Die Kirche verliert Mitglieder und fragt jetzt, wie viele Gotteshäuser langfristig nötig sind. Jede Gemeinde wird unter die Lupe genommen.

Stuttgart - Die katholische Kirche in Stuttgart ist dabei, ihre Immobilien zu überprüfen, und startet damit einen Prozess, den die evangelische Kirche schon vor sechs Jahren begonnen hat. Seit den 1970er Jahren hat die katholische Kirche in der Landeshauptstadt 70.000 Mitglieder verloren. "Wir haben aber noch diesselbe Infrastruktur wie damals", sagt Alexander Lahl, der Geschäftsführer des katholischen Stadtdekanats. Auf die 145.000 Katholiken in Stuttgart kommen 57 Gotteshäuser, 70 Gemeindezentren, 50 Pfarrhäuser, 80 Kindertagesstätten, eine Domsingschule, ein Hospiz sowie das Haus der Katholischen Kirche in der Königstraße.

 

In vielen Gemeindezentren, die aus den 1960er und 70er Jahren stammen, sind aufwendige Renovierungen erforderlich. "Das sind enorme finanzielle Belastungen für eine Gemeinde", erläutert der Geschäftsführer des Stadtdekanats. Deshalb soll im Herbst ein Prozess anlaufen, der im Moment noch den Titel "Der Zukunft Raum geben" trägt und den ein Gremium aus Vertretern der Diözese und des Stadtdekanats steuern wird. In Arbeitsgruppen sollen Ideen erarbeitet werden, wie Gemeindezentren und Kirchen alternativ genutzt werden können. "Wenn wir in diesem Jahr alle Renovierungswünsche der Gemeinden erfüllen würden, müssten wir mehr als sechs Millionen Euro aufbringen", sagt Lahl. Stattdessen aber gilt für 2011 ein Investitionsstopp. "Wir brauchen erst ein Konzept, bevor wir investieren", sagt er.

Alle Gemeinden werden unter die Lupe genommen

Was es bereits gibt, ist eine Liste von Kirchengemeinden, die in den nächsten Monaten genauer betrachtet werden, weil sie zwei Kirchen und mindestens ein Gemeindehaus haben. Zu ihnen zählen beispielsweise Steinhaldenfeld mit St. Bonifatius und St. Thomas, Zuffenhausen mit St. Antonius und St. Albert, die Gemeinde Hohenheim mit St. Antonius von Padua und der Vinzenz-Pallotti-Kirche in Birkach sowie die Gemeinde Hedelfingen-Rohracker mit St. Paulus und St. Markus. "Das heißt noch nicht, dass unbedingt in diesen Gemeinden Gebäude aufgegeben werden müssen", beschwichtigt Lahl. Vielmehr werden in einem zweiten Schritt auch alle anderen Gemeinden unter die Lupe genommen.

In der Gemeinde Rohracker-Hedelfingen hat der Kirchengemeinderat den anstehenden Prozess zum Anlass genommen, eigene Ideen zu entwickeln. 2000 Mitglieder zählt die Gemeinde noch, die zwei Kirchen und zwei Gemeindehäuser unterhält. In St. Paulus in Rohracker müsste in nächster Zeit einiges investiert werden. "Wir sehen aber seit Jahren, dass die Kirche immer weniger frequentiert wird", sagt Pfarrer Manfred Griesbeck. 25 bis 30 Menschen besuchen im Schnitt den Gottesdienst in der Rohracker Kirche, auch das Gemeindehaus ist weniger stark ausgelastet als sein Pendant in Hedelfingen. Der Kirchengemeinderat hat sich deshalb für eine Umnutzung von St. Paulus ausgesprochen. "Wir könnten uns vorstellen, den Gottesdienstraum als Friedhofskapelle zu nutzen und das Gemeindezentrum an einen Investor zu veräußern, der dort Wohnungen baut", erläutert Griesbeck. Denkbar sei auch ein Ausbau des Kindergartens. "Es ist illusorisch zu glauben, dass wir alle Immobilien halten können", sagt Griesbeck. Hinzu komme, dass er als Pfarrer es auf Dauer nicht schaffe, an fünf Orten in der Seelsorgeeinheit regelmäßig Gottesdienste zu halten.

Katholische Kirche prüft Gebäudebestand

Noch weniger genutzt ist die Kirche St. Bonifatius in Steinhaldenfeld, wo das Jahr über gerade noch zehn Gottesdienste gehalten werden, wie der geschäftsführende Pfarrer der Seelsorgeeinheit, Oliver Lahl, erläutert. Und der Gemeindesaal unter der Kirche dient nurmehr als Lager. "Für die älteren Menschen ist die Kirche zu abgelegen", sagt der Pfarrer. Die Gemeinde hat bereits vor Jahren einen Anlauf genommen, die Kirche umzuwidmen, war damals aber am Baurecht gescheitert. "Deshalb warten wir jetzt den Prozess ab, um zu sehen, was rechtlich überhaupt möglich ist", sagt Oliver Lahl. In der Gemeinde Zuffenhausen, die ebenfalls auf der Liste steht, will Pfarrer Christopher Sturm die Gläubigen von Anfang an einbeziehen: "Wir wollen niemanden vor den Kopf stoßen." Aus seiner Sicht ist St. Albert aber eine mit Leben gefüllte Kirche, auch das Gemeindezentrum sei gut ausgelastet. "Für uns ist es wichtig zu wissen, dass die Kirchengemeinde das letzte Wort hat", sagt Sturm.

Die evangelische Kirche in Stuttgart ist schon einige Schritte weiter. Bereits Ende 2005 hat deren Gesamtkirchengemeinde eine Liste vorgelegt, in der acht Kirchen als verzichtbar eingestuft wurden. Die Gemeinden haben bis 2030 Zeit, Lösungen zu finden, erst dann will die Gesamtkirchengemeinde ihre Zahlungen einstellen. Seit Veröffentlichung der Liste sind insgesamt 15 Objekte verkauft oder umgewidmet worden. In der Haigstgemeinde im Süden und der Paul-Gerhardt-Gemeinde im Westen sind Stiftungen entstanden, die den Erhalt der Gotteshäuser sichern sollen.

Andernorts, beispielsweise in der Heslacher Gemeinde und in der Rosenberggemeinde wurden Gemeindehäuser verkauft, um Geld für Renovierungen an anderer Stelle frei zu haben. "Durch unsere Liste haben wir einen fruchtbaren Prozess in Gang gesetzt. Wir haben unsere Baulast reduziert und dadurch Luft geschaffen beispielsweise für notwendige energetische Sanierungen an anderer Stelle", sagt der evangelische Finanzchef Hermann Beck.