Im Café neben dem Rathaus wird das eindrucksvoll bestätigt. Es gibt Erdbeerkuchen und ein bisschen Lokalpolitik gratis dazu. Drei betagte Damen plaudern am Tisch über das Thema Nummer eins in Munderkingen. "Der arme Pfarrer", flüstert eine. "Und alles nur wegen der Zeitung", sagt die zweite. "Das gehört verboten", raunt die dritte.

Wer an der heiligen Aura des Pfarrers kratzt, bekommt Ärger


Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Der Pfarrer ist in dieser Gegend eine Institution, umgeben von einer Aura, die vielen heilig ist. Wer an ihr kratzt, handelt sich Ärger ein. Wie sich das anfühlt, weiß neunzig Kilometer entfernt im Allgäu eine Kirchenbedienstete zu berichten. Ganz in der Nähe, in Roggenzell, war Rudolf K. früher Pfarrer, bevor er nach Munderkingen wechselte. Der Frau war damals wie anderen aufgefallen, dass ein Junge besonders oft bei ihm nächtigte. Der Bub weilte auch bei einer Familienfreizeit, zu welcher der Pfarrer zwei Tage später nachkam. Bis dahin hatte der Halbwüchsige mit anderen Jungen ein Zimmer geteilt. Danach zog er um und schlief beim Pfarrer. Dass der Priester bei Wallfahrten ein Doppelzimmer für sich und den Buben hatte und frühmorgens Kinder aus dem Pfarrhaus kamen: gesehen haben das viele.

Die wenigen Mutigen, die sich deswegen beim Bischof meldeten, haben sich danach manchmal gefragt, ob sie es nicht besser gelassen hätten. Was sie in der Folge erlebt haben, belastet sie bis heute. Anonyme Briefe, Schmierereien am Haus, böse Anrufe. Der beschuldigte Priester wurde zwar zunächst in Kur geschickt, weil sein Wirken "unfruchtbar" geworden war, wie das innerkirchlich heißt. Doch dann kam er überraschend für fünf Monate an die alte Wirkungsstätte zurück und machte jenen, die ihn belastet hatten, das Leben zur Qual. Dabei hatte der Bischof offenbar selbst zugesagt, dass der Geistliche nach der Kur nicht wieder an den früheren Arbeitsplatz dürfe.

Das alles spielte sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Keiner ahnte, dass der unter Verdacht stehende Pfarrer die strikte Auflage bekommen hatte, sich von Kindern fernzuhalten. Wie Zeugen bestätigen, hat er sich daran nicht gehalten. Trotzdem räumte man dem Ungehorsamen vonseiten der Diözese die Möglichkeit ein, "freiwillig" von seinem Posten zurückzutreten und sich in Munderkingen zu bewerben, wo er auch Kinder meiden sollte, was dort gleichfalls keiner wusste.