Langsam dämmert es, wird empfindlich frisch. Die feuchte Kälte kriecht immer tiefer in die Knochen, aber Stillsitzen ist oberstes Gebot: Nichts mit mal geschwind die Handschuhe ausziehen, Mütze vom Kopf reißen, weil da irgendetwas krabbelt, oder die Beine ausschütteln, weil sie vom langen Sitzen ganz steif geworden sind.

 

Nur in Zeitlupe darf man den Kopf bewegen, um den Wald nicht zu erschrecken, seinen Rhythmus nicht aus dem Takt zu bringen: Das Wild hat nicht nur eine extrem empfindsame Nase und ein hypersensibles Gehör, es spürt auch jede noch so winzige Unstimmigkeit. Es ist eine vollkommen andere Welt, in der bewusste Bedächtigkeit und bedingungslose Aufmerksamkeit regieren, in der man das Warten wieder lernt, Geduld haben, sich ganz und gar einlassen. „Ansitzen ist totale Entspannung für mich. Aber es gehören auch viel Körperbeherrschung und Disziplin dazu.“

Mit bloßem Auge ist kaum noch etwas zu erkennen. Kathari zieht seine schwarze Maske über, das helle Gesicht würde das Wild nur aufschrecken. Je düsterer es wird, je mehr die Konturen sich auflösen, bis schließlich alles miteinander verschwimmt, umso tiefer taucht man in die Welt des Waldes ein: Lernt, ihn besser zu lesen, besser zu verstehen. Vergessen sind die harte Holzbank, die eisigen Füße, die Reglosigkeit, die schon wehtut: Ein durchdringendes Sirren und Flirren schwillt an und legt sich wattig auf alles.

Der Zauber der Stille

Dass Stille so laut sein kann, so körperlich? So dicht und pulsierend? So voller Zauber, dass die Sinne plötzlich weit mehr als hellwach sind: der feuchte Wald riecht nicht nur bloß modrig, sondern dunkel, pilzig, nach Krabbelgetier und Wild und Grün. Der ganze Körper scheint mit eulenhaften Augen übersät, und die Ohren wachsen ins Unermessliche. Drehen und wenden sich in alle Richtungen, saugen jedes Geräusch ein. Lauschen nicht nur, sehen, fühlen, spüren. Da kommt einem der eigene Atem so lärmend wie ein Traktormotor vor, dass man ihn automatisch drosselt.

Die letzten Sonnenstrahlen huschen über die Lichtung und tauchen sie in ein warmes Herbstlicht. Flüstern ist angesagt, wenn überhaupt, schon seit dem kurzen Marsch zum Hochstand. Schmal ist der Pfad, und er sieht aus wie geleckt: keine Zweige, kein Laub, nichts, was Krach machen könnte. „Wir versuchen nicht nur, unsichtbar zu sein, sondern auch von Anfang an so leise zu sein wie der Wald. Dazu gehören eben auch geharkte Wege zu den Hochständen.“

Zu sechst haben sie das rund 340 Hektar große Waldstück neben der Burg Flecken-stein im Elsass gepachtet. Und sie jagen alle ausschließlich mit Pfeil und Bogen, was in Deutschland verboten ist: „Warum? Keiner weiß es so genau: Es gibt keine stichhaltigen Argumente, die dagegen sprechen würden. Vielleicht, weil die Pfeile fast lautlos sind und das eine uralte Angst weckt.“ Nur nicht beim Wild: Der Schuss, der eine viel größere Durchschlagskraft als eine Gewehrkugel hat, erschreckt das Tier nicht, und so werden praktisch auch keine Stresshormone ausgeschüttet. „Der Tod ist schnell, so gut wie schmerzfrei, und das Fleisch bleibt extrem zart. Außerdem wird das übrige Rudel nur minimal beunruhigt.“

Der Bogen ist ein Hightechgerät

Der Wind steht günstig: Eine seichte Brise säuselt über die Lichtung auf den Hochstand zu. Kathari nimmt keine Federn oder Löwenzahnsamen, kein Streichholz, kein Laub: er hat seine eigene Art, die Windrichtung zu bestimmen. Er reißt einfach seine Augen weit auf, und da der Aug-apfel höchst empfindsam ist, spürt er auch noch den zartesten Lufthauch. Behutsam, mit wenigen, geübten Handgriffen richtet er sich auf dem Ansitz ein, hängt das Fernglas an den Haken, legt den Bogen auf die schmale Brüstung vor sich. Er macht dabei kaum ein Geräusch, nicht einmal seine Klamotten rascheln. Die Bogenjäger tragen nicht nur zur Tarnung Camouflagekleidung, sondern auch, weil sie wie ein zweite Haut jede Bewegung geräuschlos mitmacht. Da die Schützen nur auf nahe Distanzen jagen, bei 20 Metern ist Schluss, darf im falschen Augenblick nichts knistern. Sonst sind vor allem die hypernervösen Rehe schneller über alle Berge, als man gucken kann. Das war’s dann mit der Jagd.

Der Pfeil ist eingelegt, der Bogen einsatzbereit. Kathari schießt mit einem Compound-Bogen: Ein Hightechgerät, das handelsüblich mit Rollensystem, fein justierbarem Auslösemechanismus und optischen Zielhilfen ausgestattet ist, und an eine kleine, aber ungemein effektive Kraftmaschine erinnert. Beim Auszug sind schon ordentlich Muckis gefragt, um den Anfangswiderstand von mindestens 60 Pfund zu überwinden, die Sehne dabei sauber und lautlos zu spannen.

Danach ist die Position fast mühelos zu halten, wie bei einem Flaschenzug: Der Jäger kann so ohne kräftezehrende Ablenkung auf den günstigsten Moment warten, seine geballte Aufmerksamkeit ausschließlich dem Schuss widmen. Der Pfeilflug dauert dann kaum einen Wimpernschlag lang, der Pfeil fliegt mit einer beachtlichen Geschwindigkeit von 70 bis 100 Metern pro Sekunde (250 bis 360 Kilometer pro Stunde) und könnte den Formel-1-Flitzern auf geraden Strecken ganz gut die Stirn bieten.

Er schießt intuitiv

Kathari verzichtet, völlig ungewöhnlich für einen Hightechbogenjäger, auf die Zielvorrichtung. Er hat das sogenannte Visier, das das Anpeilen erheblich erleichtert, abmontiert. Er schießt traditionell à la Robin Hood. Intuitiv, ohne jegliche optische Unterstützung. „Ich orientiere mich nur an der Richtung des Pfeils, ziele aber nicht über die Spitze, sondern konzentriere mich einzig und allein auf den Punkt, den ich treffen möchte.“ Auf diese Weise ist er ebenso zielsicher und erfolgreich wie seine Jagdfreunde mit Visier.

Selten schießt der zweifache Deutsche und dreifache Vizemeister im intuitiven Bogenschießen daneben. In den Schoß ist es ihm nicht gefallen, obwohl er ein Naturtalent ist: Kathari hat von Anfang an viel geübt, und das macht der Malermeister mit eigenem Betrieb auch heute noch. Täglich, wenn es geht. Seinen ersten Bogen hat er sich von seinem Konfirmationsgeld gekauft und in der Scheune seines Großvaters Strohballen und wassergefüllte Plastiktüten traktiert. Hin und wieder auch mal eine Ratte zur Strecke gebracht. Mit 16 hat er die Lust verloren, andere Dinge waren wichtiger. Irgendwann flammte die Leidenschaft dann wieder auf, und zu seinem Vierzigsten, vor dreizehn Jahren, schenkte er sich einen modernen Compound-Bogen. Inzwischen sind Pfeil und Bogen längst mit ihm verwachsen, Bewegungsablauf und Schießrhythmus verinnerlicht und in Fleisch und Blut übergegangen.

Den französischen Jagdschein hat Kathari 2006 gemacht, anschließend das Bogenjägerseminar mit Zertifikat abgeschlossen. Es war kein Zuckerschlecken, Wildbiologie, Wildbrethygiene, Naturschutz und Waldökologie, Jagdrecht oder Waffenkunde auf Französisch zu lernen. „Immerhin war es kein Neuland für mich, weil ich mit der waidgerechten Jagd aufgewachsen bin: Mein Vater hat, seit ich denken kann, ein Revier bei Karlsruhe.“ Und mit dem internationalen Bogenjagdschein war Kathari auch schon vorher unterwegs, vor allem in Ungarn.

Eine vollkommen andere Welt

Langsam dämmert es, wird empfindlich frisch. Die feuchte Kälte kriecht immer tiefer in die Knochen, aber Stillsitzen ist oberstes Gebot: Nichts mit mal geschwind die Handschuhe ausziehen, Mütze vom Kopf reißen, weil da irgendetwas krabbelt, oder die Beine ausschütteln, weil sie vom langen Sitzen ganz steif geworden sind.

Nur in Zeitlupe darf man den Kopf bewegen, um den Wald nicht zu erschrecken, seinen Rhythmus nicht aus dem Takt zu bringen: Das Wild hat nicht nur eine extrem empfindsame Nase und ein hypersensibles Gehör, es spürt auch jede noch so winzige Unstimmigkeit. Es ist eine vollkommen andere Welt, in der bewusste Bedächtigkeit und bedingungslose Aufmerksamkeit regieren, in der man das Warten wieder lernt, Geduld haben, sich ganz und gar einlassen. „Ansitzen ist totale Entspannung für mich. Aber es gehören auch viel Körperbeherrschung und Disziplin dazu.“

Mit bloßem Auge ist kaum noch etwas zu erkennen. Kathari zieht seine schwarze Maske über, das helle Gesicht würde das Wild nur aufschrecken. Je düsterer es wird, je mehr die Konturen sich auflösen, bis schließlich alles miteinander verschwimmt, umso tiefer taucht man in die Welt des Waldes ein: Lernt, ihn besser zu lesen, besser zu verstehen. Vergessen sind die harte Holzbank, die eisigen Füße, die Reglosigkeit, die schon wehtut: Ein durchdringendes Sirren und Flirren schwillt an und legt sich wattig auf alles.

Der Zauber der Stille

Dass Stille so laut sein kann, so körperlich? So dicht und pulsierend? So voller Zauber, dass die Sinne plötzlich weit mehr als hellwach sind: der feuchte Wald riecht nicht nur bloß modrig, sondern dunkel, pilzig, nach Krabbelgetier und Wild und Grün. Der ganze Körper scheint mit eulenhaften Augen übersät, und die Ohren wachsen ins Unermessliche. Drehen und wenden sich in alle Richtungen, saugen jedes Geräusch ein. Lauschen nicht nur, sehen, fühlen, spüren. Da kommt einem der eigene Atem so lärmend wie ein Traktormotor vor, dass man ihn automatisch drosselt.

In der Ferne ist Getapse zu hören. „Ein Rudel Wildschweine. Rehe bewegen sich vorsichtiger mit einem leisen Tip-tip, wie der Fuchs.“ Kathari kennt jeden Laut, kann ihn identifizieren, einordnen. Das Getrappel wird lauter, Äste knacken ganz nah: das muss eine ganze Horde Sauen sein, die zur Lichtung stampft. Die Atmosphäre ist zum Schneiden. Konzentriert war Kathari schon die ganze Zeit, aber jetzt ist er unter absoluter Hochspannung. Steht plötzlich da, den Bogen gespannt. Wartet. Sie machen kehrt, Kathari entspannt sich. „Schwarzwild ist das einzige Wild, das in Frankreich, mit Sondererlaubnis, auch nachts bejagt werden darf.“ Aber Jagen ist mehr als Treffen, die genau geregelten Abschusspläne zu erfüllen: „Es ist die hohe Kunst, sich im Wald richtig zu verhalten. Sich mit allen Sinnen in den Rhythmus einzufühlen, mit der Natur zu verschmelzen.“