blieben ein kritischer Begleiter der Aufarbeitung. Inzwischen kritisieren sie etwa das geringe Tempo des Prozesses – und sprechen damit nach eigenen Angaben auch andere Betroffene an, die sich seither nicht in die Aufarbeitung eingebracht haben. Vor allem das Verhältnis zwischen ihrem Akteur Ulrich Scheuffele und Detlev Zander von der IG Heimopfer ist gestört.

Kommentar: Ohne Verantwortung

Was soll das? Als außenstehender Betrachter ist man geneigt, sowohl die Opferhilfe als auch die Gruppe der Heimopfer zur Vernunft rufen zu wollen. Obwohl sie sich in ihrem gemeinsamen Ziel einig sind, die Geschichte der Heimerziehung in Korntal aufzuarbeiten, schwächen sie sich gegenseitig, indem sie sich mit sich widersprechenden, öffentlichen Aussagen in Nebenkriegsschauplätzen verlieren, während die Brüdergemeinde weiterhin mit einer Stimme spricht.

Die Aufarbeitung ist derzeit vor allem von unsachlichen Anfeindungen der Beteiligten untereinander durchsetzt. Dies hilft angesichts der ihm Raum stehenden Vorwürfe wenig, in denen von sexuellem Missbrauch sowie physischer und psychischer Gewalt die Rede ist. Sich damit nach Jahrzehnten der Verdrängung auseinanderzusetzen ist emotional genug. Zudem hat die Projektkoordinatorin Mechthild Wolff längst eine durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Basis für eine sachliche Aufarbeitung geschaffen. Eine gänzlich emotionslose Auseinandersetzung ist weder möglich noch gewollt, aber der wissenschaftliche Ansatz kann die Emotionen wenigstens kanalisieren.

Darauf müssen sich die Beteiligten besinnen. Sie dürfen sich nicht weiter schwächen und damit die Aufarbeitung nur noch stockend voranbringen. Denn dazu haben sie zu viel Verantwortung. Zu viele Fragen haben sie aufgeworfen, sie haben zu sehr Ehemalige mit Erinnerungen konfrontiert und die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Das war richtig. Aber ebenso notwendig ist es, dass sie gemeinsam daran arbeiten, allen Beteiligten die Chance zu geben, mit der unrühmlichen Heimhistorie umzugehen.

Ein Blick auf andere: Ludwigsburg ist Vorreiter

Ludwisgburg - Vor wenigen Wochen hat die Stiftung Karlshöhe eine Dokumentation veröffentlicht. „Kein Zuhause für die Tränen“ heißt das 131 Seiten umfassende Bändchen der Diakonischen Einrichtung in Ludwigsburg. Darin stellt sie die Geschichte der Karlshöher Heimerziehung in den 1950er und 1960er Jahren dar. Auch die Schwierigkeiten des mehrjährigen Aufarbeitungsprozesses werden darin geschildert, dem sich die Karlshöhe als erste Einrichtung Südwestdeutschlands gestellt habe, weiß deren Sprecher, Jörg Conzelmann.

Manche Herausforderung habe man bewusst ins Auge gefasst, in andere sei man eher hineingestolpert. Doch es wäre nicht gelungen, sie zu bewältigen, „wenn nicht die Hauptbetroffenen so besonnen und konstruktiv agiert und reagiert hätten“, heißt es in der Dokumentation. Das bekräftigt der Sprecher der Karlshöhe auch heute noch, sechs Jahre nach der intensiven Phase der Aufarbeitung.

Gleichwohl will er die Situation in Ludwigsburg mit jener in Korntal nicht vergleichen. „Wir hatten andere, günstigere Voraussetzungen, als das in anderen Einrichtungen vielleicht der Fall war.“ Weder gab es demnach sexuelle Misshandlungen, noch waren die Verfehlungen so drastisch, wie sie nun in Korntal offenbar werden. Zudem habe es von Beginn an eine Vertrauensbasis zwischen den Betroffenen und den Vertretern der Karlshöhe gegeben, die bei der Aufarbeitung auf einen Stammtisch Ehemaliger zugehen konnten. Zudem standen demnach zu keinem Zeitpunkt finanzielle Forderungen im Raum, die nicht über den inzwischen aufgestockten und bis 2018 verlängerten Fonds des Bundes, der Länder und der Kirchen abgegolten wurden. In Korntal hatte sich Detlev Zander zunächst mit einer Schadenersatzforderung in Millionenhöhe Aufmerksamkeit verschafft.

Doch auch in Ludwigsburg hatte ein Ehemaliger, Wolfgang Bahr, die Aufarbeitung initiiert. Dabei habe es schon Situationen des Zweifels gegeben, sagt Conzelmann rückblickend. Schließlich war offen, wie der Prozess die Institution verändern würde. Die interne und externe Kommunikation darüber sei jedoch enorm wichtig gewesen – gleichwohl habe es immer auch geschlossene Gesprächsrunden gegeben, deren Inhalte vertraulich blieben.

Der Weg sei richtig gewesen, ist sich Conzelmann sicher, er habe das Bewusstsein für die Arbeit heute geschärft und die Identität gestärkt: „Wir haben kein Skelett im Schrank, das vorzuhüpfen droht.“