Maria Loheide, Vorstandsmitglied der Diakonie Deutschland, findet lobende Worte für die Verantwortlichen der evangelischen Brüdergemeinde Korntal. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass der Aufarbeitungsprozess der Geschehnisse in den Korntaler Kinderheimen erst am Anfang steht und die Evangelische Landeskirche Württemberg beim Thema Anerkennungsleistungen für Opfer sexuellen Missbrauchs in ihren Einrichtungen zögerlich agiert.

Korntal-Münchingen - Maria Loheide findet lobende Worte für die Verantwortlichen der evangelischen Brüdergemeinde Korntal. Trotz anfänglicher Irritationen bei der ersten Suche nach dem richtigen Weg hätten die Verantwortlichen jetzt einen Weg eingeschlagen, der einerseits der Aufarbeitung der Geschichte der von der Diakonie der Brüdergemeinde getragenen Einrichtungen diene, andererseits auch die Prävention im Blick habe, sagt das Vorstandsmitglied der Diakonie Deutschland. Loheide war vor wenigen Wochen in Korntal zu Gast. Insofern, so Loheide, habe die Aufarbeitung dort bundesweit „Signalwirkung“, so wie freilich „jede Einrichtung, die diesen Weg geht, Signalwirkung hat“.

 

Die lobenden Worten täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den Korntaler Kinderheimen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst beginnt, und das Brüdergemeindewerk die Frage der Entschädigungszahlungen an Opfer sexualisierter Gewalt zur Anerkennung ihres Leids – auch „Genugtuungsleistung“ genannt – noch gar nicht beantworten musste. Stattdessen betonen die Pietisten bisher zum Ärger der Betroffenen, ausschließlich zu Sachleistungen bereit zu sein, also zu so genannten ergänzenden Hilfen.

Dabei spielt ihr das zögerliche Verhalten der württembergischen Landeskirche in die Hände. Diese hatte laut ihrem Sprecher Oliver Hoesch in diesem Jahr das Thema der Genugtuungsleistungen, also freiwilliger Entschädigungszahlungen, beschlossen. Das Ende der „komplexen Prüfung und Abstimmung“ stehe „kurz bevor“, sagt Hoesch.

Für das ehemalige Heimkind Wolfgang Bahr ist das mit Verweis auf die Evangelische Landeskirche Deutschland (EKD) nicht nachvollziehbar. Diese hatte ihren Landeskirchen bereits im Jahr 2012 eine entsprechende Orientierungshilfe an die Hand gegeben für den Umgang mit jenen juristisch verjährten Fällen, in denen eine Einrichtung als Institution versagte.

Wolfgang Bahr hatte die Aufarbeitung der Historie des Kinderheims auf der Ludwigsburger Karlshöhe initiiert und kämpft heute für die Rechte der Betroffenen. Er ist nach eigenem Bekunden darüber seit 2012 in Gesprächen mit der Diakonie. Zwar habe die Landeskirche zwei Stellen benannt, damit Betroffene ihre Anspruch auf Sachleistungen geltend machen könnten. Dennoch warten sie nun „schon Jahre auf die Entscheidungen für ein Genugtuungssystem, was von Jahr zu Jahr vertagt wurde“.

Vor diesem Hintergrund belauern sich im Fall der Korntaler Aufarbeitung die Akteure. Die Korntaler Diakonie schaut auf die Landesdiakonie, deren Mitglied sie ist; die Landesdiakonie wiederum wartet darauf, dass die Landeskirche ein System zur Zahlung von freiwilligen Entschädigungen etabliert. Zugleich aber blickt sie nach Korntal, wie sich die dortige Diakonie in der Praxis dem Thema stellt. Die Landeskirche wiederum erklärt, ihr Verfahren sei „unabhängig von der laufenden Aufarbeitung“ in Korntal.

Andere Landeskirchen sind in dieser Hinsicht bereits um einiges weiter. Sie gestalten den Umgang mit den Opfern sexualisierter Gewalt im Detail zwar unterschiedlich, berufen sich aber in allen Fällen auf die EKD-Empfehlung. Dieser wiederum stützt sich auf die Empfehlungen des Runden Tisches aus dem Jahr 2011. Unter dem Vorsitz der Justiz-, Familien- und Bildungsministerinnen des Bundes hatte sich dieser – ganz im Sinne der Brüdergemeinde – einerseits für Hilfen durch Sachleistungen ausgesprochen: „Es sollen keine Barbeträge ausgezahlt werden.“ Andererseits betonte das Gremium in seinem Abschlussbericht aber eben auch, dass diese Hilfen die Täter und Institutionen nicht von ihrer Pflicht entbinde, sich mit weitergehenden Forderungen der Betroffenen nach Genugtuung und Wiedergutmachung auseinanderzusetzen. „Zu Recht erwarten die Betroffenen, dass die Institutionen, die ihre Verantwortung in der Vergangenheit nicht wahrgenommen haben, wenigstens heute Verantwortung für die Taten übernehmen“. Dazu gehörten seiner Ansicht nach auch „sogenannte Schmerzensgeldzahlungen“. Deren Höhe sei so zu bemessen, dass die Betroffenen es als ernst gemeinte Geste der Anerkennung des Unrechts verstehen und akzeptieren können. Zur Orientierung könnten die an die Rechtsprechung ausgerichteten Schmerzensgeldtabellen dienen.

Sachleistungen als ergänzende und freiwillige Entschädigungen in Form von Geldleistungen – auf die Differenzierung legen die Kirchen und Träger ihrer meist diakonischen Einrichtungen Wert. So weit ist die Diskussion in Korntal wenige Monate nach Beginn des Aufarbeitung noch nicht. Differenziert schauen hingegen die Nordkirche und die Landeskirche Hannover auf ihre eigenen Fälle. „Kirche und Diakonie stehen an dieser Stelle zusammen“, sagt Sven Quittkat. Laut dem Sprecher der Diakonie Niedersachsen wurden inzwischen mehr als 80 Fälle gemeldet, seit die „Unabhängige Kommission für die Entschädigung von Opfern sexualisierter Gewalt“ im Jahr 2012 ihre Arbeit aufgenommen habe. Die Nordkirche steht bereits vor einer ersten Auswertung ihres eigenen Konzepts.

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