Die Mistel ist ein Halbschmarotzer und keineswegs so harmlos für ihren Wirtsbaum, wie viele glauben. Johannes Eder, der Obstbauberater des Rems-Murr-Kreises, rät Baumbesitzern, die Pflanze nicht zu unterschätzen.

Backnang - Es grünt so grün auf den Streuobstbäumen im Rems-Murr-Kreis – und das noch Mitte November. Ein Ärgernis für Johannes Eder, der als Obstbauberater des Landkreises arbeitet. Denn was da dieser Tage so üppig grün auf Apfel-, Quitten-, und vereinzelt auch auf Birnbäumen gedeiht, ist die Mistel. Der Halbschmarotzer, der seinen Wirtsbäumen Wasser und Nährstoffe entzieht, ist im immer mehr auf dem Vormarsch – auch im Rems-Murr-Kreis. Wobei der Siegeszug der Mistel überwiegend per Flieger vonstatten geht: Vögel fressen die weißlichen Beeren der Mistel, die nun im Winter reif werden, also zu einer Zeit, in der das Nahrungsangebot nicht mehr sehr üppig ist. Die Vögel verbreiten die Samen über ihren Kot. Oder sie befördern die im zähen Schleim der Beeren gut geschützten Samen an ihren Schnäbeln klebend von A nach B, von Baum zu Baum.

 

„Zwetschgen- und Kirschbäume sind eigentlich gar nicht betroffen“, sagt Johannes Eder. Das sei aber auch so ziemlich die einzige gute Nachricht in Bezug auf die Mistel. Die sei zwar schon vor einigen Jahren an einzelnen Stellen im Landkreis, etwa im Raum Aspach oder bei Backnang-Germannsweiler stark verbreitet gewesen, sagt Johannes Eder: „Aber inzwischen gibt es keine echten Hotspots mehr, denn das Problem ist leider allgegenwärtig.“

Mistel zweigt Wasser und Nährstoffe ab

Das Samenpotenzial der Mistel sei riesig, klagt der Obstbauberater. Und da immer mehr Stückle nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang gepflegt würden, habe die Mistel auf ihrem Siegeszug wenig Gegenspieler. Je stärker ein Baum befallen sei, desto mehr mache der immergrüne Halbparasit ihm das Leben schwer. „Wenn ein Baum obendrein noch ein gewisses Alter hat, dann wird es schlicht zu viel für ihn“, sagt Eder.

Denn die Mistel zweigt Wasser und Nährstoffe, die der Baum über seine Wurzeln aufnimmt, einfach für sich selbst ab. Das bewerkstelligt sie durch sogenannte Hyphen. Diese fadenförmigen, an feine Wurzeln erinnernden Zellen setzt die Mistel ins Holz des Wirts. „Die Bäume vertrocknen so von der Peripherie her. Das geht nicht von heute auf morgen, aber mit der Zeit wird alles dürr“, erklärt Johannes Eder und zeigt zum Beweis auf den abgestorbenen Ast eines Apfelbaums bei Erbstetten. Die Mistel ist also, anders als viele denken, alles andere als harmlos.

Johannes Eders Fazit ist: „Man sollte die Mistel nicht schonen. Ich kann nur an die Leute appellieren, sie nicht wachsen zu lassen, sondern sie auszuschneiden.“ Bei einem sehr stark befallenen Baum rät er dazu, die Misteln zumindest abzureißen, denn „wenn man bei solchen Bäumen alle befallenen Äste abschneidet, bleibt fast nichts mehr übrig vom Baum.“ Der Obstbauberater sagt, er sei froh, dass viele Obst- und Gartenbauvereine im Landkreis sich des Problems Mistelbefall bewusst seien und aktiv etwas dagegen tun würden.

Pflanze steht nicht unter Naturschutz

Dass die Mistel unter Naturschutz stehe, sei ein Gerücht, betont er: „Die Behauptung hat noch nie gestimmt. Sie hat so viel Wahrheitsgehalt wie die, dass Spinat überdurchschnittlich viel Eisen enthält.“ Das konsequente Entfernen von Misteln sei erlaubt. Zu beachten sei lediglich, dass all jene, die Misteln ernten und diese dann später verkaufen wollten, etwa auf dem Advents- oder Weihnachtsmarkt, eine Erlaubnis der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt benötigten.

Diese Vorschrift gilt laut dem Naturschutzgesetz allerdings nicht nur für die Mistel, sondern generell für „wild lebende Pflanzen“, wenn diese gewerbsmäßig aus der Natur entnommen, be- und verarbeitet werden. „Diese Gestattung ist eine rein formale Geschichte“, sagt Johannes Eder, der froh wäre, wenn es zu dieser Jahreszeit um einiges weniger Grün aussähe auf den Apfelbäumen im Rems-Murr-Kreis.

Immergrüne Halbschmarotzer

Botanik
Die kugelförmig wachsende Mistel ist ein Halbparasit, der seinem Wirtsbaum Wasser undNährstoffe entzieht. Dank ihrer immergrünen Blätter kann sie jedoch selbstständig Fotosynthese betreiben.

Magie
Der Mistel, im Volksmund auch „Hexenbesen“ genannt, wird mancherlei magische Wirkung nachgesagt. In den „Asterix“-Comics braut der Druide Miraculix mit ihrer Hilfe einen Zaubertrank, der übernatürliche Kräfte verleiht. In Großbritannien und den USA spielt die Mistel insbesondere an Weihnachten eine wichtige Rolle: Ein über der Tür hängender Mistelzweig gilt als Glücksbringer. Liebespaare, die sich unter der immergrünen Pflanze küssen, sollen angeblich mit ewiger Liebe belohnt werden. In der anthroposophischen Medizin werden Mistelpräparate bei Krebserkrankungen genutzt.

Veranstaltung
Was tun gegen Mistelbefall? Der Obstbauberater Johannes Eder gibt am Samstag, 19. November, praktische Tipps zu diesem Thema. Die Veranstaltung, die bei jedem Wetter stattfindet, beginnt um 13.30 Uhr. Treffpunkt ist der Dorfplatz in Heiningen, Tübinger Straße. Die Teilnahme ist kostenlos.