Die Ermittlungen zur International Unit in Stuttgart zwingen auch andere Häuser, ihr Geschäft mit den ausländischen Patienten zu überdenken. Auch die Botschaften stellen sich neu auf.

Stuttgart - Der Medizintourismus in Deutschland befindet sich im Sinkflug, die Branche ist in heller Aufregung. 2015 wurde noch ein kleines Plus von 1,4 Prozent ermittelt. Seit Ende 2016 gehe es aber bergab, denn seitdem würden auch die Patientenzahlen aus dem arabischen Raum einbrechen, stellt der Medizintourismusexperte Jens Juszczak von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mit Verweis auf Zahlen des Statistische Bundesamts und eigenen Erkenntnissen fest. Er untersucht die Branche seit Jahren wissenschaftlich. Sein Fazit: Viele Betten blieben derzeit leer.

 

Auslöser für die Negativentwicklung seien die deutliche Verringerung der finanziellen Mittel für Auslandsbehandlungen in vielen Golfstaaten, die schlechte Wirtschaftslage in Russland, strukturelle Veränderungen in den Botschaften und Konsulaten – aber auch „der Skandal um die Internationale Abteilung des Klinikums Stuttgart“, so Juszczak. Er kenne keine Einrichtung, die den Fall nicht genau studiere. In Stuttgart aufgeflogene Verstöße wie drastisch überhöhte Abrechnungen durch die Klinikverwaltung sowie deren Chefärzte, als Betreuungskosten kaschierte Vermittlerprovisionen und Kopfpauschalen ließen in ganz Deutschland die Alarmglocken klingeln. Offenbar sind das gängige Methoden zur Gewinnoptimierung in den Kliniken.

Staatsanwaltschaft schaut, ob Korruption im Spiel ist

Der Stuttgarter Betrieb ist zum Sinnbild für Misswirtschaft geworden. Im schlimmsten Fall verliert das Haus 30 Millionen Euro. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Kalkulation auf einem Ausfall deutlich überhöhter Abrechnungen basiert. Die Staatsanwaltschaft prüft auch, ob in den Kooperationen mit Botschaften und Ministerien von Libyen und Kuwait Korruption eine Rolle gespielt hat.

2015 ließen sich laut Statistikamt mehr als 255 000 Patienten aus 177 Ländern stationär oder ambulant in Deutschland behandeln. Den größten Einbruch gab es 2015 bei Patienten aus Russland (minus 32,4 Prozent) sowie aus der Ukraine und Kasachstan (zusammen minus 17 Prozent). Zuletzt hatte noch Saudi-Arabien (plus 34 Prozent) und Kuwait (plus 19 Prozent) die Zahlen für 2015 verbessert. Kuwait fährt nun aber auch einen strengeren Kurs. Es sei Personal ausgetauscht worden, so Juszczak, und es würden deutlich weniger Behandlungen in Deutschland genehmigt.

Bürgermeister spricht von „Backschisch“

Vor allem Stuttgart ist in Kuwait in Ungnade gefallen. Das dortige Gesundheitsministerium klagt auf Erfüllung eines Kooperationsvertrags mit dem Klinikum, der zwar Zahlungen von 12,6 Millionen Euro regelt, allerdings nicht den Zweck. Für Krankenhausbürgermeister Michael Föll (CDU) ein klarer Fall von „Bakschisch“. Die Vereinbarung wurde auf arabisch verfasst, Gerichtsstand ist Kuwait. Ein Freispruch ist unwahrscheinlich.

Der Ruf des Klinikums ist auch deshalb ruiniert, weil bei der Abrechnung der Behandlungen von 370 libyschen Kriegsversehrten Rechnungsprüfer und Finanzbehörden über „Regiekosten“ gestolpert sind. Außerdem interessieren sich die Staatsanwaltschaft und die Steuerfahnder für die Vorgänge in der chaotisch agierenden Internationalen Abteilung.

Der Geldbote soll jetzt bezahlen

Fragezeichen stehen hinter der Auszahlung von 2,2 Millionen Euro Taschengeld für die Kriegsversehrten. Dieser Teil der „Regiekosten“ floss laut Belegen vom Klinikum auf das Konto des Patientenbetreuers, der es bar abhob und an Al Ramadan Ehwaidweg weitergab. Das wird zwar seitens der Stadt infrage gestellt, allerdings bestätigte der Vertreter des libyschen Auftraggebers den Erhalt der Beträge jeweils mit Stempel und Unterschrift. Niemand wird mehr beweisen können, ob Ehwaidweg die in Empfang genommenen Scheine in Kuverts gesteckt und an seine Landsleute weiter gegeben hat. Deshalb soll nun der Bote haftbar gemacht werden, trotz Auftragsbestätigungen von Klinikum und Versehrtenkomitee. Die Verantwortlichen sind gleichzeitig fein raus – die Stadt nimmt statt ihrer die Managerversicherung in Regress.

Brillenversicherung für libyschen Flüchtling

Bei den Ermittlungen sind nach StZ-Informationen überhöhte Abrechnungen von Chefärzten gefunden worden. Einige hatten den üblichen Abzug von 25 Prozent bei teilstationären oder stationären Behandlungen „vergessen“ (dürfen). Manche verlangten pauschal selbst für banale Tätigkeiten hohe Zuschläge allein dafür, dass sie es mit einem Patienten zu tun hatten, der kein deutsch sprach. Ein Libyer erhielt nicht nur eine teure Brille, sondern auch gleich noch eine Versicherung für 60 Euro – „sicher einzulösen bei der Apollo-Filiale in Tripolis“, scherzte ein Insider.

Gestolpert sind die Ermittler aber auch über die Rechnung einer Heidelberger Spezialklinik, die einen Patienten im Auftrag der Stuttgarter Kollegen behandelte – und 18 Tage lang für 750 Euro täglich beherbergte, obwohl die mittlere Verweildauer bei dieser Diagnose bundesweit bei nur 2,3 Tagen liegt, und die Behandlungskosten bei einem Zwanzigstel. Die Rechnung ans Stuttgarter Klinikum als federführender Stelle ist für Fachleute ein einziger Skandal: Sonderservice, Renovierung, sonstige Auslagen – nichts davon sei rechtskonform. Unfassbar sei allerdings, dass diese Abrechnung über fast 50 000 Euro bei der Weitergabe von Stuttgart aus an das libysche Komitee auf 300 000 Euro anstieg.

Einen Hinweis für die Übertreibungen hat OB Fritz Kuhn in seiner Antwort auf einen AfD-Antrag gegeben: „Vereinbart war der 2,2-fache DRG-Satz“ zitiert er aus einer Erklärung des Klinikums. Selbst für den Fall, dass die Libyer einer Verdoppelung der Fallpauschalen zugestimmt haben sollten, verstößt diese Maßnahme laut Experten gegen das Gesetz. Es sieht die Einheitlichkeit bei der Entgelte für Krankenhausleistungen vor, auch für ausländische Patienten. Weil sich deshalb Botschaften oft im Nachgang wehren, dauert die Begleichung von Rechnungen sehr lange. Allein in Stuttgart gibt es offene Posten von 9,5 Millionen Euro.

Föll hat dem Treiben der Klinikum-Geschäftsführung mittlerweile ein Ende gesetzt: Für alle Patienten gelten die gleichen Sätze. Das sollen manche Chefärzte gar nicht gern gehört haben.