Undurchsichtige Provisionen für Vermittler waren schon in der Amtszeit des heutigen Staatsministers Murawski üblich. Sie waren die Grundlage für den Boom beim Auslandsgeschäft.

Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft Stuttgart durchsuchte am 24. April im Zusammenhang mit der Misswirtschaft in der Internationalen Abteilung des Stuttgarter Klinikums auch Wohnungen und Büros von neun Dienstleistern; sie sollen für die Vermittlung und Betreuung von 370 libyschen Kriegsversehrten sowie für die Vermittlung und Begleitung des Beraterprojekts mit dem kuwaitischen Gesundheitsministerium „nicht erbrachte Leistungen abgerechnet und sich dadurch unzulässige Provisionen verschafft haben“.

 

Viele Vereinbarungen wurden heimlich getroffen. Der seit August 2016 als Krankenhausbürgermeister wirkende Michael Föll (CDU) hatte im Zuge der Aufarbeitung seine Abneigung gegen Vereinbarungen zwischen Klinikum und Patientenvermittlern so artikuliert: „Nennen Sie es Serviceleistung, Schmiergeld oder Bakschisch, es meint dasselbe.“

Gleichwohl differenziert er nun zwischen den Vorgängen bei den beiden umstrittenen Projekten und dem „normalen“ Geschäft mit ausländischen Patienten in der ehemaligen IU. Der weit überwiegende Teil sei über die Botschaften ans Klinikum gelangt, es habe also keines Vermittlers bedurft. In den Verträgen, die das Klinikum mit den damals tätigen Dienstleistern/Vermittlern geschlossen habe, seien Leistungen wie Dolmetschen, Beibringen medizinischer Berichte, Fahrservice oder Visa-Formalitäten definiert worden. Beim dem Teil von Patienten, die über Vermittler zur Behandlung ins Klinikum kamen, war in den vereinbarten Entgelten auch eine „Kopfprämie“ enthalten. Laut Klinikkum gingen Provisionen aber schnell in die Millionen. Sie begründen nun auch den Vorwurf der Bestechung und des Betrugs gegen Ex-Abteilungsleiter Andreas Braun. Weil er sich gegenüber Vermittlern empfänglich gezeigt haben soll, sitzt er seit Ende April in Untersuchungshaft.

Patientenvermittlung gegen Bargeld ist sittenwidrig

Das Landgericht Kiel hat schon 2011 die Sittenwidrigkeit der Vermittlung von Patienten gegen Bares festgestellt. Laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags finden sich zudem Regelungen, die die Vorteilsgewährung für die Zuweisung von Patienten untersagen, im Landesrecht sowie in den Berufsordnungen für Ärzte. Die Frage nach der Moral hat man im Klinikum wegen der hohen Deckungsbeiträge durch die Behandlung ausländischer Patienten bis zur Schließung der Abteilung lieber nicht beantwortet. Zwar veranlasste der damalige Krankenhausbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) Ende 2015 als Reaktion auf die Vorwürfe des Rechnungsprüfungsamts über Misswirtschaft die Kündigung von rund 80 Vermittlern. Unserer Zeitung liegen allerdings Unterlagen vor, in denen die IU prompt eine Ausschreibung für Kooperationen in der Folgezeit vorbereitete. Entlastend wirkt der Umstand, dass eine Fachanwaltskanzlei hilfreich zur Seite stand, belastend ist, dass der Zuschlag laut Föll an Salah Atamna erging, also jenen Vermittler, dem im Zusammenhang mit dem Kuwait-Geschäft attestiert wird, mit Braun sieben Millionen Euro Provision ohne adäquate Gegenleistung ausgehandelt zu haben. Föll kündigte den Vertrag wieder.

Da das Klinikum Provisionszahlungen für angemessen erachtete, hat das Thema nie jemand hinterfragt. In allen Quartalsberichten, die man im Klinikum sowie an die politisch Verantwortlichen in der Stadtverwaltung und im Krankenhausausschuss verteilte, wurde über Erlöse und Aufwand aus der Behandlung von ausländischen Patienten berichtet. 2014 hieß es: „Im Rahmen des Kuwait-Projekts kommen Vermittler-Provisionen in Höhe von 7,6 Millionen Euro hinzu.“

Gemeinderatsausschuss kaum an Einzelheiten interessiert

Im Ausschuss bestand aber kaum Interesse an Details. So erklärte Stadtrat Zaiß 2009, nicht an einer Aufschlüsselung von Einnahmen und Ausgaben interessiert zu sein. CDU-Chef Alexander Kotz wurde einmal mit der Forderung nach bunten Diagrammen zitiert, und Grünen-Stadträtin Silvia Fischer mit dem „Dank für die interessanten Ausführungen“. Braun hatte den Erfolg mit einer „gewissen Bescheidenheit und seriösem Vorgehen“ erklärt. Wegen Abzocke wendeten sich die Patienten „einem ehrlichen Makler“ wie dem Klinikum zu.

Provisionen gab es bereits in der Amtszeit von Klaus-Peter Murawski, auch wenn der Staatsminister vor 14 Tagen auf die konkrete Frage dazu gesagt hatte: „Ich wusste und weiß bis heute nichts von Provisionen, die die International Unit an irgendwelche Vermittler bezahlt haben soll.“

Angesprochen auf den Quartalsbericht vom September 2010, der unserer Zeitung vorliegt und den Hinweis „plus 2,5 Millionen Euro und nach Abzug der Vermittler-Provision plus 2,0 Millionen Euro gegenüber dem Wirtschaftsplan“ enthält, erklärte Murawski nun, seine Aussage habe sich auf Provisionen aus den Jahren 2013/14 bezogen, die Gegenstand der Ermittlungen gegen Braun seien. Heißt: Murawski gibt Zahlungen in seiner Amtszeit (bis Mitte 2011) zu, betont aber, dass sie da noch nicht für sittenwidrig erklärt gewesen seien.

Der Vermittler Nabel Abu Rikab, fürs Klinikum in den Projekten Libyen und Kuwait involviert, vermag wie Föll hinter vielen Zahlungen partout keine adäquate Leistung erkennen. Umso schlimmer, dass er nachweislich geschuftet habe und dennoch des Betrugs verdächtig sei. Reine „Kopfprämien“ seien im Klinikum nicht üblich gewesen, hat Andreas Braun gesagt.

Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel: Bisher hat sich für die 832 000 Euro an die Firma Libya Consult keine werthaltige Gegenleistung ermitteln lassen. Und dem kuwaitischen Dienstleister Aryak fällt es laut Föll schwer, vor Gericht darzulegen, was er eigentlich für 12,6 Millionen Euro Provision getan habe.

Die umstrittenen Geschäfte mit Libyen und Kuwait

Das Klinikum behandelte und betreute 2013/2014 insgesamt 371 Kriegsversehrte, bekam dafür aber statt geforderter 28,4 nur rund 15 Millionen Euro überwiesen. Unter Kost und Logis sollen auch hohe Provisionen mit unbekannter Gegenleistung gezahlt worden sein, etwa 119 000 Euro an den ehemaligen CDU-Parteigranden Hermann-Josef Arentz, wohl um im Auswärtigen Amt für eine schnellere Visavergabe zu werben.

Das Klinikum sollte drei Jahre lang fünf Ärzte ans Al Razi Hospital in Kuwait entsenden und dafür 46,2 Millionen Euro einstreichen. Der Gewinn hätte sich aber nur auf fünf Millionen Euro belaufen, denn allein 12,6 Mio sollten an den Dienstleister Aryak für „Services Agreement“ gehen, sieben Millionen an die Europe Health GmbH für Vermittlung und Betreung und 28 000 Euro pro Monat an deren Tochterfirma HCMI fürs Projektmanagement.

Der Patientenvermittler Nabel Abu Rikab aus Ludwigsburg hat in beiden Projekten erhebliche Betreuungsleistungen erbracht und sowohl das Rechnungsprüfungsamt wie die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung unterstützt. Er steht dennoch seit 2016 unter Betrugsverdacht, es läuft zudem ein Insolvenzverfahren. Die Behandlung seines Falls könnte Aufschluss über das Ausmaß der Misswirtschaft in der Internationalen Abteilung des Klinikums geben.