Bei einem Treffen auf den Fildern kommen heute die Vertreter der beiden zerstrittenen Opfergruppierungen zusammen.

Korntal-Münchingen - Die vergangenen Wochen haben bei allem Streit, den es zwischen den Beteiligten gegeben hat, auch Klarheit geschaffen. Denn nun ist gewiss, dass es fortan zwei verschiedene, aber eben gleichberechtigte Opfergruppierungen geben wird. Vertreter des Vereins „Netzwerk Betroffenenforum“ um Detlev Zander sowie der Arbeitsgemeinschaft (AG) „Heimopfer Korntal“ treffen heute auf den Fildern zusammen. Erwartet wird dort auch Ulrich Weber. Der Rechtsanwalt untersucht die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen. Detlev Zander hatte ihn im Alleingang als Vertrauensperson für die Aufarbeitung des Korntaler Missbrauchsskandals ins Spiel gebracht – was ihm das Misstrauen der AG Heimopfer einbrachte. Offen ist, ob – und wenn ja, in welcher Funktion – Weber fortan auch für die Betroffenen in Korntal aktiv wird.

 

Einen Chefaufklärer jedenfalls brauche es nicht, lässt die evangelische Brüdergemeinde wissen. Die Position sei nicht vakant, teilt ihr Sprecher Manuel Liesenfeld mit Verweis auf Mechthild Wolff mit.

Ein Jahr lang hatte die Erziehungswissenschaftlerin Mechthild Wolff mit Vertretern der Betroffenen und der Brüdergemeinde in einer Steuerungsgruppe das Konzept der Aufarbeitung erstellt. Das siebenköpfige Gremium wurde inzwischen aufgelöst, weil es an seine Grenzen gestoßen war; aber auch, weil die nicht an der Steuerungsgruppe beteiligten Betroffenen massive Kritik an dem Gremium übten, ihr etwa mangelnde Transparenz vorwarfen.

Gleichwohl soll es demnächst ein neuerliches Treffen der Betroffenen-Vertreter und Wolff geben. Wolff wirbt weiterhin um Kommunikation in einem Prozess, in dem es an „emotionalen und irrationalen Momenten“ nicht mangele.

Niemand, so sagen heute viele Beteiligte, habe zu Beginn wissen können, welche Dimensionen das Projekt annehmen würde. Dabei musste zunächst viel Energie darauf verwendet werden, sich bei der Brüdergemeinde Gehör zu verschaffen. „Es ist empörend, wenn im Jahr 2015 die Betroffenen dafür kämpfen müssen, dass eine Institution als Täterorganisation Verantwortung übernimmt und Leid anerkannt wird“, sagt Ursula Enders von Zartbitter, der Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch in Köln. Vielmehr sollten überregionale Kirchen und Verbände den Konflikt mit den Institutionen suchen. Die Betroffenen seien dafür nicht zu instrumentalisieren, lautet ihre Forderung, die in deutlicher Kritik mündet: „Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich in den vergangenen zwei Jahren auf Kosten der Betroffenen rausgehalten. Ihrer Menschlichkeit wurde sie damit nicht gerecht.“

Ein Trauma ist nicht rational anzugehen

Doch die Auseinandersetzung der Betroffenen untereinander hat offenbar nicht nur damit zu tun. „Die Opfer sind sehr empfindlich, weil es kaum ein intimeres Thema gibt“, sagt Sabine Pohle, die Vorsitzende des Vereins Glasbrechen. Dieser setzt sich für die Betroffenen sexualisierter Gewalt an der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim ein. Dort wurden über Jahrzehnte hinweg mehr als 130 Kinder und Jugendliche missbraucht. Rationale Argumente – etwa, dass die Betroffenen ihre Position mit gegenseitigen Angriffen schwächten und die Täterorganisation stärkten – verfingen nicht: „Ein Trauma kann man nicht rational angehen.“ Selbst wenn den Beteiligten bewusst sei, dass „die Falschen profitieren“, könne man solche Streitigkeiten nicht ausbremsen. Es komme hinzu, ergänzt Johannes von Dohnanyi, stellvertretender Vorsitzender von Glasbrechen, dass die Betroffenen keine homogene Gruppe seien, sondern es sich um Einzelschicksale handele. Er plädiert nichtsdestotrotz für einen respektvollen Umgang miteinander: „Jede Form der Öffentlichkeit und sich noch einmal preiszugeben erfordert einen riesigen Mut. Das darf man nicht vergessen oder mit Häme oder Abscheu in den Schmutz ziehen.“

In geschlossenen Systemen wie Kinderheimen würden die Taten wohl seltener publik. Johannes von Dohnanyi war Schüler der Odenwaldschule, ist aber kein Betroffener. „Die Kinder untereinander sprachen nicht darüber.“

Die Wissenschaft weiß heute, dass Täter gezielt Streit zwischen Kindern und Mitarbeitern säen. Andererseits wurde den Kindern das Gefühl vermittelt, besondere Zuneigung zu bekommen. Die Odenwaldschule etwa sei für viele „ein Stück Heimat“ gewesen. „Welches Kind, welcher Jugendliche würde sein Stück Heimat gefährden wollen? Irgendwie fühlten sich alle, auch die Opfer sexualisierter Gewalt, als ‚Auserwählte‘, als Mitglied einer ganz besonderen Gemeinschaft“, so von Dohnanyi.