Missbrauchsvorwürfe im Boxsport Athletin spricht über ihr Leben in Angst

Wirkungstreffer, die sehr schmerzen, gab es im baden-württembergischen Leistungsboxen offenbar auch außerhalb des Ringes – drei Trainern wird sexualisierte Gewalt vorgeworfen Foto: Studio KIVI - stock.adobe.com

Eine der Boxerinnen, die Anzeige erstattet haben, erzählt ihre Geschichte vom sexuellen Missbrauch im baden-württembergischen Boxsport. Drei Trainer stehen unter Verdacht.

Stuttgart - Die junge Frau spricht mit leiser Stimme, aber wohlüberlegt. Sie hat dem Telefonat nur zugestimmt, wenn alles vertraulich bleibt. Ihr Name, ihr Alter, ihr Wohnort, ihr Status als Boxerin. Keine Fakten, die sie identifizierbar machen könnten, dürfen genannt werden. Sie hat Angst. Um sich, um ihre Familie. Immer wieder, erzählt sie, erhalte sie Drohanrufe. Sie werde gefragt, ob ihr nichts an ihrem Leben liege. Ihr werde gesagt, dass sie nicht sicher sei. Und dass man wisse, wo sie und ihre Familie zu Hause seien. „Ich lebe in großer Sorge“, sagt sie, „das ist ein ganz ekelhafter Zustand.“

 

Im baden-württembergischen Leistungsboxen gibt es schwere Vorwürfe gegen drei Trainer, über die unsere Zeitung exklusiv berichtet hat. Sie stehen im Verdacht, junge Athletinnen sexuell bedrängt, genötigt und missbraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg führt ein Ermittlungsverfahren, es geht um mutmaßliche Vorfälle, die nicht nur eine Vielzahl von Athletinnen betreffen, sondern die zum Teil bis ins Jahr 2012 zurückreichen sollen. Falls das stimmt, hätte es bis zu acht Jahre gedauert, ehe die Boxerinnen den Mut fanden, darüber zu sprechen, was sie angeblich erlebt haben.

„Sie sind mächtig, schlau, planen immer zwei Schritte voraus“

Bisher hat sich gegenüber unserer Zeitung nur einer der drei Verdächtigen geäußert. Er bestrittet die Vorwürfe vehement, spricht von „Rufmord“. Aus Sicht von Uwe Hamann, dem Präsidenten des Boxverbands Baden-Württemberg (BVBW), ist eine „Schlammschlacht“ im Gange. Tatsächlich? Eine der möglicherweise betroffenen Boxerinnen hat uns nun ihre Geschichte erzählt – nach langem Zögern. „Es gibt ja Gründe dafür, warum diese Trainer so lange mit dem, was sie getan haben, durchgekommen sind. Sie sind mächtig, schlau, planen immer zwei Schritte voraus“, sagt die junge Frau, die zu den Athletinnen gehört, die Anzeige erstattet haben. „Auch das ist es, was mir große Angst einjagt.“

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Sie selbst hat als Teenager mit dem Boxen begonnen, es reizte sie, mit anderen ihre Kräfte zu messen. Doch schon nach den ersten Kämpfen habe sie auch außerhalb des Rings Wirkungstreffer hinnehmen müssen. Zunächst verbaler Art. Zu ihr sei gesagt worden, sie habe einen „voll geilen Arsch“, ein Trainer meinte, dass er auf den Tag warte, an dem sie 18 werde, um mit ihr Sex haben zu können. Bei einem Lehrgang, bei dem die Boxer und ihre Trainer gemeinsam in einer Halle schliefen, habe sich ein Coach auf ihrer Matratze niedergelassen und darauf bestanden, dass sie sich neben ihn lege. Später sei ihr zwischen die Beine und an den Po gefasst worden, es gab Sprüche über ihre Brüste, ein Trainer habe versucht, sie zu küssen: „Je höher ich sportlich aufgestiegen und umso älter ich geworden bin, desto schlimmer wurden die Belästigungen.“

Die Athletinnen ließen sich einschüchtern

Zugleich habe sie mit wachsendem Unbehagen beobachtet, was um sie herum passierte. Ein Trainer habe immer wieder Vergewaltigungswitze erzählt und mit dem Satz „Ich fi. . . euch in den Arsch“ angekündigt, wie hart die nächste Einheit werde, andere (die nicht zu den drei Verdächtigen gehören) hätten die Kämpfe von Frauen als „Schlampen-Boxen“ bezeichnet. Ein Mädchen habe erzählt, ihr Coach fordere Geschlechtsverkehr von ihr, sonst würde er sie nicht für die nächste deutsche Meisterschaft nominieren. Eine andere Athletin habe zu ihr gesagt, „ich habe das jetzt zu erledigen“, ehe sie ins Zimmer des Trainers gegangen sei. Sie selbst, erzählt die junge Frau, habe sich oft derart sexuell bedrängt und in die Enge getrieben gefühlt, dass ihr als Ausweg nur die überstürzte Flucht geblieben sei. „Ich bin froh, dass es bei mir nicht zu schwerem Missbrauch kam“, sagt sie, „aber ich weiß, dass andere Athletinnen genau dies erlebt haben.“

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Zugleich hätten ihnen Trainer die klare Botschaft zukommen lassen, nicht über die Vorfälle zu reden. Ihr selbst sei zugetragen worden, der Coach möge es, „wenn kleine süße Mädchen die Fresse halten“. Dass diese Methode der Einschüchterung funktioniert habe, schreibt die Athletin auch der eigenen Hilflosigkeit zu.

Die junge Frau, die den Traum von der Karriere im Ring nie aufgeben wollte, betont, dass es unter den Verantwortlichen im baden-württembergischen Boxen sehr wohl gute Charaktere gebe. Leute, die ihre Unterstützung versprochen und dann auch entsprechend gehandelt hätten. Sie sagt aber auch, dass sie lange genau die gegenteilige Erfahrung gemacht habe. Sie hätte niemanden gefunden, an den sie sich hätte wenden können, dem sie vertraute, von dem sie sich ernst genommen fühlte. Stattdessen sei von den Verantwortlichen im Verband und anderen Trainer viel zu oft weggeschaut worden. „An diesem Punkt kann ich für viele Mädchen sprechen“, sagt sie, „die alle das Gefühl hatten, allein dazustehen, nur das Opfer sexistischer Witze zu sein, ohnehin nur als Schlampe und Lügnerin dargestellt zu werden, verarscht zu werden. Und jede fragte sich: Was kann ich tun?“

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Das sei so lange gegangen, bis der Leidensdruck irgendwann doch zu groß geworden sei. Es war aus ihrer Sicht keine Alternative mehr, alles noch länger zu ertragen. Als Ausweg sah sie nur noch den Gang zur Polizei. Insgesamt gebe es mehr als zehn Betroffene, ihre Verbindung sei die Hoffnung auf eine Änderung zum Guten. „In Baden-Württemberg haben in den vergangenen Jahren sehr viele Athletinnen mit dem Boxen aufgehört. Den Grund kennen wir alle“, sagt die junge Frau am Telefon, „mein Sport bedeutet mir die Welt, aber trotzdem ist er es nicht wert, so darunter zu leiden. Ich habe Geschwister, die ich so gerne mal ins Training mitnehmen würde. Aber ich kann sie doch nicht in so ein Umfeld bringen. Das alles muss aufhören. Es ist falsch – so falsch!“

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Und trotzdem hat sie Zweifel an einer Verbesserung, immer noch. Weil sich bisher nichts zum Positiven verändert habe. Im Gegenteil. Seit die Vorwürfe öffentlich geworden sind und bekannt wurde, dass an mehreren Orten Anzeige erstattet worden ist, nahmen die Bedrohungen im baden-württembergischen Boxsport zu. „Ich funktioniere nur noch, aber ich fühle mich komplett fehl am Platz“, sagt die Athletin, die sich immer wieder dabei ertappt, wie sie über die eigene Schulter schaut, um sich zu vergewissern, dass niemand hinter ihr steht. „Ich habe das blöde Gefühl, dass noch irgendetwas passieren wird.“

Derweil beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft Heidelberg weiterhin mit den Vorwürfen gegen die drei Verdächtigen. „Die Ermittlungen laufen“, erklärt der Staatsanwalt und Pressesprecher Jonathan Waldschmidt, „derzeit gibt es noch keine neuen Erkenntnisse.“

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