Mit 91 noch Nachhilfelehrerin Stuttgarterin lehrt seit 70 Jahren Mathe
Melinda Martics feiert in diesen Tagen ein ganz besonderes Jubiläum – vor 70 Jahren begann sie, Schülern Mathe beizubringen. An Ruhestand denkt sie aber noch lange nicht.
Melinda Martics feiert in diesen Tagen ein ganz besonderes Jubiläum – vor 70 Jahren begann sie, Schülern Mathe beizubringen. An Ruhestand denkt sie aber noch lange nicht.
Melinda Martics ist 91 Jahre alt, doch anmerken lässt sie sich das nicht. Sie sitzt an einem Montagvormittag in einem Café in Möhringen und trinkt Kaffee, ein dickes Fotoalbum vor sich auf dem Tisch. Es ist gefüllt mit Fotos ihrer 70-jährigen Karriere als Mathelehrerin. Zuerst in einem Gymnasium, in der Rente dann als Nachhilfelehrerin. Hört man ihr beim Reden zu, wie sie begeistert von ihrer Tätigkeit erzählt, überrascht es kaum, dass sie diesen Beruf noch immer ausübt.
Doch eigentlich wollte Melinda Martics gar nicht Mathe unterrichten. Ihr ursprünglicher Traumberuf war Apothekerin. Dieser Weg stand ihr in Rumänien, wo sie aufwuchs, jedoch nicht offen. Im damals dort herrschenden Kommunismus sei die soziale Herkunft ihrer Eltern, die ein Weingut besaßen und ausgewanderte Donauschwaben waren, nicht gern gesehen gewesen. „Ich habe extra einen Vorbereitungskurs den Sommer über gemacht, aber am Ende stand ich auf der Liste derer, die nicht Apotheker werden durften“, sagt Melinda Martics über ihren eigentlichen Berufswunsch.
Nach einem Jahr als Buchhalterin entschloss sie sich dazu, Mathematik zu studieren, um Lehrerin zu werden. Die Gründe dafür waren pragmatisch: „In Mathe hatte ich in der Schule die beste Note.“ Außerdem sei das Fach besonders bei Frauen nicht so beliebt gewesen. Obwohl Melinda Martics also über Umwege zu ihrem Beruf kam, fand sie schnell Freude daran: „Ich habe immer gerne mit Kindern gearbeitet.“ Es mache ihr besonders Spaß, wenn sie etwas erkläre und merke, dass die Schüler es langsam verstünden.
Marc Kifferle, ihr Urgroßneffe, betont besonders, wie beliebt Melinda Martics bei ihren Schülerinnen und Schülern ist – trotz des bei vielen nicht allzu beliebten Schulfachs Mathe: „Ich finde die Wertschätzung, die sie von ihren Schülern immer noch bekommt, sehr schön.“ Erst vor Kurzem ist die 91-Jährige zu einem 55-jährigen Abitreffen eingeladen worden und zwei ihrer ehemaligen Schüler aus dem Jahrgang besuchten sie. „Das ist sehr schön, wenn ehemalige Schüler sich an mich erinnern“, sagt die Stuttgarterin. Melinda Martics hat bei vielen ihrer unzähligen Schüler über die Jahrzehnte bleibenden Eindruck hinterlassen, scheint es.
Ein Grund dafür dürfte ihre unverkennbare Leidenschaft für Mathematik sein sowie ihre pädagogischen Ansichten: „Man kann Mathe lernen, wenn man nur will.“ Fleiß und Übung seien die Grundvoraussetzungen. Marc Kifferle, der während seiner eigenen Schulzeit von seiner Urgroßtante Mathenachhilfe bekam, kann das aus erster Hand bestätigen: „Mein Bruder und ich wurden durch den Spruch ‚Übung macht den Meister‘ geprägt.“
Diese Botschaft hat Melinda Martics all ihren Schülern mit auf den Weg gegeben, ob in Rumänien oder in Deutschland. Im Jahr 1989 zog sie von ihrem Heimatland nach Bayern, arbeitete dort acht Jahre lang. Bei der Umstellung habe ihr besonders geholfen, dass sie bereits Deutsch sprechen konnte. Mitte der Neunziger zog sie dann nach Möhringen, um bei der Erziehung ihrer Urgroßneffen zu helfen. Inzwischen arbeitet sie seit mehr als 25 Jahren bei derselben Nachhilfeorganisation und ist dort die älteste Mitarbeiterin.
Ans Aufhören denkt sie deshalb aber nicht: „Solange mein Kopf noch klar ist, möchte ich das weiterhin machen.“ Es scheint, als würde sie süßes Nichtstun nicht reizen. „Was sollte ich sonst machen, den ganzen Tag Fernsehen schauen?“ Sie sagt es auf eine Art, die keinen Zweifel daran lässt, dass das für sie keine Option ist.
Dabei hat die Stuttgarterin auch noch andere Hobbys. Sie liest gerne, derzeit einen Schmöker von deutlich mehr als 1000 Seiten. Das war noch in den Sommerferien. Da habe sie mehr Zeit als sonst immer, sagt sie mit einem Schmunzeln. Bis vor einigen Jahren verreiste sie außerdem leidenschaftlich gerne, bevorzugt in ferne Länder wie Indien. Nun sei das wegen ihrer Arthrose nicht mehr so einfach möglich.
Auf ihr bisheriges Leben blickt sie mit Freude, aber auch etwas Wehmut zurück. Sie betont, wie schnell die Jahrzehnte vergangen seien und wie viel sie gerne noch gesehen hätte: „Die Welt ist so schön!“ Ihr prall gefülltes Fotoalbum, eines von unzähligen, die sie über die Jahre angesammelt hat, zeugt von einem Leben voll Leidenschaft für ihren Beruf und allerlei Gründen, mit Stolz in die Zukunft zu blicken.